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Ich schenk’ mir was: Der neue Trend zum Fest
Vom Tabu zum Wohlfühlfaktor: Weihnachten legt sich rund ein Viertel der Bundesbürger inzwischen auch ein Geschenk für sich selbst auf den Gabentisch. Sagt das etwas über unsere Gesellschaft?
Stand:
Ein Weihnachtsgeschenk von mir für mich? Was an Heiligabend früher mit Verwunderung oder schiefen Blicken quittiert worden wäre, ist heute in Deutschland keine Ausnahme.
Viele Menschen erfreuen sich an Weihnachten selbst mit einer Gabe, vorwiegend die Jüngeren. Ist das ein neuer Trend – und wofür könnte er stehen in der Gesellschaft?
Seit 15 Jahren lässt der Münchner Wirtschaftswissenschaftler Oliver Gansser seine Studierenden von der Hochschule für Ökonomie und Management (FOM) ausschwärmen, um mehr über Weihnachtsgeschenke zu erfahren. Darunter auch die Frage: Wer beschenkt wen? Bundesweit geben mehr als 60.000 Menschen persönlich, am Telefon oder online Antwort – repräsentativ ausgewählt nach Alter und Geschlecht.
Nur für mich: Bücher, Feinkost, Reisen und Wellness
Die Kategorie "Ich-Geschenke" kam erst 2020 hinzu. „Interviewpartner haben nachgehakt, warum wir nicht auch danach fragen“, berichtet Gansser. „Da haben wir vermutet, dass das trendy ist.“ Die Auswertung hat den Forscher überrascht: Aktuell gibt bundesweit ein gutes Viertel der Befragten an, sich Heiligabend selbst zu bedenken.

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„Das ist schon eine Größenordnung“, sagt der Forscher. Beliebt auf dem Gabentisch sind dabei Bücher, Feinkost, Reisen oder Wellness im Schnitt zwischen 50 und 170 Euro. Das meiste Geld – im Schnitt 223 Euro – investierte jeder sechste Selbstschenkende in ein Smartphone.
Die Frage, warum und wie wir schenken, fasziniert die Wissenschaft, manchmal mit enttäuschtem Unterton. So konstatierte der Philosoph und Soziologe Theodor Adorno Mitte des 20. Jahrhunderts: „Die Menschen verlernen das Schenken.“ Er befürchtete, dass selbstloses Geben einer Tausch-Verpflichtung weiche. Braucht es nun nicht einmal mehr zwei Menschen zum Schenken?
Rituale werden neu gedacht
„Zu Weihnachten war früher klar, dass man sich nicht selbst etwas schenkt. Das galt als merkwürdig und widersprach dem Geist des Festes“, sagt Psychologe und Buchautor Wolfgang Krüger. Ein gelungenes Geschenk für andere hingegen erfordere viel Fingerspitzengefühl – Zuhören und Beobachten das ganze Jahr über.
Nach der Einschätzung von Krüger sind die Deutschen dabei, an ihren Ritualen herumzubasteln. Weihnachten sei immer noch das emotionale Fest der Geschenke und auch der Erwartung, dass sie wie in der Diplomatie die Beziehungen verbessern, analysiert er. In vielen Familien funktioniere das aber nicht und führe zu Enttäuschungen. „Mit der Schlussfolgerung: Dann können wir uns ja besser selbst etwas schenken.“

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Ein „Ich-Geschenk“ sei eine Punktlandung und auch nicht per se negativ, sagt Krüger. „Doch die ganze emotionale Faszination wie Vorfreude und Überraschung, die ist nicht da.“ Auch das gute Gefühl gegenseitiger Wertschätzung, das durch gelungene Geschenke entstehe, fehle. „Das heißt: Erwartung raus, Glückserlebnis raus, aber eben auch die Enttäuschung.“ Selbstgeschenke spiegeln für Krüger „eine gewisse Form von Nüchternheit.“
Trost, Belohnung, Anerkennung und Stimmungsbooster
Für Andrea Gröppel-Klein, Konsum- und Verhaltensforscherin an der Universität des Saarlandes, ist das Phänomen nicht neu. „Aus der Forschung kennen wir Selbstgeschenke seit 1990“, berichtet sie. In den vergangenen Jahren hätten Studien zu den Gründen zugenommen.
Die Wissenschaft unterscheide zum Beispiel zwischen „Ich-Geschenken“ zum Trost, zur Anerkennung und Belohnung, um die Stimmung aufzuhellen, und eben auch zu festlichen Anlässen wie Weihnachten. Sie seien oft genussorientiert und nicht funktional. Es ist also nicht die neue Waschmaschine, die ohnehin angeschafft worden wäre – es bleibt etwas Besonderes außer der Reihe.

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„Es ist heute kein Tabuthema mehr, laut zu sagen: Das habe ich mir jetzt gegönnt. Auch nicht zu Weihnachten“, beschreibt es Gröppel-Klein. Befeuert werde das in Zeiten von Begriffen wie Achtsamkeit, Selbstfürsorge und „Me-Time“ durch die Werbung, etwa durch Slogans wie „Das bin ich mir wert.“ Für die Wissenschaftlerin spielen aber noch andere Veränderungen eine Rolle.
„Wir hängen an dieser schönen Vorstellung von der heilen Weihnachtswelt, in der die große Familie zusammen isst und Geschenke austauscht.“ Doch die gesellschaftliche Realität sehe heute anders aus: Jeder fünfte Deutsche lebt in einem Single-Haushalt. Ein Geschenk an sich selbst kann für die Forscherin deshalb auch eine „tröstliche Selbstregulation“ sein.
Reaktion auf ein Leben in Verunsicherung
Oliver Gansser liest an seinen Umfragen ab, dass es bei „Ich-Geschenken“ Generationenunterschiede gibt. In der Nachkriegszeit habe sich diese Frage schon aus Geldmangel nicht gestellt. „Jetzt ist das Geld da, aber die Nachkriegsgeneration macht das trotzdem nicht“, berichtet der Wissenschaftler. Auf Selbstbescherung setzen die Generationen X, Y und Z zwischen 12 und 59 Jahren. Die Boomer ab 60 sind zögerlicher und ab 80 machen sich die wenigsten Menschen selbst ein Weihnachtsgeschenk.
Zu Weihnachten war früher klar, dass man sich nicht selbst etwas schenkt. Das galt als merkwürdig und widersprach dem Geist des Festes.
Wolfgang Krüger, Psychologe und Buchautor
Für puren Hedonismus der Jüngeren hält Gansser das nicht, eher für einen Trend wie die Work-Life-Balance – also Arbeit und Leben in Einklang zu bringen. „Die jüngeren Generationen lesen seit Jahren Negativ-Schlagzeilen, sei es über Viren oder Kriege. Das kann ein Gefühl erzeugen, dass hier bald die Lichter ausgehen. Da ist es doch nicht schlecht, wenn wir uns in dieser Stimmung der Verunsicherung selbst Geschenke machen, damit es uns besser geht.“
Psychologe Krüger geht da weiter. „Jahrzehntelang haben wir in einer Gesellschaft mit einem starken Kollektivgedanken gelebt, in dem das ‚Ich-Sagen’ nicht genügend berücksichtigt werden konnte“, sagt er. „Erst in den letzten zehn Jahren haben wir eine Entwicklung, in der wir viel fröhlicher anfangen, über uns selbst nachzudenken.“
Die Bedeutung des "Ich" in der Gesellschaft steige – allerdings mit dem Risiko, dass das Ganze ins Egozentrische kippe. Insbesondere verunsicherte Gesellschaften neigten zu Vereinzelung, Entsolidarisierung und Verteilungskämpfen. „Das Schenkverhalten ist ein winziges Symptom in dieser ganzen Entwicklung. Doch daran sieht man, in welche Richtung eine Gesellschaft laufen könnte.“ (dpa)
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