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Nur mit Hilfe von künstlichem Schnee konnten die Allgäuer Skigebiete am Fellhorn Mitte Dezember die Saison eröffnen.

© Karl-Josef Hildenbrand/dpa

Ideelle Verluste durch den Klimawandel: Trauer um die weiße Weihnacht

Wird es auf der Erde immer wärmer, spielt nicht nur das Wetter verrückt. Auch ideelle Güter sind in Gefahr, sogar bei uns: Weiße Weihnachten zum Beispiel. Auch die Gärten von Sanssouci müssen anders bepflanzt werden.

Wenn Saúl Luciano Lliuya zur Cordillera Blanca hinaufschaut, sieht er die schneebedeckten Gipfel der Anden - und eine drohende Gefahr. Der Gletschersee Palcacocha oberhalb von Lucianos Heimatstadt Huaraz droht überzulaufen. Jederzeit könnte sich eine Sturzflut ins Tal ergießen. Schon einmal wurde Huaraz von einer Schlammlawine aus dem See getroffen und die Gefahr wird immer größer. Denn wegen des Klimawandels schmilzt der Churup Gletscher sehr schnell ab. So wie fast alle Gletscher weltweit.

Deshalb hat Saúl Luciano den Essener Stromkonzerne RWE als einen der Verursacher des Klimawandels verklagt. Unterstützt wird er dabei von der Menschenrechtsorganisation German Watch. Sie will damit zwei Botschaften senden: "Die großen Unternehmen müssen Verantwortung übernehmen. Und wir brauchen im Klimaabkommen eine Abmachung über Loss and Damage, damit nicht alle Kleinbauern klagen müssen", sagte Klaus Milke von German Watch beim Klimagipfel 2015 in Paris.

Saúl Luciano Lliuya am See unter dem Churup Gletscher, dessen Eismassen schon stark abgeschmolzen sind.
Saúl Luciano Lliuya am See unter dem Churup Gletscher, dessen Eismassen schon stark abgeschmolzen sind.

© Chris Bouroncle/AFP

Loss and Damage (Schäden und Verluste) nennt man die nicht mehr abwendbaren Schäden durch den Klimawandel. Die Verhandlungen darüber gehörten zu den schwierigsten Kapiteln des Klimaabkommens. Die Entwicklungsländer sehen es als ihr gutes Recht, entschädigt zu werden, haben sie doch selbst kaum etwas zum Klimawandel beigetragen. Die Industrienationen fürchten ein Fass ohne Boden, wollen nicht für jeden Wirbelsturm in die Pflicht genommen werden.

Migration mit Würde

Wenn der Wert der Schäden nicht einfach in Dollar oder Euro ausgedrückt werden kann, sprechen Experten von "nicht-ökonomischen Verlusten". Denn nicht nur Leib und Leben oder materielle Güter sind durch den Klimawandel in Gefahr, sondern auch Heimat oder Bräuche. "Wir leben seit Generationen dort. Unsere Häuser sind dort. Wir können sonst nirgendwo hingehen", sagt Saúl Luciano.

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In vielen Kulturen sind die Menschen eng verbunden mit dem Stück Land, auf dem sie geboren wurden und wo ihre Ahnen begraben liegen. So waren viele Bewohner des Inselstaaten Kiribati im Pazifik sehr aufgebracht, als sie von Umsiedlungsplänen ihrer Regierung erfuhren. Präsident Anote Tong verfolgt ein Konzept von "Migration mit Würde" und hat Land auf der 2000 Kilometer entfernten Insel Fidschi gekauft, um die Bürger von Kiribati vor dem Anstieg des Meeresspiegels in Sicherheit zu bringen.

Jedoch: "Besonders die traditionell lebenden Leute werden es niemals akzeptieren, dass sie ihr Land verlassen müssen", sagt Pfarrer Tioti Timon in einem Film, den die Klimaexpertin Sabine Minninger von Brot für die Welt gemacht hat.

Auch auf Fidschi selbst wurde schon ein Dorf wegen des steigenden Meeresspiegels umgesiedelt. Hinauf in die Berge der hügeligen Insel. "Das Dorf wurde schon dreimal richtig hart von Springfluten getroffen", berichtet Sabine Minninger. Es blieb den Bewohnern also nichts anderes übrig, als umzuziehen. Doch die Männer würden immer noch das unwegsame Gelände herunterkraxeln, um auf ihrem Stück Land zu sein - "auch wenn es für uns nur ein Stück Strand mit Palmen ist", sagt Minninger, "die Menschen haben mir auf herzzerreißende Art mitgeteilt, wie schmerzvoll der Verlust für sie war."

Nie wieder weiße Weihnachten?

Wie man mit solchen Verlusten umgehen könnte, dafür gibt es nun erste Ansätze, berichtet Sabine Minninger. "Es ist wichtig, dass die Betroffenen in einer eigenen Analyse herausfinden, welche Kulturgüter sie für schützenswert halten und wie sie das machen wollen", sagt sie.

"Wenn eine zusammenhängende Dorfgemeinschaft umgesiedelt werden soll, wäre es gut, wenn Strukturen erhalten bleiben, die es der Gemeinschaft erlauben, ihre Tradition weiter zu leben - so gut es eben geht", sagt die Wissenschaftlerin Olivia Serdeczny vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung. Sie beobachtet, wie das Thema der nicht-ökonomischen Verluste jetzt im Klimaabkommen behandelt wird. Eine Expertengruppe habe bei ihrem ersten Treffen im September einen Arbeitsplan erstellt. Darin geht es zunächst einmal darum, Aufmerksamkeit für das Problem zu wecken und Methoden zu entwickeln, um es zu verstehen.

Geschickt fotografiert wirkt der Parasol-Pilz noch größer als er ohnehin schon ist.
Geschickt fotografiert wirkt der Parasol-Pilz noch größer als er ohnehin schon ist.

© Patrick Pleul/dpa

Auch auf die Deutschen könnten ideelle Verluste zukommen: "Ich selbst bin zum Beispiel leidenschaftliche Pilzsammlerin. Sollte sich das Klima dahingehend verändern, dass es den optimalen Bedingungen für Speisepilze nicht mehr entspricht und der Herbst nicht mehr die Saison des Pilzsammelns wäre, hätte ich einen großen Teil meiner Familientradition verloren", sagt Olivia Serdeczny.

Das ist allerdings wohl nicht zu befürchten. Die Pilzsaison hat sich mit dem Klimawandel sogar nach hinten verlängert, ergab eine Studie von Forschern aus vier europäischen Ländern. Doch immer, wenn sich die Umwelt merklich verändert, können auch ideelle Verlust entstehen: "Was wären die Alpen ohne Gletscher, der Winter ohne Schnee? Nie wieder weiße Weihnacht? Kommt der Weihnachtsmann für die Kinder dann nicht mehr mit dem Schlitten?", fragt Serdeczny.

Berliner Kontinentalklima wird milder

"Natürlich wird es auch in Zukunft noch mal kalte Winter geben. Aber sie werden sehr viel seltener sein", sagt Fritz Reusswig vom PIK. Er hat im Auftrag des Berliner Senats ermittelt, wie sich die Stadt an die Folgen des Klimawandels anpassen könnte: "Da die Temperaturen besonders im Winter ansteigen werden, ist mit deutlich weniger Schnee und auch weniger Frostperioden zu rechnen. Berlin, bekannt für seine eher kontinental geprägten kalten Winter, wird immer mehr zu einem Ort mit moderaten Wintern, wie wir sie aus den westlichen Landesteilen Deutschlands kennen", heißt es in dem Bericht.

Gelegenheit zum Schlittschuhlaufen auf den Berliner Seen wird es in Zukunft wahrscheinlich nicht mehr so oft geben.

Auch auf die Gärten im Schlosspark von Sanssouci kommen Veränderungen zu. Um die Gestalt des Parks zu erhalten, wie ihn Generationen von Gärtner geschaffen haben, arbeitet die Stiftung Schlösser und Gärten an Plänen für sinnvolle Nachpflanzungen. Stärkeren Stürmen sollen die Bäume trotzen können und widerstandsfähig gegen Trockenheit sein. Gleichzeitig soll der Charakter des Parks so erhalten werden, wie ihn Peter Josef Lenné erdacht hat.

Ein reiches Industrieland wie der Bundesrepublik hat viele Möglichkeiten, Traditionen zu retten. So ist Bad Freienwalde inzwischen wieder das nördlichste Skisprungzentrum Deutschlands. Die alte Schanze verfiel seit den 70er Jahren unter anderem wegen schneearmer Winter. Vor einigen Jahren haben die Freienwalder vier neue Schanzenanlagen gebaut, die mit mit Anlaufspuren aus Keramik und speziellen Matten belegt sind, so dass sie ganz ohne Schnee auskommen.

Die Herausforderung annehmen

Für menschliche Gemeinschaften, die noch von der Natur abhängen, wird es weniger Ausweichmöglichkeiten geben. Den drohenden Verlusten ins Auge zu sehen, empfiehlt die Wissenschaftlerin Lesley Head. Denn daraus könnten Verantwortungsgefühl, Kreativität und neue Fähigkeiten erwachsen.

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