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Panorama: Ikone des Bösen

Myra Hindley, die Moormörderin, die die Briten aufbrachte und die Kunst inspirierte, starb 60-jährig im Gefängnis

Von Matthias Thibaut

Ihre Leiche wird jetzt von der Polizei bewacht. Auch als Tote ist Großbritanniens berüchtigtste Mörderin und Haftgefangene, Myra Hindley, nicht vor dem Hass der Briten sicher. Boulevardzeitungen würden Zehntausende für ein Bild von ihr im Sarg bezahlen. „Der Teufel", schrieb die „Sun" gestern in dicken, schwarzen Schlagzeilen. „Endlich ist sie, wo sie hingehört. In der Hölle".

Viele Zeitungen druckten Auszüge aus der 16 Minuten langen Tonbandaufnahme ab, die Myra Hindley und ihr Komplize Ian Brady, die „Moormonster", vom sadistischen Mord an der 12-jährigen Lesley Anne Downing am zweiten Weihnachtsfeiertag 1964 machten. Als die Aufnahme am 26. Oktober 1966 in voller Länge im Strafgericht von Chester abgespielt wurde, verließen hartgesottene Polizisten weinend den Saal. Großbritannien, schrieben die Zeitungen damals, hat seine Unschuld verloren.

Ohne Reue

Schon bevor die 60-jährige herz- und lungenkranke Hindley am Freitagabend den letzten Atem aushauchte, standen die Kamerateams vor dem West Suffolk Hospital in Bury St. Edmunds und berichteten nonstop über das Ereignis. Eine halbe Stunde vor Hindleys Tod hatte die Sky-Reporterin plötzlich ein schwarzes Kostüm an. Die BBC schickte ein Kamerateam ins gottverlassene Saddleworth Moor bei Manchester, den nebelverhangenen Schauerort, wo Hindley und Brady vier Kinder sexuell missbraucht, sadistisch gequält, mit dem Spaten erschlagen und im Moor verscharrt hatten. Verhaftet wurde das Paar nach dem Mord an seinem fünften Opfer, dem 17-jährigen Edward Evans. Zwei Monate zuvor war in Großbritannien die Todesstrafe abgeschafft worden.

An perversen Serienmördern ist in der britischen Kriminalgeschichte von Peter Sutliffe bis Fred und Rose West kein Mangel. Doch Hindley ist für die Briten die Inkarnation des Bösen. Man verstand nicht, wie sich eine Frau an Sexualmorden an Kindern beteiligen und dabei noch Tonbandaufnahmen und pornografische Fotos machen konnte. Hindley war Brady-hörig, einem Wahnsinnigen, der sich, wie Dostojewskis Raskolnikow, jenseits von Gut und Böse fühlte. Aber sie war es, die die Kinder ins Hochmoor entführte. Brady folgte mit dem Motorrad. Im Gericht saß sie teilnahmslos und ohne Reue.

Vielleicht war es ihre Schuld, dass sie 36 Jahre nicht aus dem Gefängnis und kaum je aus den Schlagzeilen kam. Brady kämpft heute mit Hungerstreik auf das Recht zu sterben – was dem für unzurechnungsfähig Erklärten verwehrt wird. Hindley aber betrieb, kaum verurteilt, die Wiederaufnahme des Verfahrens, beteuerte ihre Unschuld und schob Brady alle Schuld zu. Sie wurde katholisch und sagte „Gott hat mir verziehen". Aber die Öffentlichkeit nahm ihr die Reue nie ab. Erst 1987 gestand sie die letzten beiden Morde und führte die Polizei an die Gräber im Moor. Doch die Leiche des 12-jährigen Keith Bennet wurde bis heute nicht gefunden.

Für andere ist Myra Hindley aber das Opfer einer modernen Form der Lynchjustiz. Angesichts des Drucks der Boulevardpresse hatten es vier Innenminister hintereinander nicht gewagt, eine Freilassungsurkunde für die Lebenslängliche zu unterzeichnen, als die dafür üblichen 25 Haftjahre vorbei waren. „Ich werde nicht der Innenminister sein, der Hindley frei lässt", soll der heutige Außenminister Jack Straw im privaten Kreis gesagt haben.

„Myra Hindley war Großbritanniens prominenteste politische Gefangene", sagte einer ihrer wenigen Freunde. „Mit dieser überlangen Haftstrafe hat sich unserer Gesellschaft erniedrigt", kommentierte gestern der „Guardian".

Der Vorname Myra ist in Großbritannien nach den Moormorden praktisch ausgestorben – wie der Name Adolf in Deutschland. Das Polizeibild der 24-jährigen Stenotypistin mit den starren dunklen Augen und dem wasserstoffblonden Haar ist für die Briten die Ikone des Bösen schlechthin.

Als der Maler Marcus Harvey 1997 im Rahmen der umstrittenen „Sensation“-Ausstellung in der Royal Academy ein großformatiges Hindley-Porträt aus den Farbabdrucken von Kinderhänden zeigte, schleuderte ein Familienvater Tinte gegen das Bild. Wachposten beschützten fortan das Portrait.

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