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Panorama: Im Disneyland der Alpengipfel

Reinhold Messner warnt vor der ungehemmten Nutzung der Natur / Kritik am AlpenvereinVON ANNETTE KÖGEL"Nimm nur Erinnerungen mit und hinterlasse lediglich deine Fußspuren." Hinweistafeln wie diese findet man in vielen amerikanischen Nationalparks.

Reinhold Messner warnt vor der ungehemmten Nutzung der Natur / Kritik am AlpenvereinVON ANNETTE KÖGEL"Nimm nur Erinnerungen mit und hinterlasse lediglich deine Fußspuren." Hinweistafeln wie diese findet man in vielen amerikanischen Nationalparks.Für die Bergwelt Europas und Asiens kämen sie zu spät.Wer in den Dolomiten klettert, kommt an leeren Getränkebüchsen und weggeworfenem Müsliriegelpapier vorbei.Auf den höchsten Gipfeln der Welt stolpern Alpinisten über Sauerstoffflaschen und Plastiktüten mit Medikamenten.Darüberhinaus haben Kletterer allerorten unzählige Kletterhaken in die Felsen gebohrt."Der Mensch ist dabei, die Berge kaputtzuerschließen", sagt Reinhold Messner.Der Bergsteiger und Abenteurer warnt mit seinem neuen Buch vor dem Ausverkauf der Natur. Vor 200 Jahren waren es noch einzelne Pioniere, die mit spärlichen Hilfsmitteln bei Klettertouren ihre eigene Angst überwanden und am Gipfelkreuz den einzigartigen Triumph genossen.Heute strömen Hunderttausende in die österreichischen, schweizerischen und deutschen Gebirge."Die Berge wurden zu einem Konsumgut degradiert", bedauert Messner.Bergbahnen tragen untrainierte Großstädter Tausende Höhenmeter hinauf, wo sie über asphaltierte Straßen bis zum Gipfelkreuz schlendern.Zudem haben die jungen Fun-Sportler den Respekt vor der Natur verloren.Absperrbänder werden überfahren, unberührt glitzernde Hänge locken Skifahrer und Snowboarder.Bis in den Tod. Nach Statistiken des Deutschen Alpenvereins (DAV) verunglücken allein in den Alpen jedes Jahr etwa 1000 Menschen.Allein zwischen Mitte Juli und Ende August 1997 mußte die Bergwacht über 80 Tote bergen.Die Tendenz ist steigend, sagt Messner, auch wenn die Zahl der Unfälle im Verhältnis zur gestiegenen Urlauberzahl sank.Die Anzahl der bergbegeisterten Deutschen schätzt Messner auf sechs Millionen, der Deutsche Alpenverein zählt rund 600 000 Mitglieder. Zwischen ihnen und dem Kletterer-Idol klafft derzeit eine scheinbar unüberwindbare Gletscherspalte.Der DAV will seine Wander- und Klettertouren sicherer machen und Hilfsmittel wie Trittbügel, Halterungen und Seile erneuern oder neu installieren.Für Messner eine "Beschädigung öffentlichen Gutes, wie sie in Amerika längst strafbar ist".Die Alpinisten seien auf dem falschen Pfad, kritisiert Messner: "Die Berge dürfen nicht zu Disneyland für jedermann werden.Nehmen wir der Bergwelt die Wildnis, nehmen wir ihr den Reiz." Aber hat nicht der Alpinist und Abenteurer durch spektakuläre Besteigungen und Medienauftritte mit dazu beigetragen, diese Lawine loszutreten? "Sicher habe ich mich für das Bergsteigen stark gemacht", kontert der 53jährige, "aber für ein anderes Bergsteigen.Die Leute haben nicht richtig hingehört." Wer es mit einem Gipfel aufnimmt, muß "nachts vor Aufregung schlecht schlafen und sich nicht durch Retter der Bergwacht in trügerischer Sicherheit wähnen".Angst sei ein unverzichtbarer Filter.Mit allzuviel technischer Hilfe gerate der Berg zur Attrappe, die Besteigung zum Selbstbetrug.Langfristig werde so auch die Tourismusbranche und der Markt der Bergführer abstürzen, sagt Messner voraus.Der Reiz der Berge - für immer verschüttet.Kletterhallen, wie man sie auch in Berlin besuchen kann, seien deswegen unentbehrlich und "ökologisch völlig in Ordnung". Wenn das Plädoyer des Naturfreundes bei den organisierten deutschen Alpinisten auf taube Ohren stößt - müßte Reinhold Messner dann nicht mehr tun? Womöglich Beziehungen zu Fremdenverkehrsmanagern ausspielen, Modellprojekte ins Leben rufen - bevor irgendwann einmal politische Verbote greifen? In Südtirol habe er ja bereits solche Versuche erfolgreich gestartet, wie die Wiederbelebung einer Bergbauern-Region, antwortet Messner.Nun will er Bergfreunden vor allem mit seinem Buch (Berg heil - heile Berge? Rettet die Alpen.BLV Verlagsgesellschaft München, 48 DM) sowie Auftritten in Fernsehtalkshows ins Gewissen reden. Am Dienstag war der wohl prominenteste Bergsteiger der Welt zu Gast in Berlin.Die Berliner Volksbank hatte Mittelständler, Jungunternehmer und Führungskräfte zu einem Vortrag über Motivation geladen."Motive lassen sich nicht verordnen.Da muß es im eigenen Hirn zünden", erklärt der Referent - auf daß es bei den Alpinisten Geistesblitze gebe.

ANNETTE KÖGEL

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