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Bei Beckmann. Kampusch am Montag in der vorher aufgezeichneten Sendung.

© dpa

Im Keller gefangen: Natascha Kampusch: 3096 Tage "Bibiana"

Er ist der "Entführer" oder der "Täter". Ihren Peiniger nennt sie nie bei seinem Namen. Natascha Kampusch hat ein Buch über ihr Martyrium im Kellerverlies von Wolfgang Priklopil verfasst.

Bibiana war duldsam, still und wehrlos. So wünschte sich Wolfgang Priklopil seine „Frau“, sein Opfer, dem er sogar den Taufnamen raubte. Exakt 3096 Tage lang war Natascha Kampusch „Bibiana“. Gefangen in einem Kellerverlies von einem scheinbar harmlosen Einzelgänger, der es nicht wagte, erwachsene Frauen anzusprechen.

„3096 Tage“ lautet der Titel ihrer Autobiografie, die am Mittwoch erscheint. Die Rolle der Bibiana, erzählt die mittlerweile 22-Jährige, habe ihr geholfen das Martyrium zu überstehen. „Er ließ mich hungern, damit ich keine Kraft mehr habe zum Zurückschlagen.“ Kampusch berichtet von Schlägen, Brandwunden und Würfen mit einem Stanleymesser. Über ein Mikrofon habe ihr Peiniger Befehle ausgegeben: „Wie im Spital oder in chinesischen Restaurants, wo oben ein Lautsprecher ist und man kann nichts machen, man muss sich das anhören“.

Am 13. März 1998 passte Priklopil die damals Zehnjährige in Wien ab, zerrte sie in einen weißen Kastenwagen und brachte sie zu seinem 20 Kilometer entfernten Einfamilienhaus. Acht Jahre lang hielt er das Mädchen in einem winzigen Kellerraum gefangen, hinter einem meterdicken Tresor. „Eine normale Tür hätte auch gereicht“, sagt Kampusch in einem Interview der österreichischen Nachrichtenagentur APA. „Dieses Gefängnis ist ja auch innen. Ein zehn-, elf- oder zwölfjähriges Mädchen kann sich nicht wehren oder irgendwelche Fluchtpläne schmieden.“

Das Tageslicht sollte sie erst Jahre später wiedersehen. So sicher war sich Priklopil seiner Sache, dass er Kampusch vereinzelt zu Ausflügen mitnahm. Im Sommer 2006 gelang ihr die Flucht. Da war Natascha Kampusch bereits eine junge Frau.

Noch am selben Tag warf sich Priklopil vor einen Zug. Kurz vor seinem Freitod hatte er sich seinem Freund Ernst H. anvertraut. Irgendwann, so erzählte der Entführer, habe er Kampusch heiraten wollen. Während die Weltpresse bereits über den Fall Kampusch berichtete, trug Ernst H. sein schauriges Geheimnis noch tagelang mit sich herum. Hartnäckig hielt sich der Verdacht, dass er von Anfang an eingeweiht war. Nach schweren Ermittlungspannen der österreichischen Behörden wurde der Fall im Vorjahr neu aufgerollt.

Erst Ende August wurde auch dieses Kapitel mit einem Freispruch für Ernst H. geschlossen. Für die Justiz steht fest: Priklopil hatte keine Komplizen. Auch Kampusch hatte dies stets beteuert. Doch vor allem die Boulevardpresse zweifelte an den Ausführungen der jungen Frau, die nur wenige Wochen nach ihrer Flucht ein erstes TV-Interview gab. Millionen sahen einen leicht pummeligen Teenager, das blonde Haar unter einem lila Kopftuch versteckt. Kampusch sprach mit sonorer Stimme, ihre Worte waren altersuntypisch gewählt. Ihre einzige Zerstreuung, erzählte sie, sei der österreichische Kultursender Ö1 gewesen. Als Traumberuf gab sie Journalistin an. Ein kleiner Wiener Sender erfüllte ihr den Wunsch. Für kurze Zeit konnte Kampusch eine Talkshow moderieren. Viel Erfolg war ihr nicht beschieden: Die Sendung wurde bald eingestellt.

Auch ihr Buch ist in ausgewählter Sprache verfasst. Geschrieben allerdings von einem Ghostwriter: „Ich hatte eine Blockade, weil das einfach nicht aus mir rauswollte“, sagt Kampusch. Was auffällt: Ihren Peiniger nennt sie nie bei seinem Namen. Priklopil ist der „Entführer“ oder der „Täter“. Sie wollte nicht, dass der Leser mit dem Verbrecher auf „Du und Du“ ist. „Es ist ja auch mein Buch und nicht seines.“

Wolfgang Rössler

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