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Panorama: Im Namen des Verurteilten

Warum Kindermörder Magnus Gäfgen trotz erwiesener Täterschaft eine Wiederaufnahme erwirken kann

Möglicherweise werden sich deutsche Richter bald erneut mit der Entführung und Ermordung des elf Jahre alten Frankfurter Bankierssohns Jakob von Metzler im September 2002 beschäftigen müssen. Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof (EGMR) in Straßburg hat eine Beschwerde des zu lebenslanger Haft verurteilten Täters Magnus Gäfgen einstimmig zur Sachentscheidung angenommen.

Darin wird geltend gemacht, dass ein „faires Verfahren“, wie es Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) vorsieht, gegen ihn nicht mehr möglich gewesen sei, nachdem ermittelnde Beamte während des Verhörs gedroht hatten, ihm Schmerzen zuzufügen.

Das ist ein Verstoß gegen das Folterverbot aus Artikel 3 der EMRK. Die Bundesrepublik hatte beantragt, die Beschwerde als unzulässig abzuweisen.

Gäfgens Anwalt, Michael Heuchemer, stützt seine Argumentation unter anderem auf die Tatsache, dass im Prozess vor dem Landgericht Frankfurt Beweismittel verwendet wurden, die den Strafverfolgungsbehörden ohne das erzwungene Geständnis seines Mandanten gar nicht zur Verfügung gestanden hätten. Nach der Tat hatte sich Gäfgen bei seiner Vernehmung auf dem Frankfurter Polizeipräsidium trotz stundenlanger Befragung geweigert, den Verwahrort seines Opfers preiszugeben.

Im Glauben, das Leben des Kindes noch retten zu können, hatte der damalige Polizei- Vizepräsident Wolfgang Daschner Gäfgen androhen lassen, ihm unter ärztlicher Aufsicht Schmerzen zuzufügen, um ihn so zu einer Aussage zu zwingen. Gäfgen hatte daraufhin die Tat gestanden und auch das Versteck der Leiche genannt. Anschließend waren Beamte mit ihm zu einem See bei Birstein gefahren, ohne die Ankunft seines Verteidigers abzuwarten.

Der Fall ist schwierig, weil er moralisch eine Eindeutigkeit nahelegt, die juristisch nicht gegeben ist. So wurde im Prozess vor dem Landgericht Frankfurt zwar das mündliche Geständnis Gäfgens als Beweismittel ausgeschlossen, nicht aber die anschließend sichergestellten Sachbeweise am Fundort, der erst aufgrund der Aussage ausgemacht werden konnte.

Gäfgen hatte gegen diese Entscheidung in mehreren Instanzen erfolglos Rechtsbehelfe eingelegt, in der Verhandlung allerdings erneut ein umfassendes Geständnis abgelegt. Für seine Verurteilung sei dieses zweite Geständnis jedoch nicht entscheidend gewesen, so die Frankfurter Richter seinerzeit in ihrer Urteilsbegründung, weil seine Täterschaft schon aufgrund der Indizien festgestanden habe. Zusätzlich erkannte das Gericht eine besondere Schwere der Schuld.

Gäfgens Beschwerde, so der EGMR in seinem Beschluss, werfe „in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht bedeutende Sachfragen“ auf, über die entschieden werden müsse.

Sollten sich die Straßburger Richter der Rechtsauffassung der Beschwerdeführer anschließen, wäre der Fall wohl erneut vor einem bundesdeutschen Gericht zu verhandeln.

Hans-Ullrich Paeffgen, Direktor des Lehrstuhls für Strafrecht und Strafprozessrecht der Universität Bonn, sieht eine „hohe Wahrscheinlichkeit“, dass die Entscheidung aus Straßburg zu einer Verurteilung der Bundesrepublik führen wird. Ähnlich wie beim Bundesverfassungsgericht scheiterten beim EGMR rund 90 Prozent aller Beschwerden bereits im Vorprüfungsverfahren oder an der fehlenden Zulässigkeit. „Wenn diese Hürde genommen ist“, so Paeffgen, spreche vieles für eine Entscheidung „mit verurteilender Erkenntnis zulasten des belasteten Staates“.

Nach Bekanntwerden der neuen Entwicklungen im Fall Gäfgen haben Hacker am frühen Montagmorgen die Website seines Anwalts Michael Heuchemer für mehrere Stunden blockiert, auf der zuvor eine ausführliche Stellungnahme des Rechtsanwalts zu lesen war. Staatsanwaltschaft Koblenz und Kriminalpolizei ermitteln wegen Computersabotage gegen die bisher unbekannten Täter.

Karin Ceballos Betancur

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