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Panorama: „In Deutschland ist alles so einheitlich“

Der 17-jährige Nigerianer Olayinka wohnt in Berlin. Er ist in „Rhythm is it“ zu sehen. Eine Begegnung

Als neuer Chefdirigent der Berliner Philharmoniker erfand Sir Simon Rattle 2002 die „Education Projects“. Zusammen mit dem Tanzstudio „Faster than Light“ des Briten Royston Maldoom, der seit vielen Jahren als Choreograf arbeitet, wurde zu Igor Strawinskys Stück „Le sacré du printemps“ eine Tanzaufführung mit 240 Berliner Schülern realisiert. Dieses Projekt wird von einem Filmteam um die Regisseure Thomas Grube und Enrique Sánchez Lansch dokumentiert. Sie zeigen die Probenarbeit der Philharmoniker und der Tanzeleven, den weiten Weg vom wild wuselnden Haufen zur konzentrierten Tanzgruppe – und die Aufführung in der Arena Treptow, die von Rattle mit den Worten „That was fucking unbelievable“ kommentiert wird.

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Bei der Premiere von „Rhythm is it“ hast du neben Sir Simon Rattle auf der Bühne gestanden. Wie war das?

Es war unglaublich. Simon Rattle ist ein großer Mann, und wir sind alle sehr stolz.

Wie hast du von dem Education Project der Berliner Philharmoniker erfahren?

Ich war erst seit wenigen Monaten in Deutschland, als unsere Lehrerin uns davon erzählt hat. Sie erklärte uns, wer die Berliner Philharmoniker sind, dass es um eine Tanzaufführung zu klassischer Musik von Strawinsky geht und dass Royston Maldoom mit vielen Jugendlichen eine Choreografie erarbeiten würde. Dann hat sie uns Zettel für die Anmeldung gegeben und gesagt, wer mitmachen will, braucht dafür die Unterschrift seiner Eltern. Da ich keine Eltern mehr habe, hat mein Betreuer im Wohnheim für mich unterschrieben.

Warum wolltest du gern bei dem Projekt mitmachen?

Das war eine große Chance für mich, tanzen zu lernen, neue Kontakte zu knüpfen. Außerdem hatte ich das Gefühl, dass das Projekt etwas Einmaliges sein würde.

Hast du vorher schon klassische Musik gehört?

Nein. In Nigeria haben wir völlig andere Musik. Als ich „Le sacré du printemps“ zum ersten Mal gehört habe, fand ich es sehr fremdartig und dachte: Wie soll man zu dieser Musik tanzen können?

Dann warst du bei einer Orchesterprobe in der Philharmonie dabei …

Als wir hörten, wie die Philharmoniker die Musik live für uns spielten, haben wir verstanden, dass es etwas ganz Besonderes ist. Sie waren fantastisch, also haben wir gedacht, wir müssen beim Tanzen auch fantastisch sein.

Welche Musik hörst du zu Hause?

Hiphop und Reggae, dazu tanze ich auch gern. Außerdem höre ich Musik aus Nigeria und anderen afrikanischen Ländern. Unsere Musik wird von Schlaginstrumenten, hauptsächlich Trommeln, dominiert. Ich könnte mich nicht zu einer Musik bewegen, die keinen Rhythmus hat. Es dauerte nur eine Weile, bis ich ihn in Strawinskys Musik gefunden habe. Anfangs fiel mir auch die Choreografie schwer, weil die Art der Bewegungen so ungewohnt für mich war, aber Royston hat uns alles genau erklärt und vorgemacht, und dann habe ich es ziemlich schnell begriffen. Es war nicht vergleichbar mit den Tänzen, die ich früher kannte, aber es war toll.

Welche Rolle haben Musik und Tanz in deinem früheren Leben gespielt?

In Nigeria sind Musik und Tanz viel mehr Teil unseres täglichen Lebens als in Deutschland. Es gibt viele verschiedene Volksgruppen und Stämme im Land, und jeder davon hat seine eigene Musik, seine eigenen Tänze. Schon kleine Kinder lernen die Tänze ihres Volkes von den Eltern, in der Familie wird viel getanzt und natürlich bei Festen.

Im Film sagst du, dass du in Deutschland die Kultur vermisst. Was meinst du damit?

Mein Stamm, die Yoruba, unterscheidet sich in vielen Dingen von anderen afrikanischen Kulturen. Wir haben eine eigene Sprache, Musik, Literatur, Architektur; unsere Kleidung, unser Essen und unsere Bräuche unterscheiden sich von denen in anderen Teilen Nigerias. Wir werden aber auch dazu angehalten, etwas über die anderen Kulturen und deren Sitten zu lernen. In Deutschland ist alles so einheitlich, es werden keine kulturellen Traditionen und Eigenheiten gepflegt. Viele wissen wenig über die Geschichte ihres Landes, ihrer Stadt oder ihrer Familie. In Deutschland ist Kultur etwas für besondere Gelegenheiten. Die Leute gehen manchmal in ein Konzert oder in ein Museum, aber sie beschäftigen sich nicht jeden Tag damit.

Du sagst auch, dass du möglichst viel lernen möchtest. Bist du ein Streber?

Meine Eltern haben mir immer erklärt, dass Lernen etwas Gutes ist. Sie sagten, dass ich nicht für sie, sondern für mich selbst lernen muss, für mein Leben und meine Zukunft. Sie haben wohl geahnt, dass sie nicht lange bei mir bleiben können. Einige meiner Mitschüler sagen, sie haben keinen Bock auf Schule. Das kann ich nicht verstehen. Manche liegen lieber im Bett, gucken Fernsehen oder machen Computerspiele, aber das bringt sie nicht weiter.

Beim Tanztraining hat Royston euch so streng behandelt, dass eure Lehrerinnen protestiert haben. Fandest du auch, dass er zu hart mit euch umging?

Nein. Wenn er uns nicht immer wieder angetrieben hätte, hätten wir es niemals bis zur Aufführung geschafft. Viele geben sich mit sehr wenig zufrieden. Sie stellen keine hohen Anforderungen an sich selbst, weil sie sich nichts zutrauen. Doch man kann immer noch etwas besser sein, wenn man gefordert wird. Dass Royston streng mit uns war, hat schließlich dazu geführt, dass wir am Ende etwas Außergewöhnliches geleistet haben.

Glaubst du etwa, dass die Jungen in Deutschland zu viel Freiheit haben?

Wir haben eine Redensart: „Freedom is good, but only if you use it wisely“. I

Hat sich für dich etwas verändert, seit der Film in den Kinos läuft?

Manchmal sprechen mich tatsächlich Fremde an: „Hey, ich hab dich im Kino gesehen!“ Die meisten sind sehr freundlich und sagen, dass sie es toll finden, was ich tue. Das macht mich glücklich.

Die Fragen stellte Bettina Klatz.

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