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Panorama: Intergalaktischer Unfall

Forscher beobachten Kollision von Galaxienhaufen

Die Schwerkraft ist eine kapitalistische Kraft: Ihretwegen wachsen die größten Materienansammlungen im Universum immer weiter. Galaxien verbinden sich zu Gruppen und Haufen, verschmelzen miteinander, und schließlich jagen auch diese Galaxienhaufen zum großen Crash aufeinander zu. Eine derart gewaltige Kollision haben Wissenschaftler nun mit dem europäischen Röntgensatelliten „XMM-Newton“ beobachtet. Bei diesem frontalen Zusammenstoß zweier Galaxienhaufen vereinten sich mehrere tausend Galaxien und Billionen Sterne zu einem Gebilde. „Wir sehen hier vor unseren Augen die Entstehung eines der größten Objekte im Universum“, sagt der Astrophysiker Patrick Henry von der University of Hawaii, der das Beobachtungsteam leitete. Der neu entstandene Galaxienhaufen „Abell 754“ liegt im Sternbild Wasserschlange. Astronomisch gesehen, ereignete sich die Massenkarambolage damit nicht weit von der Milchstraße entfernt: lediglich 800 Millionen Lichtjahre weit weg.

Es war den Forschern trotzdem nicht möglich, die Verschmelzung der beiden Galaxienhaufen Schritt für Schritt zu verfolgen. Sie konnten sie nur aus den gewonnenen Daten rekonstruieren. Kosmische Kollisionen haben nämlich nicht die Geschwindigkeit von Verkehrsunfällen. Sie gehen äußerst langsam vor sich. Schon geologische Prozesse auf der Erde – etwa das Zusammenwachsen zweier Kontinente – ziehen sich über Millionen Jahre hin. So bewegt sich derzeit der afrikanische Erdteil auf Europa zu. Aber bis das dazwischen liegende Mittelmeer völlig verschwunden sein wird, könnten noch etwa 50 Millionen Jahre verstreichen. In kosmischen Dimension sind 50 Millionen Jahre ein Augenblick. Im Moment rast zum Beispiel unsere Milchstraße mit rund 500000 Kilometern pro Stunde auf ihre Nachbargalaxie Andromeda zu. Doch bis zum großen Knall wird es noch etwa fünf Milliarden Jahre dauern.

Auch „Abell 754“ ist nicht von heute auf morgen entstanden. Die Astronomen haben nur eine Momentaufnahme des Zusammenpralls gemacht. „Was vor 300 Millionen Jahren noch zwei kleinere, getrennte Galaxienhaufen waren, ist nun ein großer Haufen in Aufruhr“, sagt Henry. Er und seinen Kollegen, zu denen auch Alexis Finoguenow und Ulrich Briel vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Garching gehören, vergleichen den Zusammenprall der beiden Galaxienhaufen mit dem Aufeinandertreffen zweier Wetterfronten. Das Ereignis habe Hurrikan-ähnliche Verhältnisse und eine Schockwelle mit 100 Millionen Grad Celsius heißem Gas losgetreten.

Der grobe Aufbau von „Abell 754“ war den Wissenschaftlern schon lange bekannt, der Haufen gehört zu den größten Gebilden im Kosmos. Erst jetzt konnten die Astrophysiker seine Geschichte nachzeichnen und die Massenkarambolage im Detail analysieren. „Der eine der beiden Haufen ist offenbar aus nordwestlicher Richtung kommend in den anderen eingedrungen“, sagt Finoguenow.

Dabei half ihnen auch der Vergleich mit anderen derartigen Kollisionen: etwa mit „Abell 2256“, wo sich zwei Galaxienhaufen erst am Beginn ihrer Verschmelzung befinden, oder „Abell 1795“, wo sich der einstige Sturm längst wieder gelegt hat. Bis „Abell 754“ dagegen wieder zur Ruhe kommt, werden noch mehr als eine Milliarden Jahre vergehen.

Nach Ansicht der Forscher zeigen die Beobachtungen, dass die größten Strukturen im Universum noch mitten in ihrer Entwicklung begriffen sind. Verschmelzungen einzelner Galaxien waren im frühen Universum allerdings viel häufiger als heute. Damals entstanden in den Galaxien auch viel mehr neue Sterne als heutzutage: Die Sternentstehungsrate war etwa zehn Mal höher. Die Materie hat sich erst nach und nach in immer größeren Welteninseln konzentriert. Heutige Kollisionen von Galaxienhaufen setzten eine Energiemenge frei, die nur von der des Urknalls übertroffen worden sei, schätzen die Wissenschaftler.

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