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Panorama: Internet: Im Netz der Gefühle

Elektronische Liebesbriefe, die unscheinbare SMS-Botschaft als Beginn einer Beziehung, Flirten im Chatroom - wie es scheint, sind die neuen Medien geradezu ideal für Verliebte. Die Schreibmaschine war ja für die Liebesbotschaft schon immer tabu.

Elektronische Liebesbriefe, die unscheinbare SMS-Botschaft als Beginn einer Beziehung, Flirten im Chatroom - wie es scheint, sind die neuen Medien geradezu ideal für Verliebte. Die Schreibmaschine war ja für die Liebesbotschaft schon immer tabu. Aber auch gegenüber dem normalen Liebesbrief besitzen E-Mail und SMS einen entscheidenden Vorteil: Ein Brief ist ein Bekenntnis. Gerade in der Mühe, die der handgeschriebene Brief mit sich nimmt, liegt, zumindest in der Flirtphase, etwas Belastendes - und damit ein Risiko. Virtuelle Flirts hingegen eignen sich gerade aufgrund ihrer Leichtigkeit.

Auf elektronischen Liebesbriefen hat sich Ende der 70er ein ganzes Firmenimperium aufgebaut: Weil Sandra Lerner und Leonard Bosack an der Stanford University an verschiedenen Mailsystemen hingen, ersannen sie sich eine Brücke für ihre Turtel-Mails. Das Ergebnis: Der "Router" - ein Kasten zur Vernetzung unterschiedlicher Computersysteme. Heute ist daraus Cisco geworden - der US-Weltkonzern für Netzwerke.

Herzbewegende Nachrichten durch die Netze zu schicken, ist heute nicht nur salonfähig - es ist ein weit verbreitetes Phänomen. Jeder vierte User sendet Liebesbriefe per Mausklick, jeder Sechste flirtet virtuell, so eine Umfrage bei 14- bis 69-Jährigen. Wer es also nicht schon vorher war, wird auch durch das Internet nicht einsam, im Gegenteil: Fast zwei Drittel der Surfer melden sich sogar bei Freunden, von denen sie länger nichts gehört haben oder verschicken spontan Grüße übers Netz. Fast genauso viele halten so Kontakt zu Verwandten und Freunden in weiter Ferne.

Auch wenn das Medium ideal erscheint, die Worte können trotzdem fehlen. Im Netz bieten deshalb Briefschreiber-Services wie www.romantische-briefe.de Hilfe. Dort kann man aber nicht nur den Liebes- oder Sorry-Brief bestellen, auch für Oster- oder Weihnachtsgrüsse gibt es Unterstützung. Profi-Ghostwriter kümmern sich um Gefühlssätze - Kostenpunkt: 40 Mark.

Wissenschaftler arbeiten inzwischen auch an der Übertragung von Parfümbeduftung elektronischer Nachrichten: Ein US-Unternehmen will im Herbst ein Gerät vorstellen, das virtuell übertragene Düfte in Nutzernasen sprüht. Die Duftdose hängt am PC wie ein Lautsprecher, Software übersetzt den chemischen Aufbau der Gerüche in Codes. Diese Daten werden dann an E-Mails angehängt und lassen die mit Ölen gefüllte "iSmell"-Box einen Duft-Cocktail mixen.

Auch wem der Adressat für Liebesbriefe abhanden gekommen ist, kann sich im Netz das Herz erleichtern. Kummerkasten-Angebote haben Konjunktur. Der katholische Religionslehrer Uwe Holschuh zum Beispiel aus Unterfranken gründete vor fünf Jahren www.kummerkasten.de - mit beispiellosem Erfolg: Die Webseite ist mit 20 000 Klicks im Monat die beliebteste Online-Lebenshilfe im deutschsprachigen Raum. Ob aus Liebeskummer oder Lebensfrust - bei Kummernetz.de schildern junge Erwachsene ihre Sorgen. Die Antwort kommt binnen einer Woche von acht Theologen und 14 Beratern aus unterschiedlichen Berufen, vom Psychologen bis zur Steuerberaterin.

Viele Menschen hätten für tiefere Gespräche keinen Ansprechpartner, sagt Uwe Holschuh: "Die Kontakte werden oberflächlicher". Da werde zusammen geblödelt und gelacht, aber was wirklich bewegt, behalte jeder für sich. Professionelle Berater würden oft nur zögernd genutzt. Auch hier sorgt die niedrige Hemmschwelle im Internet für Offenheit - Tastatur, PC und Modem machen noch anonymer als das Telefon. Locker könnten Probleme und Lösungen besprochen werden, etwa eine Therapie.

Auch für den, der die Liebe enttäuscht hat, hat das Netz Passendes im Angebot. Etwa den Rache-Service www.meetpoint.de , der den Vergeltungstrieb und die Schadenfreude bedient. In der Schweiz lockte das Angebot in sechs Wochen 10 000 Besucher. Verletzte Gefühle, nackter Zorn, Böswilligkeit und Gerechtigkeitsverlangen prägen laut Projektleiter Christian Riesen die Mails. Inzwischen kämen die Mitarbeiter kaum nach, Rache-Texte zu redigieren und ins Netz zu stellen.

Margret Steffen

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