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Interview: Reise ins Pornoland

Der Journalist Philip Siegel recherchierte ein Jahr in der deutschen Sexfilm-Branche. Im Interview spricht er über Potenzprobleme, Zirkusnummern und Amateurregisseure.

Herr Siegel, Sie sind ein Jahr durch die Pornobranche gereist, haben Darsteller interviewt und beim Dreh von Filmen wie „Deutschlands geilste Hausfrauen“ zugeschaut. Kann Sie noch etwas schocken?

Ich war nie geschockt, sondern überrascht. Ich hatte erwartet, in ein halb kriminelles Milieu einzudringen. Stattdessen traf ich auf viele sympathische, humorvolle Menschen, die sehr offen waren. Kein einziges Mal hat jemand gesagt: Darüber darfst du nicht schreiben.

Verzeihung, Sie saßen mit Ihrem Notizblock zum Beispiel in einem Folterkeller, in dem eine Frau von drei Männern ausgepeitscht wurde – und da haben Sie nie gedacht: Wo bin ich hier bloß hineingeraten?

Das Merkwürdige ist: Dieses Gefühl hatte ich immer nur im Vorfeld. Ich habe mir zur Vorbereitung natürlich DVDs angeguckt von den Firmen, die ich anschließend besucht habe. Manchmal wurde ich unsicher, ob ich da wirklich hin will. Beim Dreh sah dann alles harmloser aus, oft hatte es was Spielerisches. Als die ausgepeitschte Frau, die übrigens masochistisch veranlagt war, niesen musste, sagten alle „Gesundheit“ – und die Frau lachte am lautesten.

Sie schreiben, der Mann sei das schwache Geschlecht am Porno-Set.

Der rote Faden, der sich durch meine Reise zieht, sind Männer, die nicht konnten, wie sie sollten. Das waren anrührende, auch unangenehme Situationen. Im Porno erscheint der Mann als seelenloser Potenzautomat. Es gibt hierzulande nur ein Dutzend Profis, die diesem Druck dauerhaft gewachsen sind. Daran hat Viagra nichts geändert. Für viele ist es eine Frage der Ehre, das nicht zu nehmen. Außerdem gewährleistet Viagra ja nicht die Erregung. Doch der Mann muss kommen, oft auf Zuruf des Regisseurs. Dazu gehört Konzentration, manche meditieren vor dem Dreh. Das Paradox des Pornos besteht darin, dass ein Höchstmaß an körperlicher Selbstbeherrschung nötig ist, um ungezügelte Lust darzustellen.

Der Vorwurf der feministischen Pornokritik lautet: Frauen werden in den Filmen als Objekte dargestellt und erniedrigt.

Pornos geben den Leuten, was die sehen wollen; Deutschland ist der zweitgrößte Markt nach den USA. Und anders als Alice Schwarzer behauptet, sind die Zuschauer nicht nur Männer. In einer Studie von 2003 gaben 48 Prozent der befragten Frauen an, Pornos zu mögen. Und bei einer der größten Untersuchungen zum Sexualverhalten der Deutschen 2008 meinten 12,9 Prozent der Frauen, sie würden sich einmal monatlich Pornografie ansehen. Manche Frauen stehen ja auch darauf, beim Sex erniedrigt zu werden – das ist eine Fantasie. Ich bin einigen begegnet, die in Pornos mitspielen, um das in einem gesicherten Umfeld auszuleben: Wo es einen Regisseur gibt, der aufpasst, und flächendeckende Aids-Tests. Pornografie ist eine Art abgewandte Seite des Mondes, wo Dinge ihren Widerhall finden, die in unserer korrekten, geregelten Gesellschaft nicht sein dürfen.

Es fällt aber auf, dass Regisseure und Produzenten fast ausschließlich Männer sind.

Ja. Es gibt als Gegenkonzept zwar den sogenannten Frauenporno, von Frauen für Frauen. Der will menschlicher sein, mit schönem Ambiente, schöner Musik. Aber er verkauft sich schlecht. Ich glaube, man lässt sich bei der ganzen Pornodebatte zu sehr von einem bestimmten Thema leiten, den Gang-Bang-Filmen: also viele Männer, eine Frau. Dabei ist das nur ein Genre unter vielen.

Die britische Psychoanalytikerin Susie Orbach sagt, heutige Jugendliche sähen Sex vor allem als Performance, eiferten nur noch Porno-Vorbildern nach.

Da mag etwas dran sein. Doch die Tendenz zur Ich-Performance entspricht dem Zeitgeist. Die findet man auch bei Facebook. Pornos sind nur ein Teil unserer Gesellschaft. Die Kritiker machen es sich zu einfach, wenn sie mit dem Finger immer auf die Pornomacher zeigen.

Wird in der Branche über mögliche Gefahren durch Pornos gesprochen?

Die meisten interessieren sich nicht dafür, was ihre Produkte für die Gesellschaft bedeuten. Die wundern sich nur, dass man so negativ über sie spricht. Die weiblichen Darsteller lachen, wenn sie einer für Opfer hält. Oft habe ich den Satz gehört: Die Leute kaufen doch unsere Sachen, warum ziehen bloß alle über uns her? Da wird einem Mann von einer Bekannten erklärt: Ich habe deine Freundin in einem Porno gesehen, ich will mit euch nichts mehr zu tun haben. Darauf er: Du hast dir den Film doch ausgeliehen. Antwort: Das ist was ganz anderes!

Eine schizophrene Reaktion.

Ich bin auf die Idee für mein Projekt gekommen, als ich nach einem Buch über Menschen in der Pornobranche suchte – und keines fand. Ich fand das komisch. Es wird so viel über Pornografie diskutiert, aber nie redet mal jemand ernsthaft mit denen, die diesen Job machen.

Was sind das für Leute?

Die Produzenten und Regisseure sind Menschen, die gerne ihre Fantasien umsetzen. Die wollen niemanden mit tollen Ideen beeindrucken oder von etwas überzeugen. Es gibt kaum Drehbücher. Auch, weil die meisten sowieso immer wieder die gleichen Geschichten abfilmen.

Und die Darsteller sind Exhibitionisten?

Mir haben viele Frauen erzählt: Mich macht das an, wenn ich weiß, dass auf der anderen Seite der Kamera, zu Hause vor dem Fernseher, Männer sitzen. Es gibt in Deutschland fast keine Pornostars mehr; hierzulande sind sowieso eher normale Frauen und Männer gefragt. Das sollen keine Fotomodelle sein wie in Amerika. Die meisten Darsteller haben einen richtigen Beruf: Ich bin Kassiererinnen und Kfz-Schlossern begegnet, auch Pädagogik- und Medizinstudentinnen. Diese Leute drehen Pornos nebenbei, oft aus einer privaten Obsession heraus …

… oder weil sie Geld brauchen – wie Schauspielerin Sibel Kekilli, die einst nur deshalb in Hardcore-Produktionen mitwirkte.

Mit Pornos allein kann kaum jemand seinen Lebensunterhalt bestreiten: Es gibt nicht allzu viele Drehs – und für jeden bloß 600, 700 Euro. Das ist der Unterschied zur Prostitution. Beides sind zwei völlig unterschiedliche Bereiche.

Wie viele würden denn noch mitmachen, wenn es kein Geld gäbe?

Ich bin immer wieder Frauen begegnet, die sagten: Ich mag Porno-Drehs, und ist doch toll, wenn ich dabei noch was verdiene. Aber gäbe es kein Geld, würden die meisten das wohl nicht mehr machen. Die brauchen die Bezahlung auch als psychische Entlastung. Denn eine Frau, die kein Geld nähme, würde erst recht als Schlampe gelten. Viele Männer machen dagegen jetzt schon umsonst mit, die bezahlen sogar noch ihren Aids-Test.

Das Internet ist voll mit – meist kostenlosen – Porno-Raubkopien und Amateurclips. Wie verkraftet das die Branche?

Schlecht. Konkurrierende Firmen ziehen in ein Haus, Etats werden gekürzt, und es gibt immer weniger Drehs. Früher gingen die Filmteams ins Restaurant, heute schmieren sie sich selbst die Brote.

2009 erschienen in Deutschland jeden Monat immerhin noch mehr als 400 Filme.

Die Branche ist unübersichtlich, es gibt vielleicht 70 Produzenten, und viele von denen bringen sehr billige Pornos auf den Markt. Übrig bleiben werden wohl nur Firmen, die es schaffen, im Internet eine Plattform aufzubauen. Die deutschen Produzenten haben das bisher verschlafen. Und dann gilt hierzulande auch das strengste Jugendschutzgesetz der westlichen Welt. Für ausländische Pornoseiten genügt eine Kreditkarte, einer deutschen muss man aber eine Ausweiskopie zukommen lassen – wer macht das schon?

Wie wirkt sich die Krise auf die Bedingungen für die Darsteller aus?

Die Gagen werden niedriger, aber die Gesundheitskontrollen sind weiter sehr gut.

Wir leben in einer „pornofizierten“ Gesellschaft, in der uns sexuelle Bilder fast überall begegnen. Haben Sie den Eindruck, dass die Filme immer extremer werden müssen, um noch Interesse zu wecken?

Teilweise wird Pornografie so spektakulär, dass sie mehr mit einer Zirkusnummer als mit Sex zu tun hat. Wenn der Pornostar Annette Schwarz mit 20 Männern rummacht und auch mal auf den Kopf gestellt wird, ist das so unrealistisch, dass es jegliche Attraktion verliert. Andererseits gibt es eine Gegenbewegung: den Amateurporno, der über die Hälfte des Marktes ausmacht. Mit ganz normalen Leuten, an alltäglichen Orten.

Wollten Sie mal selbst mitspielen?

Ein Pornofilm-Set ist nicht geil. Pornografie erreicht ihren Idealzustand, wenn sich Inszenierung zu wirklicher Lust entwickelt. Und das ist selten. Nur als ich mal bei sechs Amateuren zu Gast war, die einen Internetclip drehten, war die Atmosphäre so ungezwungen und sympathisch, dass ich kurz darüber nachgedacht habe, mitzumachen.

Hat Sie die Reise verändert?

Sexualität ist für mich selbstverständlicher geworden, auch das Reden darüber. Wenn ich auf mein Buch angesprochen werde, erklären mir manche erst mal, dass sie sich so was ja noch nie angeguckt hätten – obwohl sie keiner danach gefragt hat. Da schmunzele ich. Früher hätte ich mich vielleicht genauso verhalten.

Die Gespräch führte Björn Rosen. Philip Siegels Buch "Porno in Deutschland ist im Belleville Verlag erschienen und kostet 22 Euro.

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