zum Hauptinhalt
Wie im Hollywood-Studio: Riesige Scheinwerferbatterien beleuchten Tag und Nacht die Bergungsarbeiten.

© AFP

Jahrestag der Havarie der Costa Concordia: Ein Meer von Rost

Am Sonntag jährt sich die Havarie der Costa Concordia – es wird ein Tag der Reden und Ehrungen. Und irgendwo wird gearbeitet.

Zweiunddreißig Menschen sind bei der Havarie ihres „Traumschiffs“ ertrunken, unter ihnen zwölf Deutsche, und vor einer Woche wären ums Haar fünf weitere dazugekommen. Deutsche Touristen, auch sie auf Mittelmeerkreuzfahrt, hatten einen Zwischenstopp ihrer „Costa Magica“ genutzt, um auf eigene Faust eine Fototour zum Wrack der „Costa Concordia“ zu unternehmen. Auf die reguläre Fähre wollten sie nicht warten; sie glaubten, die 15 Kilometer übers offene Meer zwischen dem Festland und der Insel Giglio im gemieteten Schlauchboot auch so zu schaffen. Doch das Wetter schlug um; Seegang und Eiswind nahmen zu – und hätte am Abend nicht eine aufmerksame Küstenwache die Ausgekühlten, Durchnässten aufgelesen, wer weiß, wo die fünf heute wären.

Es war am 13. Januar 2012. Es war – so genau halten es heute die Gerichtsakten fest – um 21.45 Uhr und sieben Sekunden. Zweieinhalb Stunden zuvor hatte die „Costa Concordia“ mit 3206 Touristen und 1023 Besatzungsmitgliedern in Civitavecchia ihre Mittelmeerrunde „Zitrusduft“ wieder aufgenommen. Doch da, mit einem gewaltigen Knall, flog den Passagieren das Abendessen von den Tischen. Ein mächtiger Ruck durchfuhr das Schiff; jäh bremste es ab, dann wurde alles stockdunkel. Die Passagiere sahen nicht den 140 Tonnen schweren Stein, den die „Costa Concordia“ in voller Fahrt von den messerscharfen Granitklippen der Insel Giglio abgerissen hatte; er hatte den Stahlrumpf auf 53 Metern Länge und bis zu sieben Metern breit aufgeschlitzt wie eine Sardinendose.

Innerhalb einer Viertelstunde, so sagen die Gerichtsgutachter heute, wussten die auf der Kommandobrücke, dass das Schiff nicht mehr zu retten war. Trotzdem zögerten sie: „Wir haben nur einen Blackout! Wir kriegen das selber hin! Im Höchstfall brauchen wir einen Schlepper, der uns wieder flottmacht“, beschwichtigte Kapitän Francesco Schettino die Hafenbehörden, während er in zahlreichen Telefonaten mit seiner Reederei eine Sprachregelung suchte, wie man ohne Aufsehen aus dem Schlamassel herauskäme.

Dabei wusste Schettino – „Madonna, was hab’ ich angestellt!“ – von der ersten Sekunde an, was passiert war: Um seinem von Giglio stammenden Chefkellner eine Freude zu machen, hatte der heute 52-jährige Kapitän das Schiff allzu nahe an der Insel vorbeifahren lassen, obwohl er weder die Erlaubnis noch die genauen Seekarten dafür besaß. Wie nahe sie tatsächlich an den Klippen waren, das fiel nicht einmal den anderen Offizieren auf der Brücke auf. „Keiner äußerte Bedenken“, schreiben die Gerichtsgutachter. Und darüber, dass der indonesische Steuermann die Kommandos des Kapitäns weder auf Italienisch noch auf Englisch richtig verstand, scherzten sie.

Die widersprüchlichen Aussagen von Kapitän Schettino

Dann war plötzlich Schluss mit Scherzen. Offiziere schickten die in Panik geratenen Touristen noch zurück in die Kabinen, als das Schiff schon für alle sichtbar mit Wasser volllief und beträchtliche Schlagseite hatte; erst mit einer Dreiviertelstunde Verzögerung, und da nur widerwillig und verklausuliert, ließ Schettino das Schiff evakuieren: „Wir verlassen es nicht, wir bringen die Leute an Land“, funkte er den Behörden aufs Festland. Da hatten viele Passagiere unter Hilfe der vielfach zwar ungeschulten, aber engagiert zupackenden Besatzungsmitglieder die Rettungsboote bereits zu Wasser gelassen.

Und kurz nach Mitternacht, als die Evakuierung noch lange nicht abgeschlossen war, trafen Einsatzkräfte den Kapitän selbst bereits auf trockenem Boden an. Ob er gegen seinen Willen „zufällig in ein Rettungsboot gefallen“ war, oder ob er in einem von diesen „den ausgefallenen Steuermann ersetzt“ habe, „nur um die Leute zu retten“, diesen Widerspruch in seinen eigenen Aussagen muss Schettino demnächst vor Gericht erklären. Die Tatsache, dass sich „von 4229 Menschen an Bord 4197 haben retten können“, schreiben die Gutachter allein dem Zufall zu: der unmittelbaren Nähe zur Insel vor allem. Wäre das Schiff zum offenen Meer hin gekippt – die Folgen mag sich niemand ausdenken.

Diesen Sonntag nun, am Jahrestag, ist Zeit fürs Gedenken: Auf Giglio sammeln sich Überlebende und die für ihre überwältigende nächtliche Spontanhilfe ausgezeichnete Bürgerschaft der Insel; es kommen Einsatzkräfte und Politiker; vielleicht, heißt es, sogar Staatspräsident Giorgio Napolitano. Feuerwehrleute und Polizeitaucher – die bei den Rettungsarbeiten geholfen haben, aber für ihren tagelangen Sondereinsatz teils bis heute nicht bezahlt worden sind – sollen geehrt werden.

In derselben Kirche, in der Pfarrer Don Lorenzo in jener Nacht Hunderte von durchnässten Schiffbrüchigen aufgenommen, mit Ministrantengewändern bekleidet und mit Altardecken gewärmt hatte, soll ein Gedenkgottesdienst für die 32 Opfer abgehalten – und die Heizung eingeweiht werden, die das Kreuzfahrtunternehmen Costa zum Dank der Pfarrei gespendet hat. Blumenkränze und Lichter sollen im Meer schwimmen. Und jenen inzwischen aus dem Schiffsrumpf operierten „Stein des Anstoßes“ wollen die Gigliesi nicht mehr sehen. Sie wollen ihn am Gedenktag dahin betonieren, wo er hingehört: auf die fatalen Klippen „Le Scole“.

Geschäftlich, teilt die Reederei Costa inzwischen mit, habe das Jahr der großen Havarie „über den Erwartungen“ gelegen; noch im Frühjahr, im April und Mai 2012, seien um 28 Prozent mehr Buchungen eingegangen als im Vorjahr.

Vor Giglios Küste gehen derweil die Bergungsarbeiten weiter, in die Costa schon jetzt 400 Millionen US-Dollar gesteckt hat. Die sichtlich angerostete Costa Concordia ist umringt von Kränen, Schiffen, schwimmenden Arbeitsplattformen. 450 Mann aus 18 Ländern beschäftigen sich rund um die Uhr damit, das Wrack mit Zementsäcken zu unterfüttern und jene Unterwasserplattform zu bauen, auf welche sich der Havarist in dem Moment stützen soll, in dem er aufgerichtet und zum Abwracken fortgeschleppt werden soll. Wann wird das sein? Das weiß niemand.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false