zum Hauptinhalt
Auf dem Friedhof in Soma in der Türkei trauern zum Jahrestag des Grubenunglücks hunderte Angehörige um ihre Opfer.

© AFP

Jahrestag von Bergwerksunglück in der Türkei: Ein Jahr nach Soma geht das Sterben weiter

Beim schwersten Bergwerkunglück in der Geschichte der Türkei wurden vor einem Jahr 301 Kumpel getötet. Auch nach dem Katastrophe von Soma geht das Sterben weiter: Die Türkei verzeichnet weiter Rekordzahlen bei tödlichen Arbeitsunfällen.

Für Naciye Kaya besteht die Welt nur noch aus Schmerz und Wut. Vor einem Jahr verlor die Frau aus dem westtürkischen Soma ihren Mann Mustafa beim schwersten Bergwerksunglück in der türkischen Geschichte mit insgesamt 301 Toten. Jetzt sprach Naciye Kaya bei einer Gedenkveranstaltung für die Opfer. „Es ist eine Schande“, schrie sie ins Mikrofon. „Warum lässt der Staat die Schuldigen nicht bestrafen?“ Dann brach sie ohnmächtig zusammen.

Während des Schichtwechsels am Nachmittag des 13. Mai 2014 löste die Explosion eines Trafos in der Kohlegrube von Soma unter Tage ein Feuer aus, das den Bergleuten den Sauerstoff nahm. Einige hundert Arbeiter konnten sich retten, doch für 301 Kumpel kam jede Hilfe zu spät. Für Angehörige und Überlebende wirkt das Unglück bis heute fort. Die Grube wurde geschlossen, rund 2800 Arbeiter verloren ihre Jobs. Die meisten leben von Arbeitslosenunterstützung, die bald ausläuft.

Berater von Erdogan trat auf Demonstrant ein

Die Bergleute in der Kohlegrube mussten sterben, weil Firmenleitung und Behörden bei der Umsetzung von Sicherheitsbestimmungen geschlampt hatten. Kurz vor dem Unglück hatte die Regierung in Ankara im Parlament eine Debatte über Sicherheitsmängel in Soma verhindert. Dennoch hat es bisher auch in der Politik keine ernsthaften Konsequenzen gegeben. Der damalige Ministerpräsident und heutige Staatschef Recep Tayyip Erdogan bezeichnete tödliche Bergwerksunfälle als normale Begleiterscheinungen der Branche. Ein Berater Erdogans trat in Soma auf einen Demonstranten ein. Am Jahrestag des Unglücks am Mittwoch reiste Erdogan nach Albanien, um eine Moschee einzuweihen.

Bis heute ist von Selbstkritik der Regierung nichts zu sehen: Die zuständigen Minister für Arbeit und Energie sind weiter im Amt. Das Land gewinnt rund ein Drittel seiner Energie aus Kohle, die vielfach unter sehr gefährlichen Bedingungen abgebaut wird. Es gibt keine Bestrebungen, das zu ändern.

500 Tote seit Anfang des Jahres

Ein Jahr nach der Katastrophe ziehen Regierungskritiker deshalb eine bittere Bilanz, die nicht nur die Kohleindustrie, sondern auch andere Wirtschaftszweige betrifft: Der Schock von Soma hat nichts verändert im Land, türkische Arbeiter leben nach wie vor wesentlich gefährlicher als ihre Kollegen in Europa, wie der Verband für Arbeitssicherheit (ISIG) ermittelt hat. Allein im vergangenen Monat starben in der Türkei demnach 130 Menschen bei Arbeitsunfällen, seit Anfang des Jahres waren fast 500 Tote zu beklagen.

Auch die offiziellen Zahlen der Regierung sprechen eine eindeutige Sprache: Für das gesamte vergangene Jahr zählte das Arbeitsministerium in Ankara 1570 Tote – das sind mehr als vier Tote jeden Tag. Neben den Bergwerken sind besonders Baustellen und Werften für die Arbeiter gefährlich. In Istanbul starben im vergangenen Jahr zehn Bauarbeiter, als ihr Aufzug im Rohbau eines Hochhauses aus großer Höhe abstürzte.

Nicht immer haben solche Vorfälle Folgen für die Verantwortlichen. Auch tödliche Schlamperei bei den Behörden bleibt häufig ungesühnt. Im nordtürkischen Zonguldak wurden kürzlich die Ermittlungen wegen des Einsturzes einer Brücke eingestellt, bei dem vor drei Jahren 15 Menschen starben. Obwohl ein Gutachter erhebliche Mängel festgestellt hatte, verhinderten Behörden und Ministerien rechtliche Schritte gegen die zuständigen Beamten. So muss sich niemand für den Tod der 15 Menschen verantworten.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false