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Jakob Maria Mierscheid.

© By Deutscher Bundestag [Public domain], via Wikimedia Commons

Jakob Maria Mierscheid zum 80.: Ein unsterblicher Parlamentarier

Er entzieht sich zwar allen öffentlichen Feierlichkeiten, trotzdem: Alles Gute zum Geburtstag, Jakob Maria Mierscheid. Für einen außergewöhnlichen Parlamentarier, einen Denker, der auch vor Fraktionsgrenzen nicht haltmacht, dem Vater des Mierscheid-Gesetzes. Wie, das kennen Sie nicht?

Von Robert Birnbaum

Die Frage der Existenzberechtigung stellt sich jedem Abgeordneten des Deutschen Bundestages spätestens in dem Moment, in dem seine Wähler sie beantworten sollen. Für einen einzigen gilt sie nicht, schon weil seine Berechtigung unstreitig ist.  Jakob Maria Mierscheid sieht sich dafür häufig  mit der nicht minder existenziellen Frage konfrontiert, wie es um seine Existenz bestellt sei.

Seit Freitag dürfte sich diese von Misstrauen, ja  Missgunst geprägte Diskussion erledigt haben. Frank-Walter Steinmeier, Fraktionsvorsitzender der SPD, hat dem Abgeordneten Mierscheid zu seinem 80. Geburtstag gratuliert.  Die dazu verwandte Pressemitteilung existiert. Frank-Walter Steinmeier hat Deutschland als Außenminister selbst in entlegenen Orten wie Ouagadougou würdig vertreten. Auch er existiert also. Weiterer Beweise bedarf es  nicht.

Ohnehin sind  Zweifel schon deshalb gröblich ungehörig, weil Jakob Mierscheid nicht nur im amtlichen Verzeichnis der ordentlichen Mitglieder des Bundestages beglaubigt wird, sondern auch durch eine Pressearbeit von sich reden macht, die manch anderer dort vermerkten Parteileiche in Umfang und Gehalt wohl anstünde.

Mitglied des Bundestages seit 1979, aus seiner Heimat Morbach in der Eifel stets ohne eine einzige Gegenstimme ins damals noch heimatnahe Parlament entsandt, begleitet der engagierte Brieftaubenzüchter die Höhen-, Irr- und Sinkflüge seiner Sozialdemokratischen Partei mit der bisweilen verzweifelten Sympathie des wahren Liebhabers. Gerüchte über einen Übertritt  zu irgendeiner Linkspartei, die 2005 Irritationen auslösten, konnte der gelehrte Schneidermeister überzeugend widerlegen.

Ansonsten übertritt er durchaus das fraktionsübergreifende Denken. Das belegt nicht zuletzt sein Vorschlag zur Wahlreform – die Zahl der Sitze im Bundestag wird halbiert, jede Partei erhält ein Grundmandat für jedes Jahr ihrer Existenz, über die verbleibenden neun Sitze entscheidet das Ergebnis der Bundestagswahl. Der kosten- und nervensparende Vorstoß erwies sich nur deshalb als schwer umsetzbar, weil die Linkspartei wohl keine interne Einigung darüber herbeiführen könnte, ob die 40 Jahre DDR mitzählen sollten oder nicht.

Auch die Behauptung obskurer Historiker, die Freie Demokratische Partei gehe ja eigentlich auf irgendeine halbe Revolution von 1848 zurück, erschwerte absehbar eine überparteiliche Verständigung. Fast gar nicht widerlegt  ist seit 1961 dafür das Mierscheid-Gesetz, wonach das SPD-Ergebnis bei der Bundestagswahl dem Index der Rohstahlproduktion in den alten Bundesländern in Millionen Tonnen folgt.

Doch nicht nur um das Wahlwesen hat sich der rüstige Parlamentarier unsterblich verdient gemacht. Mit einer Akribie, wie sie andere schon für schlechtere Zwecke aufgewandt haben, hat er die Vorteile des Föderalismus anhand der Rechtsgrundlagen des Radfahrens im Walde ebenso überzeugend dargelegt wie die Schuld der Römer (der alten,  nicht ridikülen) an der DDR. Von der  Wahlkreisarbeit des leider verstorbenen Peter Struck als Vorbild für jüngere Abgeordnete  („Er hat es geschafft, dass auf fast jedem Restauranttisch im Raum Celle seine Initialen zu finden sind: P und S.“) hat er ebenso gültig Zeugnis abgelegt wie vom Zustand der schwarz-gelben Koalition im „Gurkentruppen“-Jahr 2010: „Die Kanzlerin erinnert immer mehr an die Berliner Kanzler-U-Bahn: unterirdisch, auf kurzer Strecke hin und her fahrend, wenig Anhänger.“

In ärmlichen linksrheinischen Verhältnissen aufgewachsen, begleitet er überdies den großstädischen Nahverkehr der Millionenmetropole Berlin mit stets neuem Entzücken: „Der Winter kam völlig unangemeldet.“

Dass er sich an seinem heutigen Geburtstag allen öffentlichen Feierlichkeiten entzieht, zeugt ebenso wie seine hartnäckige Verweigerung des längst fälligen Talkshow-Auftritts nur erneut vom angenehm zurückhaltenden Wesen dieses Ausnahme-Politikers. In den Fraktionssälen, Ausschusszimmern und im Plenarsaal des Deutschen Bundestages hingegen ist er so präsent wie sich das der Bundestagspräsident von  anderen nur wünschen kann.

Unser Glückwunsch geht von Herzen an einen, dessen Herz dort schlägt wo es die Natur bei den meisten platziert hat. Dass allzu viele aus diesem Wink nicht die naheliegende Schlussfolgerung zu ziehen vermögen, schmerzt ihn. Aber einer, der die SPD so lange begleitet  hat wie er, weiß: Er hat da wenig mehr zu lachen als das, was er sich selber macht.

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