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Bond

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James Bond: Märchenerzähler Ihrer Majestät

Zwischen V2 und Halle Berrys Bikini: Zu Ian Flemings 100. Geburtstag zeigt das Imperial War Museum in London eine James-Bond-Schau.

Von Markus Hesselmann

Im Imperial War Museum, in der Mitte der Eingangshalle, ragt eine Rakete hoch auf. Eine V2, Hitlers „Vergeltungswaffe“. Mit Raketen dieses Typs hat Nazi-Deutschland zum Ende des Zweiten Weltkriegs noch London und andere Städte angegriffen. Tausende Zivilisten kamen ums Leben, Zehntausende Zwangsarbeiter starben bei der Produktion der Waffe. An der Hallendecke hängen deutsche und britische Kampfflugzeuge. Links geht es zu der bewegenden Holocaust-Ausstellung des Londoner Museums. Und geradeaus gibt es Tickets für „For Your Eyes Only“, eine Schau über den berühmtesten, aber frei erfundenen Agenten Ihrer Majestät. Hier das reale Grauen, dort eine Roman- und Filmfigur. Was macht James Bond in einem derart ernsthaften Umfeld? Die Antwort gibt die Biografie Ian Flemings. Der Erfinder James Bonds war während des Krieges ein wichtiger Mitarbeiter des britischen Geheimdienstes. „Dem Thema Spionage widmet sich unser Haus schon immer“, sagt Terry Charman, der seit 35 Jahren als Historiker für das Imperial War Museum arbeitet. „Deshalb ist eine Ausstellung über Ian Fleming nicht wirklich überraschend.“ Am heutigen Donnerstag eröffnet „For Your Eyes Only“. Anlass ist der 100. Geburtstag Ian Flemings, der am 28. Mai 1908 in London zur Welt kam und 1964 in Canterbury starb. Die London Times bietet einen virtuellen Rundgang durch die Ausstellung an.

„Dies ist ein passender Ort für eine Schau über meinen Onkel“, sagt Lucy Fleming. Es sei gut, etwas über die realen Hintergründe der Romane und Filme zu lernen. Die Nichte des Autors beschreibt ihn als warmherzigen, fantasievollen Menschen, der sie als Kind bei Besuchen ihrer Familie in Oxfordshire mit seinen Geschichten beeindruckte – „und mit seinem großen Auto, einem Ford Thunderbird“. Lucy Fleming nennt ihren Onkel aber auch „den Mann, der zu viel wusste“. Als Geheimnisträger und hochrangiger Mitarbeiter der Aufklärungsabteilung der britischen Marine habe er nicht im Krieg kämpfen dürfen. „Obwohl er gern ganz vorn an der Front gewesen wäre.“ Fleming diente seinem Land hinter den Linien im Zweiten Weltkrieg, Bond an der Front im Kalten Krieg, der darauf folgte. So beschreibt einer der Ausstellungstexte die Beziehung zwischen Autor und Hauptfigur. „Ian Fleming wurde als Schokoladensoldat verspottet“, sagt Charman. Oder als „Whitehall Warrior“, als Krieger, der seinen Kampf im Londoner Regierungsviertel ausfocht.

Diese Bond-Schau bietet erwartbare Filmdevotionalien – Daniel Craigs Hemd voll Filmblut aus „Casino Royale“ oder Halle Berrys Bikini aus „Stirb an einem anderen Tag“ –, aber sie bemüht sich vor allem um historische Zusammenhänge. Auf einer großen elektronischen Weltkarte sind die nuklearen Arsenale der beiden Supermächte des Kalten Krieges aufgelistet mit ihrer ungeheuren Zerstörungskraft. Die bipolare Welt ist die Kulisse des Superhelden James Bond – als Repräsentant einer dritten, über ihre Verhältnisse spielenden ehemaligen Weltmacht. „Er bot einer begierigen Leserschaft Erwachsenenmärchen, in denen Britannien immer noch eine Macht war, mit der man rechnen musste“, heißt es auf einer der Schautafeln. Schließlich hatte man den Zweiten Weltkrieg gegen Deutschland gewonnen.

„Es ist ja kein Zufall, dass so viele Bösewichter bei Fleming deutsch klingende Namen haben“, sagt Terry Charman. Goldfinger, Blofeld, Irma Bunt. „Beim Vornamen Irma dachte in Großbritannien natürlich sofort jeder an Irma Grese, die KZ–Aufseherin in Bergen-Belsen.“

Der Sieg über Deutschland war identitätsstiftend für das Nachkriegsbritannien. „Doch nun sah die Realität anders aus“, heißt es auf der Schautafel. Die USA ließen Großbritannien als Weltmacht hinter sich und obendrein bot der Geheimdienst Ihrer Majestät alles andere als ein heldenhaftes Bild. Die Geschichten der Sowjetspione Kim Philby, Guy Burgess und Donald Maclean waren die Realität, James Bond nur ein Traum.

Und längst nicht für alle geeignet. „Wir durften die Bond-Bücher damals nicht lesen“, sagt Lucy Fleming. Wegen der Liebes- und Gewaltszenen hätten sie als unpassend für Heranwachsende gegolten. „Obwohl das aus heutiger Sicht ein bisschen übertrieben ist.“ Natürlich habe sie sich nicht an das Verbot gehalten. Sie las die Bücher ihres Onkels mit der Taschenlampe unter der Bettdecke.

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