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Panorama: Jan Wagner: Der Himmel kann warten

Ein Zug hält auf offener Strecke. Felder, Bäume, Wiesen sind durch das Abteilfenster zu sehen; weiter hinten zwei Windräder.

Ein Zug hält auf offener Strecke. Felder, Bäume, Wiesen sind durch das Abteilfenster zu sehen; weiter hinten zwei Windräder. Sonst tut sich nicht viel auf der anderen Seite. Die Zeit summt, und man wartet geduldig. Ein kurzes Aufblicken über den Zeitungsrand, bis es endlich, mit einem Ruck, weiter geht: ein Augenblick, schnell vergessen. Aber wovon sollte ein Gedicht sonst handeln, wenn nicht von den flüchtigen Augenblicken?

Tatsächlich scheinen manche von Jan Wagners Gedichten gleichsam "auf offener Strecke" geschrieben. Der Text, in dem die Windräder vorkommen, ist ganz sachlich "Hamburg - Berlin" betitelt; und irgendwo da, im Niemandsland zwischen den beiden großen Städten, müssen sie schon gestanden haben, als es sie noch gar nicht gab im Gedicht: "in der ferne nahmen zwei windräder / eine probebohrung im himmel vor: / gott hielt den atem an."

Die verhaltene Ironie der beiden ersten Verse ermöglicht das stille Pathos des dritten. Sie schraubt es sozusagen ein wenig zurück, damit es im Text funktionieren kann. Denn ein Hymniker ist Jan Wagner, Jahrgang 1971, wirklich nicht - er spielt nur mit dem hohen Ton.

Durs Grünbein hat einmal die Frage gestellt, ob Schreiben nicht im Grunde "Slapstick" sei. Liest man Jan Wagners Texte, möchte man das zumindest nicht mehr ganz ausschließen: Seine magisch-realistische Bildsprache operiert gelegentlich auch mit einem doppelten Boden. Da wird ein Kronleuchter im Fischrestaurant zum "prunkvollen Angelhaken", lässt der Autor leisen Schnee fallen, damit der Leser das Kichern der Bedienung, "wie jonas aus dem inneren des wals", nur umso deutlicher hört.

Auch bei diesem Text ist der Titel übrigens irreführend lakonisch. Er heißt "Fish & Chips". So wird das Knistern zwischen den Wagnerschen Zeilen gewissermaßen vom Gedichttitel her temperiert. Denn dieser Autor kokettiert nicht übermäßig mit seinem Wortmaterial. Das Experimentelle scheint ihm fremd, seine Bilder setzt er mit Bedacht. Sie entspringen eher einer Überlegung als einem Kurzschluss.

Die moderne englischsprachige Dichtung, die Wagner auch übersetzt (für seine Nachdichtungen der Lyrik von James Tate erhielt er 1999 den Übersetzerpreis der Stadt Hamburg), mag ihn geprägt und seinen Blick auf die unbedeutend-bedeutenden Dinge geschärft haben. Oft sind es die sprichwörtlichen Alltagsdinge, um die seine Gedichte kreisen: der Fenchel in einem Gemüseladen, Champignons, Gruselfilme, Kunstblumen.

Und von seinen "Melonen", einem "haufen majestätischer verschwörer", welcher "kühl und ruhig / das süße rote königreich des fruchtfleisches" hütet, ist es nicht weit zu Charles Simics berühmten "Wassermelonen"-Gedicht. Wie bei Simic liegt das Königreich hier im Alltäglichen verborgen; man muss nur hinschauen können, um es zu entdecken.

Jan Wagners erster Gedichtband "Probebohrung im Himmel" entpuppt sich als eine Schule des Sehens. Doch sein Blick ist kein impressionstischer. Diese Gedichte sind keine Ortsbeschreibungen, sondern wollen ergründen, was bestimmte Orte im Betrachter auszulösen vermochten. Der Himmel kann dann sogar in einer Fenchelknolle stecken.

Volker Sielaff

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