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Japan: Atombehörde fordert Evakuierung eines Dorfes

Japan bekommt die Strahlen-Lecks in Fukushima nicht unter Kontrolle. Kunstharz soll vor der radioaktiven Strahlung in der Ruine schützen. Die Internationale Atomenergiebehörde rät zur Räumung eines Ortes in der Nähe des AKW.

Berlin - Die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) hat der japanischen Regierung geraten, die Evakuierungszone rund um die havarierten Atomkraftwerke in Fukushima Daiichi zumindest um das Dort Iitate mit etwa 7000 Einwohnern zu vergrößern. Dort hätten die IAEO-Experten die höchsten Strahlenwerte gemessen, gab die Organisation in Wien bekannt. Ebenfalls am Mittwoch haben atomkritische Organisationen in Japan in einem offenen Brief an Ministerpräsident Naoto Kan und den Gesundheitsminister Ritsuo Hosokawa gefordert, die Evakuierungszone auf 30 Kilometer zu vergrößern. In der Petition heißt es: "Die Aufforderung zu einer freiwilligen Evakuierung an die Bewohner, die zwischen 20 und 30 Kilometer um die Kernkraftwerke leben, ist unverantwortlich." Auch die Umweltorganisation Greenpeace, die am Mittwoch in Tokio eigene Messungen vorstellte, forderte eine Vergrößerung der Evakuierungszone auf 40 Kilometer.

Dagegen hält Professor Michael Atkinson, Leiter des Instituts für Strahlenbiologie am Helmholtz-Zentrum in München, die bisher angeordnete Evakuierung in einer 20-Kilometer-Zone für ausreichend. "Man muss immer abschätzen, ob das Risiko durch die Strahlenexposition höher ist als die Probleme einer Evakuierung", sagte er der Nachrichtenagentur dpa. Bei der Evakuierung aus dem 20-Kilometer-Radius, bei dem 70.000 Menschen betroffen waren, sei es zu sechs Todesfällen gekommen, argumentiert Atkinson.

Würde eine 30-Kilometer-Zone evakuiert, müssten weitere 130.000 Menschen außerhalb der Gefahrenzone untergebracht werden. Sie sind von der Regierung aufgefordert worden, ihre Häuser nicht zu verlassen sowie Fenster und Türen geschlossen zu halten. Greenpeace kritisiert das scharf. Jan van de Putte sagte: "Die Regierung unterlässt es, die Menschen zu schützen, sie aus der Gefahrenzone zu bringen oder auch nur angemessen zu informieren."

Das bemängelt auch das Citizens' Nuclear Information Center (CNIC). Gemeinsam mit anderen atomkritischen Organisationen fordert das CNIC, dass die Regierung nicht nur Messwerte veröffentlichen, sondern die Ortsdosis für die Bewohner abschätzen soll, die sich aus den kumulativen Strahlungsdosen ergeben. Anders könnten die Bewohner der Gefahrenzone nicht einschätzen, wie hoch ihr Risiko sei. Greenpeace wies auf Messwerte in Tsushima hin, rund 35 Kilometer von den Atomkraftwerken entfernt. Dort habe die Organisation bis zu 100 Mikrosievert pro Stunde gemessen. Die maximale Jahresdosis für Menschen, die nahe an Atomanlagen leben, sei dort innerhalb von acht Stunden erreicht, argumentiert Greenpeace. Vor allem Schwangere und Kinder sollten diese Zone verlassen, empfiehlt die Umweltorganisation. Dagegen hält die Atomaufsichtsbehörde Nisa die Werte auch für Schwangere und Kinder für nicht weiter bedenklich.

Den Behörden gelingt es allerdings nicht, auch nur die 20-Kilometer-Zone durchzusetzen. Immer mehr Menschen kehren ins Sperrgebiet zurück. Am Mittwoch sind die ersten 1500 aus einer Veranstaltungshalle, in der sie seit dem Unglück ausgeharrt hatten, in eine Schule außerhalb der Sperrzone gebracht worden. Dort sollen sie sich wohl auf einen längeren Aufenthalt einrichten. Die Nachrichtenagentur Kyodo zitiert Regierungssprecher Yukio Edano mit den Worten: "Bedauerlicherweise wird es noch einige Zeit dauern, bis die Situation unter Kontrolle gebracht werden kann, so dass wir sicher sein können, dass die Menschen sicher vor Radioaktivität sind." Die Information für die Betroffenen besteht seit zweieinhalb Wochen nahezu nur aus solchen Andeutungen. Klare Informationen, worauf sie sich einzustellen haben, gibt es bisher nicht. Die Zeitung "Asahi" berichtete am Mittwoch über den Selbstmord eines Biobauern aus der Region Fukushima. Schon am 24. März habe er sich das Leben genommen, weil er keine Chance mehr sah, sein Gemüse zu vermarkten.

Derweil denkt Premierminister Kan öffentlich darüber nach, die Atomaufsicht aus dem Wirtschaftsministerium herauszulösen. Offenbar zweifelt auch er inzwischen an der Unabhängigkeit der Behörde, die während der Atomkrise keine allzu gute Figur gemacht hat. Das gilt allerdings noch stärker für die Betreiberfirma Tokyo Electric Power Company (Tepco). Am Mittwoch wurde der Chef der Firma, Masataka Shimizu, mit Bluthochdruck und Schwindel in eine Klink eingeliefert. Zuvor hatte es Gerüchte gegeben, er könnte sich abgesetzt haben. Er war nur einmal, zwei Tage nach Beginn der Krise, vor die Presse getreten.

Sein Stellvertreter, Tsunehisa Katsumata, kündigte am Mittwoch - wenig überraschend - an, dass zumindest die vier havarierten Atomkraftwerke in Fukushima Daiichi abgerissen werden sollen, wenn sie in einer fernen Zukunft einmal stabilisiert sein werden. Ob auch die Reaktoren 5 und 6 abgerissen werden, wollte er nicht sagen. Doch Regierungssprecher Edano hält das für möglich. Auch über Pläne, zwei weitere Reaktoren an dem Standort zu bauen, werde mit der lokalen Bevölkerung gesprochen werden müssen, hieß es. In der Anlage kämpften die Arbeiter weiter mit stark kontaminiertem Wasser, das in den Turbinenhallen steht und nicht abgepumpt werden kann, weil es an Tanks fehlt. Am Donnerstag soll ein ferngesteuertes Fahrzeug Trümmer in der Anlage mit Kunstharz besprühen. Dieses soll radioaktive Partikel an den Trümmern "festkleben" und so verhindern, dass sie vom Wind verteilt werden.

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