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Panorama: Jetzt brechen die Dämme

Das Tief „Ilse“ setzt fast ganz Deutschland und Österreich unter Wasser – Katastrophenalarm in Bayern

Von Ulrich Glauber, Wien

und Martin Miller, Traunstein

„Es nützt zwar nichts. Aber wir tun, was wir können“, sagt Brigitte Sieber und verbarrikadiert ihre Türen mit Brettern und Sandsäcken. Ihr gehört eins der ältesten Häuser im bayerischen Traunstein. Und ebenso wie ihre Nachbarn wurde sie in der Nacht zum Montag von den Fluten der über die Ufer getretenen Traun überrascht. Seit 2.30 Uhr ist die Feuerwehr im Dauereinsatz. Seitdem heulen ununterbrochen Sirenen, Hubschrauber kreisen über der oberbayerischen Stadt. Katastrophenstimmung.

Am Montag nachmittag dann brach der erste Damm. „So etwas Schlimmes habe ich noch nie erlebt“, sagt Manfred Gandl, der seit 30 Jahren bei der Feuerwehr ist. Sein Kollege Thomas Berger resigniert angesichts von 25 vollgelaufenen Kellern: „Leerpumpen lohnt sich nicht. Wir müssen einfach warten, bis es aufhört.“ Die Verkäuferin in einer Bäckerei hat vorgesorgt und schon am Tag zuvor den Keller leer geräumt. 2700 Einwohner mussten ihre Häuser verlassen.

Katastrophenstimmung auch in Passau. Hier setzte die Donau weite Teile der Altstadt unter Wasser. Bis zum Nachmittag wurde ein Pegel von 9,40 Metern erwartet - fast so hoch wie im Frühjahr, als die Fluten bis knapp unter die 9,50-Meter-Marke stiegen und einen Schaden in Millionenhöhe anrichteten. Weil der Strom so rasant anschwoll, wurden zum Bau von Stegen und Barrikaden auch 80 Bundeswehrsoldaten in die Drei-Flüsse-Stadt abkommandiert. Zusammen mit Hunderten Helfern von Feuerwehr, Technischem Hilfswerk, Wasserwacht und DLRG laden sie Sandsäcke von Lastwagen und legen sie vor Hauseingänge und Läden. Den betroffenen Bewohnern und Geschäftsleuten helfen sie beim Ausräumen von Möbeln und Waren.

Das Tief „Ilse“ hat am Montag ganze Landstriche in Süd- und Norddeutschland überschwemmt. In Bayern schwollen die Flüsse derart an, dass am Montag in mehreren Landkreisen Hochwasser-Katastrophenalarm ausgelöst wurde. Auch im thüringischen Pleiße-Gebiet standen die Einsatzkräfte in Alarmbereitschaft. In Niedersachsen entgleiste infolge von Unwetterschäden ein Zug. In Sachsen wurde Leipzig am stärksten getroffen. In der Innenstadt fielen in der Nacht 60 Liter Regen auf den Quadratmeter.

Ohnmächtiges Warten und Hoffen - viel mehr blieb den Überschwemmungsopfern in Österreich und Tschechien beim zweiten großen Regen innerhalb von fünf Tagen nicht übrig. Binnen Stunden waren Bäche und Flüsse am Montag wieder um ein Vielfaches ihres normalen Wasserstandes angeschwollen, nachdem ein neues Mittelmeertief mit Wolkenbrüchen Mitteleuropa heimsuchte. Die vollgesogenen Böden konnten keine Feuchtigkeit mehr aufnehmen, Dämme der vollgelaufenen Stauseen brachen unter dem Druck der Wassermassen. Unzählige Fernverkehrsstraßen und Bahntrassen mußten gesperrt werden. Es stand zu befürchten, dass auch die Donauschleusen geöffnet werden müssen. In der mittleren Slowakei mußten wieder ganze Ortschaften evakuiert werden, Ungarn bereitete sich auf die Hochwasserwelle der rasch ansteigenden Donau vor.

In Österreich, wo alle Bundesländer von den Unwettern betroffen waren, erlebte insbesondere die Festspielstadt Salzburg eine Flut bisher nicht gekannten Ausmaßes. Nachdem es bis Montagmorgen binnen 24 Stunden 92 Liter pro Qaudratmeter geregnet hatte, überschritt die Salzach die Hochwassergrenze um 2, 70 Meter. Sämtliche Brücken mußten wegen Einsturzgefahr gesperrt werden, es wurde Katastrophenalarm ausgerufen. Die so in ihrer Bewegungsfreiheit behinderten Gäste der Mozartstadt, die selten so gut besuchte Festspiele erlebt hat wie zum Auftakt der diesjährigen Saison, konnten ein makabres Schauspiel erleben. Das Ausflugschiff „Amadeus“ - erst im Frühjahr für Touristenausflüge auf der Salzach in Dienst gestellt - konnte der reißenden Strömung nicht mehr standhalten und sank binnen Minuten.

Kritisch war die Situation im gesamten Salzburger Land. „Bitte verlassen Sie Ihre Häuser oder ziehen Sie sich in die oberen Stockwerke zurück“, warnten Lautsprecherdurchsagen und Rundfunkmeldungen die Bewohner der Ortschaft Thalgau unweit der Autobahn Linz-Salzburg, nachdem einige Kilometer oberhalb der Damm eines Rückhaltebeckens auf zehn Metern Breite gebrochen war und sich eine Flutwelle talwärts ergoß. Überwemmt war auch Ortsmitte der Urlaubsgemeinden Ebensee und Gmunden am Traunsee. Im Lungau stürzte ein Feuerwehrmann während eines Einsatzes in die tosenden Fluten eines sonst harmlosen Bachs und wird seitdem vermisst.

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