zum Hauptinhalt

Panorama: Johannes Paul II. und das "Dritte Geheimnis"

Zweiundzwanzig Jahre lag ich gelähmt im Bett", erinnert sich Maria Emília Santos. "Dann geschah das Wunder: Ich konnte plötzlich wieder laufen.

Zweiundzwanzig Jahre lag ich gelähmt im Bett", erinnert sich Maria Emília Santos. "Dann geschah das Wunder: Ich konnte plötzlich wieder laufen." Monatelang habe sie zuvor den Beistand der Jungfrau Maria erbeten, der die Wallfahrtsstätte im portugiesischen Ort Fátima gewidmet ist. Genauso habe sie die beiden verstorbenen Hirtenkinder Jacinta und Francisco Marto angerufen, deren berühmte Marienerscheinungen 1917 den Pilgerkult nach Fátima auslösten. Eines Nachts kam dann die ersehnte übersinnliche Hilfe: "Ich hörte eine Stimme, die sagte mir, ich solle aufstehen."

Die 70-Jährige zählt zu den prominentesten Fátima-Pilgern, die am heutigen Sonnabend der Seligsprechung der beiden Hirtenkinder Jacinta und Francisco durch den Papst beiwohnen werden. Die "Wunderheilung" der Frau war das letzte Beweisstück im kirchlichen Prüfungsverfahren, das jeder päpstlichen Seligsprechung vorangeht. Vor zwei Jahren bestätigte eine Ärztekommission des Vatikans, dass die Heilung von Maria Emília Santos "medizinisch unerklärbar" sei. Zuvor hatten portugiesische Mediziner der Frau, die seit einer schweren Tuberkulose-Erkrankung gelähmt war, keine Chance auf Besserung eingeräumt.

Rund fünf Millionen Menschen reisen jedes Jahr in das kleine Dorf rund 130 Kilometer nördlich der portugiesischen Hauptstadt Lissabon. Sie kommen aus allen Teilen Europas, mit dem Flugzeug, der Eisenbahn, Bussen, Autos oder nehmen gar wochenlange Fußmärsche auf sich. Viele rutschen auf den Knien die letzten Meter über den großen Versammlungsplatz bis zur Basilika, in der links und rechts der Marienstatue die Gräber der beiden Kinderhirten Jacinta und Francisco liegen. Und nicht wenige Pilger kommen mit der Hoffnung auf Erlösung von schweren Krankheiten.

Zur Seligsprechung der kleinen Schafhirten durch den Papst werden am heutigen Sonnabend rund eine Million Menschen erwartet. Sogar Staatspräsident Jorge Sampaio will an der Papstmesse teilnehmen, und das, obwohl er sein durch und durch katholisches Land mit dem Bekenntnis erstaunte: "Ich bin kein gläubiger Katholik." Die Portugiesen vergaben ihrem sozialistischen Präsidenten diese Sünde, der wegen seiner Volksnähe sehr beliebt ist. Papst Johannes Paul zeigte sich in der Vergangenheit weniger nachsichtig. Vor drei Jahren weigerte sich der Heilige Vater, Präsident Sampaio, der in erster Ehe geschieden ist, zusammen mit dessen zweiter Ehefrau zu empfangen.

Fátima hatte sich seit Monaten für den Papstbesuch gerüstet. Das Heiligtum und die Dorfgemeinde mit ihren rund 8000 Einwohnern sind jedoch bereits papsterfahren. Denn auch Johannes Paul glaubt, dass er dem Marienort ein neues Leben verdankt. Am 13. Mai 1917 beobachteten die Hirtenjungen die erste Erscheinung, am 13. Mai 1981 wurde der Papst von Pistolenschüssen getroffen - das Attentat auf dem Petersplatz überlebte er nur mit Glück. Seine Errettung schreibt der Heilige Vater deshalb dem Schutz der Gottesmutter von Fátima zu. Genau ein Jahr nach dem Anschlag kam der Wiedergenesene, um sich bei der Jungfrau Maria zu bedanken. Zum 10. Jahrestag des Attentats war er wieder da, dieses Mal steckte er der Madonna eine der Kugeln in die Krone, die ihn getroffen hatten.

Die offiziellen wie inoffiziellen Reliquien- und Andenkenläden rings um das Fátima-Heiligtum haben ihre Lager bis unter die Decke aufgefüllt: Madonnen, Bildnisse, Kruzifixe, weiße Taschentücher - eben alles, was zur Grundausrüstung eines Fátima-Wallfahrers gehört. Inzwischen weiß man, dass die Pilger viel Geld in Fátima lassen. Laut Statistik geben sie wesentlich mehr pro Tag aus als normale Touristen, die nur der Sonne zuliebe nach Portugal kommen. Die Hotelbranche Fátimas verzeichnet übrigens nach der Algarve-Küste im Süden und der Hauptstadt Lissabon die dritthöchsten Übernachtungszahlen des ganzen Landes.

Früher lebte das Dorf Fátima von der Landwirtschaft, heute lebt es von den Pilgern. Die Bauern eröffneten Hotels, Restaurants oder Souvenirshops. Manche betätigen sich gar als Weissager. Auch vom kirchlichen Fátima-Heiligtum behauptet man, dass es reiche Schätze in seinen Tresoren hüte. Kaum ein Pilger verlässt die Basilika, ohne Geld, Goldringe oder gar Juwelen in die Opferstöcke zu werfen. Von drei Millionen Euro ist die Rede, die jedes Jahr auf diese Weise den Wohlstand der Fátima-Gemeinde mehren. Die Ersparnisse der Gemeinde, so heißt es, sollen nun in den Bau einer riesigen Kathedrale fließen, die Platz für zehntausend Menschen bietet.

Die italienische Presse hatte nach der Ankündigung der Papstreise darüber spekuliert, ob Johannes Paul II. jetzt das so genannte "Dritte Geheimnis" von Fátima veröffentlichen werde. Die drei Botschaften der Gottesmutter wurden von der einzigen überlebenden Augenzeugin der Erscheinungen, der 93-jährigen Klausurschwester Lucia Dos Santos, niedergeschrieben. Sie enthalten Prophezeiungen über die Zukunft der Kirche und der Welt. Das "Dritte Geheimnis" ist bislang nur den Päpsten und deren engsten Mitarbeitern bekannt. Zu den Spekulationen sagte Kurienkardinal Joseph Ratzinger, Ziel der Reise sei die Seligsprechung der Hirtenkinder. Der Papst, so fügte Ratzinger hinzu, sei allerdings immer wieder für Überraschungen gut.

Ralph Schulze

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false