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Reim oder Nichtreim. Rapper D-Rop (rechts) ist deutscher Meister im Freestyle. Am Müggelsee vermittelt er den Teilnehmern der deutsch-französischen Jugendfreizeit, worauf es beim Schreiben von Rap-Texten ankommt. Hamadi (dritter von rechts) ist begeistert.

©  Paul Zinken

Jugendaustausch: Fraternité am Müggelsee

Eine Woche lang lebten Jugendliche aus Paris und Berlin zusammen in Köpenick Anfangs fremdelten die Teilnehmer ein bisschen. Aber in den Workshops brach schnell das Eis.

Hip-Hop-Beats tönen aus den Lautsprechern. Tanzlehrer Patrick „P-Style“ Pralow steht in dem leer geräumten Essenssaal, lacht und fragt in die Runde: „Stress?!“ Übertrieben nervös schüttelt er dabei seine Hände in der Luft. Die Antwort ist ein verhaltenes Kichern, sechs Mädchen nicken unsicher mit den Köpfen. Bis zum Abend wollen sie eine Choreografie einstudieren, die sie anlässlich einer Party vorführen wollen.

Die Party an diesem Juliabend wird so was wie der inoffizielle Höhepunkt dieser Jugendfreizeit am Müggelsee in Köpenick. Eine Woche lang haben 30 Jungs und Mädchen in den weißen Bungalows, die zwischen den Bäumen am See verstreut liegen, zusammengelebt. Die Hälfte der Teilnehmer stammt aus Paris, genauer: aus dem Bezirk des 18. Arrondissements, die andere aus dem Treptower Ortsteil Altglienicke.

Für die meisten ist dies der einzige Urlaub im Jahr, für viele Franzosen ist es der erste Deutschlandbesuch überhaupt. Finanziell leisten könnte sich die Reise nach Berlin kaum einer von ihnen, denn sie kommen aus Verhältnissen, die seit geraumer Zeit umgangssprachlich als „prekär“ bezeichnet werden. Der Bezirk um den „Gare du Nord“ ist in seiner Zusammensetzung besonders gemischt: fast ein Drittel der Bewohner sind Einwanderer, oft aus Afrika, Portugal oder China. 18 Prozent der Menschen hier wohnen in Sozialwohnungen. Aber auch die Jugendlichen aus Altglienicke kennen soziale Spannungen, die Arbeitslosigkeit in ihrer Gegend beträgt fast zehn Prozent.

Organisiert wurde das Treffen am Müggelsee vom Centre Français in Berlin. Das Kulturzentrum initiiert mit dem Deutsch-Französischen Jugendwerk (DFJW) jährlich knapp 20 solcher Programme. Laut Geschäftsführer Florian Fangmann haben 2011 circa 500 Berliner Jugendliche an Austauschprogrammen mit Frankreich teilgenommen. In diesem Jahr werden es jedoch weitaus mehr sein. Denn es gibt viel zu feiern: Paris und Berlin bejubeln in diesem Jahr die Silberhochzeit ihrer 25-jährigen Städtepartnerschaft, das DFJW feiert seinen 50. Geburtstag. Während am Müggelsee 30 Jugendliche aus Paris und Berlin einander kennenlernen, gedenken Angela Merkel und François Hollande auf den Stufen der Kathedrale von Reims der Versöhnung der beiden Länder vor 50 Jahren.

Für die Teilnehmer der Jugendfreizeit, die zwischen zwölf und 18 sind, haben diese Jahrestage keine Bedeutung. Für sie zählt mehr der 17. Geburtstag der Französin Fati. Zusammen mit Vanessa und Celina aus Berlin tanzt sie in der Hip-Hop-Gruppe. „Zuerst hatte ich Angst, dass ich meine Freunde hier vermissen werde“, gesteht die Pariser Schülerin. Aber zum Geburtstag gibt es von ihren deutschen Mittänzerinnen einen selbst gebackenen Kuchen. „Ist doch klar, dass wir das feiern“, sagt die 14-jährige Vanessa in einer Tanzpause. Bis vor ein paar Tagen war Frankreich für sie nur das Land der vielen Käsesorten und des langen Brotes, sie kannte kein Wort Französisch. Jetzt wirft sie stolz ihre Haare zurück, wenn sie sagt: „Je m’appelle Vanessa.“ Mit einem prüfenden Seitenblick schaut sie zu Fati. Die nickt und schmunzelt über den deutschen Akzent. Fati hat in den wenigen Tagen gelernt, auf Deutsch bis zehn zu zählen.

„Ein paar Sätze und Ausdrücke lernen die Jugendlichen durch Sprachspiele“, sagt Dolmetscherin Jeanne Deprez. Es sei erstaunlich, wie schnell einige die Wörter aufschnappen, sagt die 23-Jährige. Doch nicht alle sind so motiviert wie Vanessa und Fati. Manche Jugendliche seien schüchtern, trauten sich nicht zu sprechen oder interessierten sich weniger für die Sprache. Kommunikation und Annäherung ohne Worte, dafür mit dem Körper, ist deshalb umso wichtiger – einige Mädchen haken sich beim Spazierengehen unter oder flechten sich gegenseitig die Haare.

Bevor es weitergeht mit dem HipHop-Kurs, zeigt Fati auf ihrem Handy ein Video, auf dem sie mit ihren französischen und deutschen Freundinnen im Bungalow übermütig zur Musik von Adele tanzt. „Durch das Tanzen kommen sich die Jugendlichen sehr schnell näher“, sagt Tanzlehrer Patrick „P-Style“ Pralow. Sie müssen sich nicht mit Worten verstehen, sondern können zum Beispiel alleine durch Bewegungen sich gegenseitig die Tanzschritte zeigen. Spaß kommt da von ganz alleine. Aus dem provisorischen Tanzstudio in dem leer geräumten Essenssaal ist immer wieder lautes Lachen zu hören.

Ein paar Meter vom Haupthaus entfernt liegt der Bungalow mit der Nummer 60. Schon von Weitem pumpen schwere Hip-Hop-Bässe aus dem Haus. Dort wohnt der französische Betreuer Mamadou Doucar. Er leitet in Paris den Jugendklub „Espoir 18“, auf Deutsch: Hoffnung 18. Zusammen mit seinen Kollegen Mohamed und Soraya betreut er die französischen Jugendlichen in Deutschland.

In seinem auffällig gemusterten afrikanischen Gewand sitzt Mamadou Doucar vor einem Laptop. Mit den zwei großen Lautsprecherboxen und dem Mikro erinnert der Bungalow eher an ein Tonstudio. „Wie sagt man noch mal ,Das muss sich reimen‘ auf Französisch?“, fragt Rapper D-Rop die Dolmetscherin. Er ist deutscher Meister im Freestyle, arbeitet für das Berliner Hip-Hop-Mobil und will heute den Franzosen zeigen, wie sie ihre Kreativität ankurbeln und erste Texte schreiben können. Er steht neben einer Tafel, auf der er die Endwörter von sechs Zeilen geschrieben hat. Jeder Teilnehmer soll sich sich zu den Worten seine eigene Geschichte überlegen. „Rap ist eine universelle Sprache, die Menschen, egal woher, verbindet“, sagt er.

Zu dem Rap-Kurs haben sich nur Franzosen eingefunden, keine deutschen Jugendlichen. Hamadi reimt: „On était en route vers Berlin, des habitants trop malins, certains avaient la tête, mais d’autres étaient très bêtes – wir waren auf dem Weg nach Berlin, zu schlauen Bewohnern, einige hatten ordentlich was im Kopf, aber andere waren ziemlich blöd.“ Es ist das erste Mal, dass er ein Mikro in der Hand hält. Auch sein Deutschlandbesuch ist eine Premiere. „Ich hatte Lust, frische Ideen zu bekommen und neue Sachen auszuprobieren“, sagt der 18-Jährige. In Paris hat er bis vor kurzem in einem Restaurant gejobbt. Wo er arbeiten wird, wenn er zurück an der Seine ist, weiß er noch nicht. Musik will er auf jeden Fall weitermachen.

„Für die französischen Jugendlichen ist der Besuch in Berlin zweifach wichtig“, sagt ihr Betreuer Mamadou Doucar. Sie lernen sich untereinander kennen und erfahren mehr über ihre deutschen Nachbarn. In Paris leben sie in drei rivalisierenden Stadtvierteln, in denen sich Jugendgangs untereinander bekriegen. Deutschland kannten die meisten nur aus den französischen Medien – die platten Vorurteile der immer ernsthaften, Würstchen essenden Deutschen können sie nun durch ihre eigenen Erfahrungen revidieren. Neben den Hip-Hop-Ateliers und Tanzkursen entdecken sie Berlin von allen Seiten. Sie steigen tief in den Berliner Untergrund hinab, bestaunen die Stadt vom Fernsehturm aus, werden durch Neukölln geführt und im Roten Rathaus von der Staatssekretärin für Jugend und Familie, Sigrid Klebba, empfangen.

Am Abend auf der Party bekommen Fati und Vanessa ihren großen Tanzauftritt gut hin. Die Schritte sitzen, Patrick Pralow ist zufrieden mit seinen Schülerinnen. Eine andere Gruppe führt ein Tanzstück in barocken Kostümen auf, später machen vier Jungs noch Beatbox. Die Stimmung ist ausgelassen, nach den Darbietungen feiern die Teilnehmer der Jugendfreizeit noch bis tief in die Nacht. Die letzte wird es wahrscheinlich nicht gewesen sein. Der Gegenbesuch der deutschen Jugendlichen in Paris im nächsten Jahr ist bereits geplant.

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