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Nur nicht stressen lassen. Der Fahrlehrer kann einem das Leben zur Hölle machen. Das Gute: Nach der Prüfung sieht man ihn nie wieder. Foto: Alexander Raths/Fotolia

© Alexander Raths - Fotolia

Jugendliche und ihre Probleme: Mit Leid und Seele

Jung sein ist schlimm, aber erwachsen werden ist auch nicht besser. Was einem den Weg dahin schwer machen kann – eine Auswahl.

ELTERN

Sie meines es nur gut, wenn sie uns jeden Abend nach unserem Befinden fragen und danach, wie unser Tag so war oder was wir am Wochenende vorhaben. Dass unser Interesse an solchen Gesprächen seit der Grundschulzeit erloschen ist, ignorieren Eltern beharrlich. Leider auch den Hinweis, dass am Ende des Taschengeldes noch ziemlich viel Monat übrig ist oder dass man die nächsten Sommerferien lieber mit Freunden am Ijsselmeer verbringen würde als mit der Familie am Timmendorfer Strand. Angesprochen auf diesen Umstand erzählen sie einem was von den Füßen, die man unter ihren Tisch stellt, und von den Dingen, die man später anders machen kann, wenn man selbst mal Kinder hat. Weiter bringen einen solche Diskussionen nie, selbst wenn man Hegel und dessen Konzept von Selbstbestimmung bemüht. Diese Erkenntnis ist die erste und vielleicht wichtigste, die sich einem im Leben eröffnet.

HERMANN HESSE

Hermann Hesse zerstört unser Leben nicht, er macht es nur banaler, und das schon seit Generationen, denn seit fast 50 Jahren werden 17-Jährige die Hesse-Werke „Narziß und Goldmund“ und „Der Steppenwolf“ lesen und sich dabei besonders fühlen: Verstanden. Sie werden denken, dass sich ihnen die Weltwahrheit plötzlich offenbart – und zwar nur ihnen. Tatsächlich sind Hesses Werke nur einen kleinen Deut besser als jede Foto-Love-Story in der „Bravo“. In „Steppenwolf“ ist es die zerrissene Seele des Harry Haller, die identifikationsstiftend ist: „So geht es mir ja auch!“, denkt man beim Lesen und ahnt nicht, dass es im Prinzip jedem so geht, es aber im Leben darauf ankommt, genau das zu ertragen – und eben nicht darüber zu klagen. „Narziß und Goldmund“ ist dann wohl auch das Buch, in dem man sich „so Sätze“ anstreicht, so Sätze wie: „Jedes Leben wird ja erst durch Spaltung und Widerspruch reich und blühend. Was wäre Vernunft und Nüchternheit ohne das Wissen vom Rausch, was wäre Sinnenlust, wenn nicht der Tod hinter ihr stünde, und was wäre Liebe ohne die ewige Todfeindschaft der Geschlechter?“ Mit 17, 18 Jahren liest sich das wie die Antwort auf alles. Mit 19, 20 Jahren wie der Poesiealbumseintrag einer Zwölfjährigen.

THE SMITHS

Sogar der Rapper Casper erklärte im vergangenen Jahr: „Nur nicht stressen lassen / kurz vergessen machen / Auf dem Boden liegen / Smiths-Platten sprechen lassen.“ Ja, sie sprechen immer noch, die Smiths-Platten, obwohl es diese Band seit 1987 nicht mehr gibt und auch nie wieder geben wird, weil alle Mitglieder heillos zerstritten sind. Und zugegeben: Diese Musik, die Johnny Marr schrieb, ist natürlich über jeden Zweifel erhaben. Diese Texte, die Morrissey schrieb und sang, sind natürlich von ewiger Gültigkeit – jedenfalls solange man unglücklich ist und jung. Wenn man irgendwann aus Versehen glücklich geworden ist und älter, dann wirkt vieles von dem, was die Smiths zum Gesetz erklärt haben, irgendwie falsch. Ganz falsch übrigens: zu dem Lied „Panic“ in einem Club oder auf einer Party tanzen. Noch schlimmer: die Zeilen „Hang the DJ, hang the DJ“ laut mitsingen. Denn traurig sein, sich unverstanden fühlen – das haben Morrissey und Marr gewollt, das ist auch in Ordnung. Aber für das Ausflippen sind dann wohl doch die Jungs von Kraftklub zuständig.

H&M

Im Prinzip eine gute Idee: Für wenig Geld kann sich jeder einigermaßen vernünftige Anziehsachen leisten. Jeans für nicht mal zehn, T-Shirts für gut fünf Euro, ab und zu sogar Designermode zu Schnäppchenpreisen, etwa von Versace oder Lanvin. Insofern hat H&M schon viel dazu beigetragen, dass der Lebensabschnitt zwischen 13 und 20 Jahren heute nicht mehr der ästhetisch fragwürdigste ist. Oder anders formuliert: Jung zu sein, sah nie besser aus als heute, ein Umstand, aus dem sich ein gesundes Selbstbewusstsein entwickelt, eine gewisse Lässigkeit. Die Sache hat jedoch einen Haken, denn seit es gefühlt alle 25 Kilometer eine H&M-Filiale gibt, sehen Gymnasiasten in Charlottenburg aus wie Gymnasiasten in Bad Salzuflen oder Gymnasiasten in Neumünster. Dabei will man das doch gerade nicht: aussehen wie jemand anders.

LEHRER

Man lernt nicht für die Schule, man lernt fürs Leben. Dieses Mantra verinnerlichen Generationen von Lehramtsstudenten, um es später an ihre Schüler weiterzugeben. Warum, ist nicht ganz klar, denn über den Nutzwert der binomischen Formeln im Alltag kann man geteilter Meinung sein. Trotzdem wäre es unklug, darüber mit dem Mathelehrer zu diskutieren, vor allem kurz vor einer Klausur: Letztlich ist er es, der über die Note auf dem Zeugnis entscheidet – und damit zu einem nicht unwesentlichen Teil über unseren weiteren Werdegang. Er sieht das natürlich nicht so und schreibt deshalb unbeirrt Zahlenkolonnen an die Tafel, über deren Logik wir uns daheim den Kopf zerbrechen – auf Kosten wesentlich sinnvollerer Freizeitaktivitäten. Fast so schlimm wie der Mathelehrer ist übrigens der Fahrlehrer, ein zumeist hemdsärmeliger Typ, der pro Fahrstunde mindestens einmal betont, dass er in der Prüfung keine Verwandten kenne und man also nicht auf seine Hilfe bauen brauche. Die Prüfung ist dann auch einer der Momente, den die Beteiligten unterschiedlich erleben. Während man selbst meint, die Parklücke souverän gemeistert zu haben, klopft einem der Fahrlehrer bei der Verabschiedung gönnerhaft auf die Schulter und faselt irgendwas von „gerade noch mal gut gegangen“. Gut, dass man ihn nie wiedersehen wird.

IKEA

Spätestens mit dem Auszug aus der elterlichen Wohnung stellt man fest, dass es so ja nun wirklich nicht weitergeht: Jahrelang hat man im sogenannten Jugendzimmer die Schrankwand mit dem ausklappbaren Schreibtisch in Bucheoptik ertragen, dazu das farblich passende Einzelbett. Beides stammt aus dem Versandhaus und ist allen Beteuerungen der Eltern zum Trotz nicht praktisch, sondern einfach nur scheußlich. Also ab ins nächste Ikea, wo man sich für den neuen Lebensabschnitt in der Studenten-WG optimal einrichten kann. Aber wie eigentlich? Auf diese Frage findet man auch beim x-ten Rundgang durch die Verkaufshallen keine schlüssige Antwort. Die Auswahl ist einfach zu groß, als dass man sich auf die Schnelle entscheiden könnte. Und so verlässt man das Möbelhaus lediglich mit dem obligatorischen Starterset für die Küche. Und dem Vorsatz, sich auf den nächsten Ikea-Besuch mithilfe des hauseigenen Katalogs besser vorzubereiten. Bis dahin – aber wirklich nur vorübergehend! – müssen es die Schrankwand mit dem ausklappbaren Schreibtisch in Bucheoptik sowie das farblich passende Einzelbett tun. Praktisch sind sie ja.

FACEBOOK

Es gibt diese Szene in dem Film „The Social Network“, diesem großen Film von David Fincher über Mark Zuckerberg und Facebook, die erklärt eigentlich alles. Zuckerberg hat gerade angefangen, Facebook zu programmieren, damals nennt er es noch „The Facebook“. Er schläft tagelang nicht, er arbeitet an seinem Lebenswerk, er ist übermüdet. Da fragt ihn einer seiner wenigen Nerd-Freunde beiläufig, ob er wüsste, ob dieses eine Mädchen eigentlich einen Freund habe. Zuckerberg schaut ihn verschlafen an und sagt, er wisse es nicht, woher auch?, Menschen hätten schließlich kein Schild um den Hals, auf dem steht, ob sie in einer Beziehung sind oder nicht. Und noch während er spricht, rennt er los, zurück in sein Zimmer, zurück an seinen Rechner. Er setzt sich hin und programmiert für „The Facebook“ die Einstellung, ob jemand in einer Beziehung ist oder nicht. Menschen haben kein Schild um den Hals. Mark Zuckerberg hat das nichts geändert, Facebook hat das nicht geändert. Freunde, Liebe, Glück – das findet man da, wo man es nicht vermutet, was vor allem daran liegt, dass es keinen Ort gibt für Freunde, Liebe, Glück. Zuckerberg war damals zu jung, um das zu wissen.

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