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Jugend

© Doris Spiekermann-Klaas

Junge Muslime: Yo, Allah!

Cool und religiös zu sein ist kein Widerspruch. Junge Muslime leben nach dem Koran – und hören Rap.

Rehab El Hussein will kein Kopftuch tragen. Noch nicht. Die 18-jährige Berlinerin ist sich zwar sicher, dass sie das später einmal tun wird. Doch im Moment trägt sie ihr schwarzes Haar lieber offen, zu einem Pferdeschwanz gebunden. Rehabs Kleidung ist modern, ihre Augen sind dunkel geschminkt – auf den ersten Blick unterscheidet sie sich nicht von anderen Jugendlichen in ihrem Alter. Doch Rehab ist eine gläubige Muslimin. Der Islam ist ihr sehr wichtig. Ohne „Allah“ fühlt sie sich leer, sagt sie. Abgesehen von Kleidervorschriften halte sie sich gern an alle Regeln, die in ihrer Religion und ihrer libanesischen Familie gelten. „Alkohol trinken und in die Disco gehen finde ich nicht gut“, sagt Rehab, „ich würde das auch nicht tun, wenn es meinen Eltern egal wäre.“

Rehab ist eine von vielen tiefreligiösen Jungmuslimen in Deutschland, die den Islam in ihren Alltag in Deutschland integriert haben. Ihre Zahl ist deutlich angestiegen, wie der „Religionsmonitor“ der Bertelsmann-Stiftung von 2008 belegt. 51 Prozent der dort befragten jungen Muslime geben an, „ziemlich“ oder „sehr“ interessiert an religiösen Themen zu sein. Bei den über 60-Jährigen sind es dagegen nur 40 Prozent.

In ihrer Freizeit besucht Rehab Freundinnen, geht mit ihnen ins Café oder hört zu Hause Hip-Hop. „Musik ist doch auch haram“, sagt ihr Mitschüler Ugur Urkal. Haram heißt „im Islam verboten“. Rehab nickt, „das stimmt“. Aber Hip-Hop will sie sich eben auch noch nicht nehmen lassen. Ugur und Rehab gehen beide in einen Berufsvorbreitungskurs für Jugendliche aus Zuwandererfamilien. Sie sitzen zusammen mit anderen in einem kleinen Unterrichtszimmer des Förderprojekts „Move!“ in Neukölln und diskutieren.

Ein ungewohnter Anblick ist das schon: Ugur trägt einen roten Kapuzenpulli, hat grüne Augen, helle Haare und das ganze Gesicht voller Sommersprossen. Doch während er spricht, rezitiert er immer wieder arabische Verse und mischt sie mit türkischen Wörtern. Für ihn sei der Islam „der Sinn des Lebens“. Ugur sagt, die anderen seien nur deshalb nicht gläubig, „weil sie Allah nicht näher kennengelernt haben“. Wenn sie das täten, würden sie sich um seine Liebe bemühen. So wie er. In seiner Familie ist er der Einzige, der den Glauben praktiziert, also fünfmal am Tag betet und regelmäßig zur Moschee geht.

Die jungen Muslime Deutschlands unterscheiden sich jedoch von der älteren Generation: Sie tragen Markenklamotten, hören Rapmusik, wollen Karriere machen und als Teil der Gesellschaft anerkannt werden. Sie sind eine Jugendbewegung und leben den islamischem „Lifestyle“. Die Popmuslime haben Superstars, die die deutsche Öffentlichkeit nicht wahrnimmt. So wie Sami Yusuf. Der Engländer hat mit korankompatiblen Schnulzen weltweit bereits Millionen CDs verkauft. Rehab und Ugur kennen seine Lieder, so wie die meisten jungen Muslime in Deutschland.

Mit Rapper-Gesten und auf Beats gesprochenen Gottpreisungen haben sich auch die zwei Deutschtürken von „YaHu“ Gehör verschafft. Und es gibt Rapperinnen mit modischem Kopftuch, wie „Lady Scar“. Im Internet chatten islamische Jugendliche auf Islam-Portalen wie „Vaybee!“ oder „waymo.de“ – eine Mischung aus Youtube und StudiVZ. Passende Streetwear finden sie im Internet auch, bei Modelabels wie „styleislam.de“ oder „muslim-shirt.de“. Dort kann man Oberteile mit dem eigenen Namen in arabischer Kalligrafie bestellen. „Warum sollten diese Jugendlichen ein T-Shirt tragen, auf dem New York oder Manhattan steht?“, fragt der Berliner Hakan Tosuner. „Viele tragen lieber etwas, zu dem sie einen Bezug haben.“ Er ist Mitglied im Verein „Muslimische Jugend Deutschland“, wo viele den Islamstyle leben.

Doch Mode und Pop allein machen die Jungmuslime nicht aus – der Islam ist für sie eine Lebenseinstellung: Sie gehen lieber in den Koranunterricht als in die Disco. Drogen, Sex oder materielle Exzesse sind für sie tabu. Sie beten und fasten. Die wachsende Zahl praktizierender Jungmuslime erklärt Hakan Tosuner damit, dass islamische Organisationen in den vergangenen Jahren Angebote für Jugendliche geschaffen haben, die es früher nicht gab. Dazu gehört auch eine neue Generation von Imamen: Prediger, die den Bedürfnissen junger Deutschmuslime entsprechen. Sie bieten islamische Glaubenslehre auf Deutsch an. In den meisten Moscheen haben die ergrauten Imame keine Ahnung vom Leben in Deutschland. Nicht so die charismatischen Superimame, sie sprechen über den Alltag ihrer jungen Fans. Ihre Reden werden im Internet als Videos veröffentlicht. So wie die von Abdul Adhim, der in der Berliner Al-Nur-Moschee predigt.

Von außen sieht man dem Gebetshaus nicht an, dass es das neue Mekka vieler muslimischer Jugendlicher in der Hauptstadt ist. Ein grauer Kasten im Neuköllner Industriegebiet. Es ist Sonntagnachmittag, im zweiten Stock sitzen rund hundert Mädchen und junge Frauen auf den rot-beigen Gebetsteppichen, die nach Osten gerichtet sind. Sie lachen und tratschen in kleinen Grüppchen auf Deutsch. Unter ihnen sind konvertierte Deutsche. Dann, es ist fast drei Uhr, wird ein großer Flachbildschirm an der Wand angeschaltet. „Pssst, es geht los.“

Ein junger Mann mit dünnem Vollbart und einem weißen Gewand lächelt freundlich. Imam Abdul Adhim, 32 Jahre, sitzt im Erdgeschoss bei den Männern auf dem Boden und predigt. 75 Ratschläge sollen seine „Brüder und Schwestern“ heute empfangen, die Frauen oben durch Dolby-Surround-System. Er redet über Erziehung: „Wenn die Eltern Schrott sind, werden die Kinder auch Schrott“, ruft er mahnend. Damit das nicht eintrifft, gibt er Ernährungsratschläge, bittet darum, Bücher zu lesen und reinlich zu sein.

Im Neuköllner Klassenzimmer erklärt die Schülerin Rehab El Hussein, warum sie Muslimin ist. „Wenn ich in den Koran schaue, macht alles Sinn“, sagt sie. Im Libanon, dem Land ihrer Eltern, will Rehab nicht leben. „Ich bin hier zu Hause“, sagt sie, „ich mag Deutschland.“ Auch Ugur Urkal will nicht wegziehen aus Deutschland. Was er aber will, ist einmal nach Mekka pilgern. Dorthin, wo jeder Moslem eines Tages gewesen sein muss.

Ferda Ataman

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