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Keine Privatsache. Richter Wolfgang Strauß muss sich jetzt um die eigene Zukunft sorgen machen – es gibt bereits einen neuen Befangenheitsantrag gegen ihn.

© facebook

Justiz und Irrtum: Wenn Richter gnadenlos witzig sind

Der Fall eines Strafrichters, der sich auf Facebook über Angeklagte lustig machte, zeigt, wie schwer sich die Justiz im Umgang mit Befangenheit tut.

Kreativität ist selten eine herausragende Eigenschaft von Richtern. Vielleicht ist der Rostocker Strafrichter Wolfgang Strauß gleichwohl selbst auf die Idee gekommen, den Bausparkassen-Slogan „Wir geben Ihrer Zukunft ein Zuhause“ mit dem Kürzel „JVA“ statt „LBS“ abzuwandeln. JVA wie Justizvollzugsanstalt. Jedenfalls ist über Strauß zu hören, dass er sein T-Shirt mit dem Aufdruck sehr mochte und häufiger trug. So sehr, dass sich der 58-jährige Vorsitzende der zweiten Großen Strafkammer am Landgericht darin im öffentlichen Bereich seiner Facebook-Seite präsentierte. Seine entspannte Pose samt Bierglas erläuterte der User im Kommentarbereich mit den Worten, dies sei sein „Wenn Du raus kommst, bin ich in Rente“-Blick.

Der Bundesgerichtshof (BGH) kannte für diese Art der Selbstinszenierung kein Pardon. Wegen offenkundiger Befangenheit hob er Mitte Januar eine Verurteilung zweier Angeklagter zu langjährigen Haftstrafen auf. Die Facebook-Seite dokumentiere eindeutig eine innere Haltung des Vorsitzenden, die „bei verständiger Betrachtung besorgen lässt, dieser beurteile die von ihm zu bearbeitenden Strafverfahren nicht objektiv, sondern habe Spaß an der Verhängung hoher Strafen und mache sich über die Angeklagten lustig“.

Ein Ausnahmefall, in jeder Hinsicht. Noch nie ist ein Richter in Deutschland in derartiger Weise auffällig geworden. Es ist zudem selten, dass es, wie hier, Angeklagten und ihren Verteidigern gelingt, einen Richter wegen Befangenheit abzulehnen. Darüber hinaus kann der Vorgang nicht einfach zu den Akten gelegt werden, selbst wenn der Facebook-Auftritt längst gelöscht ist und das Rostocker Landgericht angekündigt hat, keine Disziplinarmaßnahmen ergreifen zu wollen. Denn die Gründe für die Zweifel an der Unparteilichkeit des Richters erstrecken sich im Prinzip auf alle Verfahren, an denen der Vorsitzende beteiligt ist.

Das Landgericht verweigert Auskünfte dazu, aber in mindestens einem Fall liegt nach Tagesspiegel-Informationen bereits ein weiterer schriftlicher Befangenheitsantrag gegen Strauß vor. Ein Berliner Strafverteidiger hat ihn gestellt. Lehnt ihn das Gericht wie in dem vorangegangenen Verfahren ab, muss voraussichtlich erneut der BGH entscheiden. Theoretisch ist es nicht einmal vollkommen ausgeschlossen, bereits rechtskräftige Verurteilungen im Rahmen einer Wiederaufnahme prüfen zu lassen. Der Sprecher des Rostocker Landgerichts hält dies für abwegig, erklärt aber nicht, weshalb: „Das Gericht ist keine Rechtsauskunft.“

Diese wie andere Äußerungen aus Justizkreisen zum Fall verdeutlichen das Problem. Gelegentlich, zumal in Fragen der Befangenheit, herrscht eine Wagenburgmentalität, vor allem bei kleineren Gerichten. Es lässt sich schlecht über die Unparteilichkeit eines Kollegen befinden, mit dem man mittags in die Kantine geht. Unvoreingenommenheit gehört zum Kernbestand richterlicher Selbstvergewisserung. Sie einander abzusprechen, mag manchem frevlerisch erscheinen.

Auch im Rostocker Ausgangsfall regierten zunächst diese Reflexe. Als der Verteidiger eines der beiden Angeklagten in der Hauptverhandlung vor rund einem Jahr die Facebook-Seite ansprach, warf ihm der empörte Staatsanwalt vor, damit Privates ausgeschnüffelt und gewissermaßen unter die Gürtellinie geschlagen zu haben. Richter Strauß selbst gab eine äußerst knappe dienstliche Erklärung ab: „Ich werde mich nicht zu meinen privaten Lebensverhältnissen äußern." Die Kammer wies den Befangenheitsantrag zurück. Der Internetauftritt des Vorsitzenden betreffe ausschließlich dessen persönlichen Lebensbereich – und sei offensichtlich humoristisch geprägt.

Ähnlich unempfindlich zeigte sich der Generalbundesanwalt, der sich routinemäßig zu Revisionsverfahren äußert. Die Facebook-Seite sei „dem privaten Bereich“ zuzuordnen und weise „keinen konkreten inhaltlichen oder sonstigen Bezug zum vorliegenden Verfahren“ auf, heißt es in einer Stellungnahme vom November. Erst der BGH konterte: Die Seite enthalte sehr wohl „einen eindeutigen Hinweis auf die berufliche Tätigkeit des Vorsitzenden und betrifft deshalb nicht lediglich dessen persönliche Verhältnisse“. Der Auftritt sei mit der gebotenen Haltung der Unvoreingenommenheit unvereinbar.

Sowohl in Rostock wie bei den obersten Anklägern in Karlsruhe wurde das Offensichtliche übersehen: Dass ein Richter, der auf seiner persönlichen Webseite Dienstliches öffentlich macht, sich nicht darauf zurückziehen kann, es sei alles nur privat. Nun wird das Geschehen zum Testfall für die Fähigkeit der Justiz, sich selbst zu korrigieren. Das Justizministerium Mecklenburg-Vorpommern teilt mit, dass sich „das Präsidium des Landgerichts als Organ der richterlichen Selbstverwaltung Mitte März mit der Angelegenheit befassen wird“. Möglich wäre, zum Beispiel, eine Versetzung in die Zivilgerichtsbarkeit.

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