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Der rechtsextreme Stephan Balliet sitzt im Hochsicherheitsgefängnis in Burg in Sachsen-Anhalt.

© dpa/Klaus-Dietmar Gabbert

Update

Nach Geiselnahme durch Halle-Attentäter: Landtag Sachsen-Anhalt berät in Sondersitzung zu Vorfall in JVA Burg

Der Attentäter von Halle hat am Montagabend versucht, seine Freilassung aus der Haft zu erzwingen. Stephan Balliet war bewaffnet, wurde aber überwältigt.

In Sachsen-Anhalt soll die Aufklärung der Geiselnahme des Halle-Attentäters am Mittwoch fortgesetzt werden. Der Rechtsausschuss des Landtags kommt am Mittag in Magdeburg zu einer Sondersitzung zusammen. Das sagte eine Sprecherin des Parlaments der Deutschen Presse-Agentur.

Am Montagabend hatte der rechtsextreme Halle-Attentäter zeitweise zwei Bedienstete in der JVA Burg in Sachsen-Anhalt in seine Gewalt gebracht. Der 30-Jährige wurde nach weniger als einer Stundedurch weitere Justizvollzugsbedienstete im Innenbereich des Gefängnisses überwältigt.

Zuständig für die Ermittlungen ist bisher die Staatsanwaltschaft Stendal. Am Dienstag hatte diese noch keine Akten vorliegen und konnte zu einem möglichen Einsatz eines Gegenstands bei der Geiselnahme nichts sagen.

Am Mittwoch könnte die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg das Verfahren an sich ziehen. Landesjustizministerin Franziska Weidinger (CDU) schließt eine Verlegung des Gefangenen in ein anderes Bundesland nicht aus. „Eine Option ist, den Gefangenen aus seinem vollzuglichem Umfeld zu verbringen“, sagte sie. Derzeit sei der Halle-Attentäter in der JVA Burg in einem „besonders gesicherten Haftraum“ untergebracht.

Balliet habe bei seinem Ausbruchsversuch einen „selbstgebauten Schussapparat“ benutzt, sagte Sachsen-Anhalts Justizministerin Franziska Weidinger (CDU) am Dienstag in Magdeburg. Details zu den verwendeten Komponenten und der Funktionsfähigkeit würden derzeit durch das Landeskriminalamt untersucht.

Der Gefangene wurde und wird engmaschig vollzuglich betreut und kontrolliert.

Franziska Weidinger, Sachsen-Anhalts Justizministerin (CDU)

Wie die „Welt“ unter Berufung auf Sicherheitskreise berichtet, soll er mit der Waffe einen Schuss in Richtung einer Umzäunung abgegeben haben. Bei Balliet wurden demnach außerdem ein Messer, eine Bastelschere und ein Dosenöffner gefunden.

Jüdische Gemeinde „sehr erschrocken“

Den Angaben zufolge hat der Gefangene beim Einschluss gegen 21 Uhr einen JVA-Bediensteten in seine Gewalt gebracht und einen zweiten Bediensteten dadurch gezwungen, ihm Türen in der Anstalt zu öffnen. Sein Motiv sei gewesen, die Justizvollzugsanstalt zu verlassen, sagte die Justizministerin. Derzeit sitze er in einer speziell gesicherten Einzelzelle. Nach Ministeriumsangaben bestand „zu keinem Zeitpunkt eine Gefahr für die Allgemeinheit“.

Die Jüdische Gemeinde in Halle reagierte mit Entsetzen auf die Geiselnahme. „Das hat uns sehr erschrocken“, sagte der Vorsitzende der Gemeinde, Max Privorozki, der Deutschen Presse-Agentur. „Ich bin gespannt, was rauskommt“, ergänzte er mit Blick auf die Ermittlungen.

Gegenwärtig werde geprüft, ob in der JVA Sicherheitsbestimmungen im Vorfeld der Tat missachtet worden seien, sagte Justizministerin Weidinger. Woher er die Komponenten seines selbst gebauten Schussapparats bezogen habe, werde derzeit geprüft.

„Der Gefangene wurde und wird engmaschig vollzuglich betreut und kontrolliert“, sagte Weidinger. Üblicherweise bewege er sich in einer Kleinhäftlingsgruppe und habe Zugang zu Gegenständen des täglichen Bedarfs.

Stephan Balliet – hier nach einem Verhandlungstag in Magdeburg.
Stephan Balliet – hier nach einem Verhandlungstag in Magdeburg.

© Imago/Christian Schroedter

Der Halle-Attentäter war am 21. Dezember 2020 zu lebenslanger Haft und anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt worden. Balliet gilt als unkooperativer und schwieriger Häftling, der im Haftverlauf ein „ambivalentes Verhalten“ an den Tag gelegt habe. Mal kommuniziere er mit dem Anstaltspersonal, dann wieder lehne er sich auf.

So habe er etwa wenige Monate zuvor seine Zellentür von innen mit Papier verriegelt und sei damals bereits für einen Tag in einer Ausweichzelle verlegt worden.

Balliet gilt als unkooperativer und schwieriger Häftling

Am Pfingstwochenende 2020 hatte er als Angeklagter im Halle-Prozess versucht, aus der JVA Halle zu fliehen. Während eines Hofgangs war er über einen 3,40 Meter hohen Zaun geklettert und hatte fünf Minuten ohne Aufsicht nach Wegen aus dem Gefängnis gesucht, bevor ihn Justizbedienstete wieder schnappten.

Der rechtsextreme Attentäter hatte am 9. Oktober 2019 versucht, am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur die Synagoge von Halle zu stürmen und ein Massaker anzurichten. Er warf Brand- und Sprengsätze und schoss auf die Zugangstür.

Als es ihm nicht gelang, aufs Gelände zu kommen, ermordete er vor der Synagoge eine 40 Jahre alte Passantin und in einem nahe gelegenen Döner-Imbiss einen 20-Jährigen. Auf der Flucht verletzte er weitere Menschen.

Balliet war im Dezember 2020 vom Oberlandesgericht Naumburg zu einer lebenslangen Haftstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt worden. Das Gericht sprach ihn wegen Mordes in zwei Fällen und versuchtem Mord in mehr als 55 Fällen schuldig.

Am Dienstag wurden Forderungen nach Aufklärung und der Beseitigung von Schwachstellen im Gefängnis laut. „Die Welt schaut auf Sachsen-Anhalt und die Landesregierung trägt eine besondere Verantwortung und muss besonders sorgfältig handeln“, erklärte Linken-Fraktionschefin Eva von Angern. Justizministerin Franziska Weidinger (CDU) müsse alles unternehmen, damit der Vorfall aufgearbeitet und Schwachstellen behoben werden.

Der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Fraktion, Sebastian Striegel, drängte auf eine schnelle Sitzung des Rechtsausschusses des Landtags zu dem Vorfall. „Wir müssen jetzt schnell zu gesicherten Informationen kommen“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur.

Er sei „extrem beunruhigt“, dass es nach dem Ausbruchsversuch des Attentäters in der JVA Halle und einem versuchten Angriff im Gericht nach der Urteilsverkündung erneut „zu einem schwerwiegenden Sicherheitsvorfall“ durch den Gefangenen gekommen sei. (epd, dpa, AFP, Tsp)

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