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Panorama: Kälterekorde: Der eisige "Dzud" tötet Tiere und Menschen

Die Pferde sind bis auf die Rippen abgemagert. Schafe suchen hilflos auf dem zugefrorenen Boden nach Futter.

Die Pferde sind bis auf die Rippen abgemagert. Schafe suchen hilflos auf dem zugefrorenen Boden nach Futter. Auf vielen Steppen liegen zugeschneite Kadaver erfrorener Kühe. Große Teile der Mongolei und Nordchinas erinnern in diesen Tagen an eine Eiswüste. Mit Schneestürmen und Temperaturen von bis zu minus 50 Grad wird Nordasien zum zweiten Mal hintereinander von einem Katastrophenwinter heimgesucht. Die Mongolei bat deshalb jetzt um internationale Hilfe. Mehr als 600 000 Pferde, Kühe und Schafen sind in den vergangenen Wochen in der Mongolei durch Kälte und Futtermangel ums Leben gekommen. In Nordchina hat der Katastrophenwinter bisher 320 000 Weidetiere getötet. Mehr als drei Dutzend Hirten sind bei Schneestürmen in China ums Leben gekommen. Tausenden chinesischen Nomaden, Viehzüchtern und Bauern droht eine Hungersnot.

"Dzud" nennen die Mongolen besonders eisige Winter. Zum ersten Mal erleben die Hirten jedoch, dass zwei solcher Kältewinter aufeinander folgen. Eine Dürre im Sommer sorgte dafür, dass auf den Steppen kaum genügend Gras nachwachsen konnte. Das Ergebnis ist für die Nomaden ein Desaster. "Das Wintergras wurde schon im Sommer verfressen", sagt Franz-Volker Müller von er Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) in Ulan Bator. In vielen Gebieten seien die Weiden abgegrast und das Futter verbraucht. Spätestens im März und April, wenn die Tiere "richtig ausgehungert" seien, drohe ein Massensterben auf den Weiden.

Knapp drei Millionen Tiere sind im vergangenen Winter durch den "Dzud" gestorben - fast ein Zehntel des gesamten Viehbestandes der Mongolei. "Dieses Jahr könnten es noch mehr werden", warnt Müller. Die Mongolen sprechen von einem "gemischten Dzud". Im Norden des Landes ist es vor allem der "weiße Dzud", der den Nomaden das Leben schwer macht: Dort hat es in den vergangenen Wochen so viel geschneit, dass die Tiere nicht mehr an das darunter liegende Gras herankommen. Beim "schwarze Dzud" im Süden ist der Boden knochenhart zugefroren.

Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks und der Demokratisierung der Mongolei vor einem Jahrzehnt hatten Hunderttausende Mongolen wieder ein traditionelles Nomadenleben begonnen. Seit 1989 stieg der Tierbestand des Landes von 24 Millionen auf heute knapp 34 Millionen Stück Vieh. Wegen der internationalen Nachfrage nach Kaschmir wurden vor allem mehr Ziegen gezüchtet, der Bestand verdoppelte sich in der Zeit. Im Sommer und während milder Winter war dies kein Problem. Bei einem strengen Dzud reichen die wenigen Gebiete, in denen es noch Gras gibt, für die Tiere jedoch nicht mehr aus.

Internationale Hilfe läuft an

Für die arme Mongolei sind die Folgen katastrophal. Ein Drittel der 2,3 Millionen Menschen des Landes leben von der Viehzucht. Ohne Hilfe aus dem Ausland drohen große Teile der Bevölkerung in die Armut abzurutschen. Japan hat mit zehn Millionen US-Dollar bisher die meisten Spenden geschickt. Die Vereinten Nationen veröffentlichten bereits vergangene Woche einen internationalen Hilfsappell in Höhe von 25 Millionen Mark.

Das Problem für die Regierung in Ulan Bator ist jedoch, die Notpakete in die abgelegenen Gebiete zu transportieren. Weil viele Nomaden einen harten Winter vorausgesehen haben, sind sie mit ihren Herden in weit entfernte, grasreichere Gebiete gezogen. "Manche waren Hunderte Kilometer unterwegs", sagt Müller. Für die Hilfsorganisationen sind sie damit kaum zu erreichen. In manchen abgelegenen Gebieten droht den Nomaden eine Hungersnot, sagen Experten.

Etwas besser sieht die Lage in Nordchina aus. Im Gegensatz zur Mongolei verfügt die Volksrepublik über genügen Ressourcen, um die Menschen durch den Winter zu bringen. Straßen und Infrastruktur sind in China besser ausgebaut. Mehr als 900 000 Viehzüchter und 10 Millionen Tiere sind nach Regierungsangaben in dem autonomen Gebiet Xinjiang von dem harten Winter betroffen. In der Inneren Mongolei wurden 220 000 tote Tiere gemeldet. Ein staatliches Hilfsprogramm ist inzwischen angelaufen. Für Chinas Zentralregierung hat es politische Bedeutung, den beiden Provinzen schnell Hilfe zukommen zu lassen. Die Innere Mongolei und Xinjiang werden zum großen Teil von ethnischen Minderheiten bewohnt. Viele der moslemischen Uiguren in Xinjiang fühlen sich von den Chinesen unterdrückt und kämpfen für einen eigenen Staat. Eine Armutswelle durch den harten Winter könnte die antichinesische Stimmung weiter verstärken. Tausende Kinder mussten in den vergangenen Wochen bereits ihre Schulen verlassen, weil die Eltern kein Geld mehr für das Schulgeld haben, berichten die Staatsmedien.

Noch ist unklar, ob für die zweimalige Dzud-Katastrophe allein das Wetter verantwortlich ist. Seit dem Sommerhochwasser vor zwei Jahren wird in China offener darüber diskutiert, welchen Anteil der Mensch an den Naturkatastrophen hat. Pekinger Umweltschützer sind der Ansicht, dass der Raubbau an der Natur die Auswirkungen des Dzuds zumindest verstärkt hat. In den vergangenen Jahren sind große Teile der Inneren Mongolei durch Abholzung und Überbewirtschaftung versteppt.

Harald Maass

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