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Panorama: Kann denn Mode Sünde sein?

Eine Istanbulerin zeigt, dass zwischen Kopftuch und Sex-Appeal kein Widerspruch bestehen muss

Wenn Rabia Yalcin auf das Verhältnis zwischen ihrer Mode und ihrer Religion angesprochen wird, erzählt sie manchmal die Geschichte vom Wasserhändler. „Der verkauft also Wasser, und da kommt Ahmet, kauft Wasser und verdünnt damit seinen Schnaps. Hat der Wasserhändler etwa gesündigt?“ Natürlich nicht, lautet die Antwort nach Ansicht von Yalcin. Dieses Credo ist wichtig für die 40-jährige Istanbulerin. Denn Rabia Yalcin ist eine erfolgreiche türkische Modemacherin, deren raffinierte Kleider manchmal viel nackte Haut zeigen – dabei ist sie selbst eine gläubige Muslimin, die das Kopftuch trägt und die niemals eines ihrer gewagten Modelle öffentlich tragen würde.

Yalcin findet nichts dabei. Zwar gebe es für sie persönlich wegen ihres Glaubens klare Grenzen, was ihre Kleidung in der Öffentlichkeit angehe. „Aber das gilt ja nicht für alle“, sagte sie dem Tagesspiegel am Sonntag. Dieselbe Botschaft verkündet sie auch in Interviews mit türkischen Medien. Wenn ihre Kundinnen mit gewagten Kleidern aus dem Haus gehen wollten, sei das ihre Entscheidung. „Ich übernehme keine Verantwortung für die Sünden anderer Leute“, sagt sie mit einem Augenzwinkern.

Sie tut gut daran, denn fromm sind die häufig mit aufwendigen Stickereien geschmückten Entwürfe von Rabia Yalcin wirklich nicht. Da ist das schwarze Abendkleid, das den Rücken völlig frei lässt und mit lockeren, durchsichtigen Strickmustern an Schultern, Armen und Bauch auch sonst mehr entblößt als bedeckt. Da ist das schneeweiße Hochzeitskleid mit tiefem Ausschnitt. Da ist das Dekolletee, das bis zum Bauchnabel reicht. Da ist die schulterfreie Abendgarderobe mit kurzem Rock.

„Osmanische Opulenz“ wolle sie mit ihren Entwürfen abbilden, sagt Yalcin, und fügt hinzu, dass sie sich selbst als Künstlerin betrachte. Zwischen Kopftuch und Sex-Appeal besteht für sie kein Widerspruch – auch wenn das einige Frauen schockt, die sich bei ihr nach Kleidern umschauen. Auf eine bestimmte Linie oder gar religiöse Vorgaben will sich die Designerin auf keinen Fall festlegen lassen. „In mir wohnen 40 verschiedene Frauen“, erzählt sie. „Je nachdem, mit welcher ich morgens aufwache, mache ich an einem bestimmten Tag eben bestimmte Entwürfe.“

Dass sie ständig auf ihr eigenes Kopftuch angesprochen wird, gefällt der Modemacherin überhaupt nicht. „Das Kopftuch hat mit meiner Arbeit nichts zu tun“, betont sie. Yalcin absolvierte lediglich die Grundschule. Sie trägt seit dem 14. Lebensjahr das Kopftuch und heiratete mit 17 – doch sie entspricht überhaupt nicht dem Bild der unterwürfigen Muslimin, die zu Hause bleibt und die Kinder hütet. Als Tochter einer Schneiderin entdeckte sie schon früh ihre Liebe zur Mode und begann zunächst damit, Kleider für sich selbst und ihre Bekannten zu entwerfen. Diese ersten Entwürfe waren ein solcher Erfolg, dass Yalcin bald auf der Straße von interessierten Frauen angesprochen wurde.

Ihr Entwürfe entwickelt sie regelmäßig allein: „Ich, ein Spiegel und Stoff“, sonst sei niemand beteiligt, erzählt sie – außer den erwähnten 40 Frauen, die in ihr wohnen. Spontaneität, Extravaganz und vielleicht auch ein kleiner Spleen machen das Erfolgsrezept der Istanbulerin aus. Der Reporterin Sibel Arna von der Tageszeitung „Hürriyet“ sagte die Modeschöpferin vor kurzem mitten im Interview: „Ich bin sehr beeindruckt von Ihren Augen – vielleicht werde ich morgen als Sibel durch die Gegend laufen.“ Ob sie noch ganz normal sei, fragte die Journalistin darauf, doch Yalcin ließ sich überhaupt nicht aus der Ruhe bringen: „Kein Künstler ist normal“, lautete die Antwort. „Auch ich nicht.“

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