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Panorama: Kindheit in Ketten: Ukrainische Eltern hielten ihre Tochter jahrelang wie ein Tier

Für Nina Gordy aus Podolskij Jar in der Westukraine sind selbst die alltäglichsten Verrichtungen aufregende Entdeckungen. Die 36-Jährige war 23 Jahre im Kuhstall ihrer Eltern angekettet, die nach eigenen Aussagen nicht wussten, was sie mit ihrer geistig behinderten Tochter anfangen sollten.

Für Nina Gordy aus Podolskij Jar in der Westukraine sind selbst die alltäglichsten Verrichtungen aufregende Entdeckungen. Die 36-Jährige war 23 Jahre im Kuhstall ihrer Eltern angekettet, die nach eigenen Aussagen nicht wussten, was sie mit ihrer geistig behinderten Tochter anfangen sollten.

Den Skandal, über den gegenwärtig ukrainische wie russische Zeitungen berichten, deckte im Mai eher zufällig eine Lokalreporterin auf, die über private Landwirtschaftsbetriebe recherchierte. Schon vor drei Jahren entdeckten Polizisten, die auf der Suche nach einem gestohlenen Traktor waren, die junge Frau nackt und voller Kot. Sie saß in einem Kuhstall, der so baufällig war, dass die Eltern der Frau das Vieh ins Haus holten, die Tochter aber sogar im Winter im Stall ließen. Angeblich haben die Beamten das grausige Erlebnis einfach vergessen. Ein Reporter kam jedoch zu dem Schluss, dass die Mehrheit im Dorf von allem gewusst hat.

Mit 13 Jahren in den Stall

Ninas Eltern, die im Kolchos als Schafhirten arbeiteten, versuchen, sich damit herauszureden, dass sie Nina nicht unbeaufsichtigt zu Hause lassen konnten. Mehrmals hatte sie Geschirr und Fensterscheiben zerbrochen. Mit sieben legte ihre Mutter Maria, heute 64, die Tochter in der Küche an die Kette, mit 13 kam sie in den Stall. Als Nina im Frühsommer in die psychiatrische Klinik in der Regionalhauptstadt Chmelnitzki eingeliefert wurde, wog sie knapp 32 Kilo, hatte panische Angst vor Menschen und versteckte ihren Kopf zunächst ständig unter einem Kissen. Jetzt lächelt sie oft und streckt sogar die Hände aus, wenn Ärzte oder Schwestern sie streicheln. Seit Juli kann sie allein mit dem Löffel essen, ihre Hände waschen und mit einem Handtuch abtrocknen. Seit neuestem benutzt sie einen Lippenstift und schmückt ihre Hände mir Ringen. Nina liebt Blumen, vor allem weiße Geranien, die sie dicht an ihre Nase hält, um immer wieder den Duft einzuatmen und reagiert hypersensibel auf Musik: Bei New-Age-Sound strahlt sie über das ganze Gesicht und bei Hard Rock weint sie.

Laufen lernen ist das Schwerste

Die Ärzte haben inzwischen Oligophrenie diagnostiziert. Das bedeutet geistig verzögerte Entwicklung, keineswegs jedoch totale Bildungsunfähigkeit. Was Nina schon beweist: Ende Juli konnte sie erstmals einen Stift in der Hand halten und jetzt malt sie grüne und rote Kreise auf Papier. Das Schwerste für sie und ihre Therapeuten ist momentan jedoch laufen lernen. Ninas Muskeln haben sich im Stall zurückgebildet. Nur mit Mühe schafft sie es, sich bis zu den Knien aufzurichten und durch das Zimmer zu rutschen.

Zu Sowjetzeiten versuchten Dorfbeamte mehrmals, Ninas Eltern zu überzeugen, das Mädchen in eine Klinik zu bringen. Die Mutter weigerte sich jedoch, weil sie fürchtete, dass Nina dort vergiftet würde. Jetzt weigert sich die Staatsanwaltschaft, den Fall aufzurollen. Begründung: Ninas Eltern sei nicht Mangel an Liebe, sondern nur Unverstand anzulasten.

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