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Kinski

© dpa

Klaus Kinski: Wahnsinn, dieser Mann

Nach der Intervention des Berliner Datenschutzbeauftragten ist der psychiatrische Krankenbericht von Klaus Kinski unter Verschluss - vorerst zumindest.

Die Kinski-Akte bleibt geschlossen. Der Berliner Datenschutzbeauftragte Alexander Dix wurde gestern aktiv, nachdem „Bild“ aus den Krankenakten der Karl-Bonhoffer-Nervenklinik zitiert hatte. Die Akten waren tags zuvor zusammen mit etwa 100 000 weiteren historischen Berliner Patientenakten feierlich dem Landesarchiv Berlin übergeben worden. Dix bat gestern das Berliner Landesarchiv, die rechtlichen Bedingungen für die Herausgabe von Informationen aus dem historischen Aktenbestand genau zu prüfen.

Das Landesarchivgesetz regelt, ab welchem Zeitpunkt Außenstehende Einsicht in persönliche Akten nehmen dürfen. Dabei gibt es Sperrfristen von 10, 30 und 60 Jahren. „Wir haben um Prüfung gebeten, weil uns nichts darüber bekannt ist, inwieweit das Landesarchiv die Vorgaben zu den Sperrfristen eingehalten hat“, sagt Anja-Maria Gardain, Pressesprecherin des Berliner Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit. Man stehe mit dem Landesarchiv in Verbindung und hoffe auf baldige eindeutige Klärung der Sachlage.

Wie die Sprecherin des Landesarchivs, Sabine Preuß, gestern sagte, werde das Landesarchiv die Sachlage prüfen. Solange werde den Medien die Einsicht in die Akten verwehrt. Auch der Tagesspiegel durfte gestern keine Akten einsehen.

Bisher hatten nur einige Wissenschaftler Zutritt zu den Akten. Die 100 000 Akten wurden vor allem deshalb dem Landesarchiv geschenkt, damit Verbrechen an Patienten im Nationalsozialismus untersucht und veröffentlicht werden können.

Doch nicht die Zeit des Nationalsozialismus stand am Dienstag im Zentrum der medialen Aufmerksamkeit, sondern der Aufenthalt Klaus Kinskis in der Nervenklinik. Nach wissenschaftlichen Angaben war Kinski, der später mit Filmen wie „Fitzcarraldo“ Kinogeschichte schrieb, 1950 drei Tage lang in einer Klinik, nachdem er eine Ärztin tätlich angegriffen hatte. Die Vivantes-Psychotherapeutin Christina Härtel lehnte es ab, Kinski wegen des Vorfalls als „Irren“ abzustempeln. „Wenn er einmal auffällig geworden ist, ist er noch lange kein Psychopath“, sagte Härtel. Er sei ein „toller Schauspieler“ gewesen, sagte sie. In der Filmgeschichte gilt Kinski als ein Beispiel, wie sich Genie und Wahnsinn bei einem Künstler vermischen. In der Dokumentation „Mein liebster Feind“ (1999) zeigt Regisseur Werner Herzog auch die Wutausbrüche seines exzentrischen Hauptdarstellers.

Kinskis Biografie muss wegen der Nachricht vom Klinikaufenthalt in Reinickendorf nicht umgeschrieben werden. Seine Einweisung in die Psychiatrie hat Kinski schon in seiner Autobiografie „Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund“ (1975) erwähnt, allerdings ohne den wahren Grund zu nennen. Laut „Bild“ soll ihm ein Arzt „Gemeingefährlichkeit“ attestiert haben. Trotz seines schlechten Benehmens genoss Kinski sehr früh einen hervorragenden Ruf als Schauspieler. Das Kino der Adenauer-Ära, mit seinen rosigen Heimat- und Schlagerfilmen, hatte auch Verwendung für Außenseiter. O. W. Fischer war von Kinski besessen und ließ ihn in „Ludwig II" (1954) den verrückten Bruder Otto darstellen. Weltberühmte Regisseure wie Roberto Rossellini und Douglas Sirk, die die Bundesrepublik besuchten, engagierten ihn für markante Kurzauftritte.

Die Bonhoeffer-Episode macht deutlich, wie wichtig Imagepflege für den nach außen so radikalen, kompromisslosen Kinski war. Denn während er kein Geheimnis aus seiner Verletzbarkeit und seinen reizbaren Nerven machte, bekannte er sich nur beiläufig zu seinen Ausfällen gegen Schwächere. In seiner Autobiografie beschrieb er ganz unbefangen die Entjungferung einer Minderjährigen, mit deren Mutter er zusammenlebte, und eine andere Sexualpartnerin will er reglos im Gebüsch liegengelassen haben. In der posthum erschienenen Neuauflage unter dem Titel „Ich brauche Liebe" (1991) fehlten diese Passagen plötzlich. Entweder hatte der Verleger kalte Füße bekommen, oder Kinski selbst waren die Geschichten unangenehm. Sofern sie überhaupt stimmten.

Kinski ist der Alptraum jedes gewissenhaften Biografen: Er hat sich in seinen Erzählungen besser und schlechter gemacht, stilisierte sich zum Messias und zum Teufel, konnte abwechselnd exhibitionistisch und verklemmt sein. Sein Wahnsinn war echt und gespielt. Er lebte von diesem Image, also bediente er es zunehmend selbstironisch, mit dem Ergebnis, dass er zuletzt nur noch in billigen Horror- und Söldnerfilmen eingesetzt wurde.

Er scheint unter dem künstlerischen Abstieg nicht gelitten zu haben. Die Äußerungen seiner drei Kinder Nastassja, Pola und Nikolai deuten darauf hin, dass er im Alter ausgeglichener geworden ist.

Das Problem bei all den wilden Geschichten um Kinski ist die dürftige Beweislage. Kollegen wie Joachim Fuchberger und Brigitte Grothum, die in den Edgar-Wallace-Verfilmungen „Die seltsame Gräfin" (1961) und „Das Gasthaus an der Themse" (1962) mit ihm gespielt haben, erlebten ihn als freundlich und sogar unauffällig. Für einen kooperativen, professionellen Kinski spricht auch die rege Beschäftigung beim Film. Launische Stars können sich nicht lange halten; selbst Idole wie Judy Garland und Marilyn Monroe sind wegen wiederholter Unpünktlichkeit gefeuert worden. Kinski ist so etwas nie passiert. Der unterkühlte Brite David Lean, dem jeglicher Exzess zuwider war, arbeitete mit Kinski bei „Doktor Schiwago" (1965) zusammen und musste sich nicht mit ihm anlegen. Lean war der Stärkere, er hätte Kinski jederzeit feuern können, und das hat Kinski gespürt.

Das Bild von einem radikalen, launischen, unausstehlichen, unmotiviert herumbrüllenden und dennoch unersetzbaren Schauspieler beruht ganz auf Werner Herzogs Dokumentation „Mein liebster Feind" (1999), aber die gemeinsamen Filme der beiden sind nicht repräsentativ. Die Begegnung der beiden führte zu einer Ausnahmesituation: Herzog brauchte Kinski, so wie Kinski Herzog brauchte. Keiner von ihnen hätte „Aguirre, der Zorn Gottes" (1972), „Fitzcarraldo" (1982) oder „Cobra Verde“ (1987) ohne den anderen drehen können. Solch eine Abhängigkeit erzeugt Aggressionen, sie wirft Fragen auf wie: Wer ist der Stärkere? Wem gehört der Film? Wer ist für das Endprodukt verantwortlich? Bei den unzähligen Produktionen, die Kinski in den sechziger Jahren am Fließband gedreht hat, stellten sich solche Fragen nicht. Dort war er austauschbar, deshalb war ihm auch nicht nach einer Diskussion mit dem Regisseur zumute.

Ein Schaf im Wolfspelz also, dessen Aggressionen nur gespielt waren? Ein Feigling gar, der sich nur an Schwächeren ausließ? So einfach kann man es sich auch nicht machen. Kinski war einmalig, ein Original, eine Naturgewalt. Die Krankenakte liefert ein paar neue Informationen, ohne das bestehende Bild zu verändern. Es ist das Bild eines authentischen Exzentrikers, der unvergessliche Momente der Verstörung erzeugt hat. mit dpa

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