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Kreativer Protest. Daniel Hires kämpft für eine bessere Welt – und will dafür mit Kopfhörern durch Berlin ziehen.

© Björn Kietzmann

Klimaschützer: Von Beruf: Weltretter

Daniel Hires hat sich dem Klimaschutz verschrieben - er organisiert die Silent Climate Parade.

Im Schneidersitz hockt Daniel Hires auf dem kleinen Sofa in seinem Wohnzimmer in Prenzlauer Berg. In Socken. Er streckt den Rücken durch. Richtet sich auf. Schultern runter. Brust raus. Tief einatmen. „Die Übung hat mir geholfen, als ich mal eine Rede halten musste“, sagt er.

Es scheint, als hätte Daniel Hires nie etwas anderes getan, als Reden zu halten. Egal, ob er Veranstaltungen wie das „Make Sense Camp“ moderiert oder auf einer Klimaschutzdemo die Abschlusskundgebung hält. Ob mit Mikrofon, Megafon oder ohne Technik. Immer wirkt er souverän. So wie jetzt. Daniel trägt Jeans, ein schwarzes Hemd, die Haare leicht zerzaust. Ein Laptop mit bunten Aufklebern liegt auf seinen Knien. Er muss ein paar Mails checken.

Der gebürtige Südkoreaner, der mit drei Monaten von einer Deutschen und einem Amerikaner adoptiert wurde und im bayerischen Aschaffenburg aufgewachsen ist, hat sich dem Kampf für eine bessere Welt verschrieben. Eine Welt, in der man auch in 50 Jahren noch gut leben kann. Er berät Sozialunternehmer, dreht Youtube-Clips zum Thema Nachhaltigkeit für Musikfestivals oder macht Werbung für Carsharing-Unternehmen, vieles davon ehrenamtlich. Finanziell kann es da schon mal knapp werden. Aber bislang kamen immer noch rechtzeitig neue Aufträge rein, für die er bezahlt wird.

Im Wohnzimmer seiner Zweier-WG trifft sich der 30-Jährige heute mit sechs Aktivisten, um die nächste „Silent Climate Parade“ zu besprechen. Da ist zum Beispiel André, der als Programmierer bei der Telekom arbeitet und sich um die Website kümmert. Oder Svenja, die eigentlich Choreografin und Tänzerin ist. Sie ist für die Kommunikation mit anderen Umweltorganisationen zuständig. Oder René, der musikinteressierte Politikwissenschaftler. Er organisiert DJ-Equipment und Sound-Technik. Und Daniel macht die Öffentlichkeitsarbeit, ist so was wie der Rädelsführer.

Wann sein Engagement für die Umwelt angefangen hat, daran kann sich Daniel nicht mehr so genau erinnern. Wahrscheinlich kurz nach dem Abi. Als er in den USA an der renommierten University of Michigan in Ann Arbor anfing, Kommunikation und Marketing zu studieren. „Ich war geschockt, wie wenig das Thema Klimaschutz in den USA präsent war“, erinnert sich Daniel. Spritfressende Autos, Plastikgeschirr und Heizen bei offenem Fenster – in Amerika war das ganz normal. „Da habe ich mich gefragt: Bin ich derjenige, der was falsch macht? Oder ist es umgekehrt?“

Später las Daniel die Bücher von Muhammad Yunus, einem Wirtschaftswissenschaftler aus Bangladesch. Yunus hatte eine Bank gegründet, die Mikrokredite an Menschen in Entwicklungsländern vergab, damit diese ein kleines Business starten und sich so selbst aus der Armut befreien konnten. Es ging nicht um Gewinnmaximierung, sondern um die Lösung von sozialen und Umweltproblemen. Daniel war von dem Ansatz sofort begeistert. Und wollte auch etwas unternehmen. Als er später nach Berlin zog, gründete er selbst ein Sozialunternehmen. Die Idee: Ein Computerspiel, bei dem man durch seine taktischen Entscheidungen Projekte in der realen Welt finanziell unterstützen konnte. Doch dann kriegte er sich mit seinen Kollegen in die Wolle. Das Projekt scheiterte.

2010 nahm er das erste Mal an der Silent Climate Parade teil. Rund 400 Menschen versammelten sich damals, um zu den Technobeats von Dr. Motte durch die Straßen zu ziehen. Lautlos. Mit Funkkopfhörern auf den Ohren marschierten die Aktivisten vom Brandenburger Tor bis zum Alexanderplatz. Für Passanten ein irritierender Anblick. Der automatisch Gespräche nach sich zog. Viele erkundigten sich, was es mit der Aktion auf sich habe. Es gab angeregte Unterhaltungen.

Gegründet wurde die Parade im Jahr 2009. Damals hatte „350.org“, das weltweit größte Netzwerk junger Klimaaktivisten, zum „Klimaaktionstag“ aufgerufen: Stattfinden sollte er in über 180 Ländern. Der Präsident der Malediven demonstrierte mit 350 Tauchern unter Wasser. In London bliesen 350 Blechbläser dem Houses of Parliament den Marsch. Und in Barcelona kochten Demonstranten auf 350 Solarkochern Paella. Und in Deutschland nahmen Aktivisten den Termin zum Anlass, mit der Silent Climate Parade durch Berlin zu ziehen.

Seit zwei Jahren gehört Daniel zum Organisationsteam der Parade. Am heutigen Abend soll das neue Ankündigungsvideo für die nächste Auflage besprochen werden. Außerdem ist die Frage zu klären, wie viele Kopfhörer diesmal bestellt werden sollen. Und auch einen Termin für die Parade setzen die Aktivisten fest: den 24. August. Losgehen soll es um 12 Uhr am Wittenbergplatz, wo auch die Kopfhörer ausgeteilt werden.

Das Datum kann sich allerdings noch mal ändern. Schon in der Vergangenheit haben Baustellen und andere Veranstaltungen Daniel und seinen Freunden immer mal wieder einen Strich durch die Rechnung gemacht. Dann muss der Termin verschoben werden. Oder die Strecke geändert. So wie vor zwei Jahren. Damals sollte die Demo ursprünglich um den Alexanderplatz gehen. Weil die Aktivisten von der Versammlungsbehörde der Polizei zu spät davon erfuhren, dass dort das Oktoberfest aufgebaut wurde, musste sie plötzlich vom Alex auf den Ku’damm umsiedeln. „Ein Riesenaufwand“, erinnert sich Daniel. Im Internet war die Strecke schon veröffentlicht worden, es war schwer, alle Interessenten und Teilnehmer so kurzfristig zu informieren. Trotzdem kamen 800 Leute. Immerhin.

Manchmal scheint der Kampf für eine bessere Zukunft fast aussichtslos. Wie gegen Windmühlen. Die internationale Politik hat in Sachen Klimaschutz kaum was auf Reihe bekommen - der CO2-Ausstoß steigt weiterhin an, so rasant wie nie. Doch Daniel macht weiter. Seine Hoffnung auf Veränderung will sich er nicht nehmen lassen. „Große Umschwünge passieren oft, ohne dass sie jemand auf dem Schirm hat“, sagt Daniel, der nach drei Stunden das Treffen mit seinen Mitstreitern beendet. Er sitzt nun zufrieden auf der Sofalehne. In ein paar Tagen wird er nach Wiesbaden fahren, zu einer Konferenz für Sozialunternehmer. Muhammad Yunus hat sich auch angekündigt.

Jacques Kommer

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