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Panorama: Kneipenkrieg in Madrid: Langer Kampf um die Nacht

In der Abenddämmerung melden sie sich zu Wort. "Schluss mit dem Krach", skandieren sie.

In der Abenddämmerung melden sie sich zu Wort. "Schluss mit dem Krach", skandieren sie. Oder: "Ea, ea, ea, el ruido nos marea - der Lärm macht uns krank." Und: "Wir wollen endlich in Ruhe schlafen." Seit einem Jahr herrscht in Madrid Kneipenkrieg. Immer wieder melden sich Demonstranten zu Wort. Sie wollen in Ruhe schlafen.

Und das in Spaniens Hauptstadt, die sich etwas darauf einbildet, zu den lautesten, schrillsten Metropolen zu gehören; die gerade wegen ihres extravaganten Nonstop-Konzerts aus Hupen, Motorenjaulen, Bremsenquietschen und ungezügelter Schreierei geliebt und gehasst wird. Ein Vulkan, auf dem drei Millionen Einwohner tanzen. In den tagsüber eine Million Angestellte einrücken und mitternachts eine halbe Million Müßiggänger die Nacht zum Tag machen.

Eine halbe Million Menschen an einer Theke aus sagenhaften 6400 Tränken, Tavernen und Tanzschuppen - angeblich gibt es in keiner Stadt Europas mehr Gastronomie.

Doch der Ruf ist angeknackst. Am Tresen wird gekämpft, und die Fronten sind unübersichtlich. Im "guerra de las copas", dem Kneipenkrieg, kämpfen schlafbedürftige gegen schlaflose Bürger, Wirte gegen Polizeistunden, Polizisten gegen Sperrzeitverstöße. "Schlafen und Träumen ist ein Menschenrecht", schallt es über die Plaza de la Villa. Vor dem Wall der Blauuniformierten, die den Sitz des Oberbürgermeisters abriegeln, ein Wald aus Protestplakaten: "Por favor, silencio." Schlafsäcke und Decken werden ausgerollt. Die Menschen richten sich auf eine lange Nacht ein.

Früh um eins auf dem "Paseo de la Castellana", dieser abgasumnebelten Stadtschneise, die nachts zur "Costa Castellana" wird - das Szenelokal "Boulevard". Dort heißt die goldene Regeln der Nacht: "Nie ohne Glas, nie ohne Small-Talk und nie aus dem Rhythmus kommen." Bar-Hopping heißt die Taktik der "movida", der Nachtszene: "Bloß nicht bis zum Morgen im selben Laden rumhängen."

Szenenwechsel. Im Altstadtviertel Malasaña-Barrio, das seinen Namen jener Frau verdankt, die den Widerstand der Madrileños gegen die Soldaten Napoleons führte, beißt David einen Karton Rotwein auf, während Julißn die Cola-Flasche aufschraubt und Pablo die Plastikbecher hält: Halb Cola, halb Vino - das ergibt "calimocho", der billigste und populärste Cocktail der Jugend. Zehn "calimocho" - das reicht für einen Vollrausch. Um drei lagern Hunderte Jugendliche auf dem Platz. Irgendwo schrammt eine Gitarre, der süßliche Geruch der "porros", der Joints, wabert durch die Menge, die in einem Meer aus Bierflaschen und Weinkartons schwimmt. Sanitäter transportieren Besoffene ab. Alkoholvergiftung.

Dieses anarchisch-alternative Nachtleben läßt sich durch keine Polizeistunde aufhalten. Auch das organisierte Gelage in den Bars, Cervecerías und Diskotheken nicht. Zwar wurden den Wirten stramme Schließzeiten aufgebrummt: Zwei Uhr morgens für die Außenterrassen, drei Uhr für die Bars und halb sechs für Diskos - nur an Wochenenden dürfen es 30 Minuten mehr sein. Doch die Szene übt zivilen Ungehorsam: Niemand geht nach Hause. Die Behörden sind machtlos: "Wie sollen wir auch gegen ein Heer von 500 000 Menschen die Nachtruhe durchsetzen", fragt ein Beamter, der für die Kontrolle der Branche zuständig ist.

xx

Ralph Schulze

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