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Panorama: Kommt ein neues Album der Beatles?

500 gestohlene Bänder sind aufgetaucht: Die „Get Back Sessions“ zeigen die Fab Four von einer anderen Seite

„Get Back“, ruft Paul McCartney, „get back to where you once belonged.“ Was wie eine Aufforderung an all die verlorenen Herumtreiber klingt, die dorthin zurückkehren sollen, woher sie hingehören, hat über dreißig Jahre nach dem Ende der Beatles eine ironische Wendung genommen: Bei einer Aktion der niederländischen und britischen Polizei sind jetzt in Amsterdam 500 historische Original-Bänder der Beatles sichergestellt worden, die seit den Siebzigerjahren als verschollen galten. Es handelt sich um Aufnahmen der so genannten „Get Back Sessions“ vom Januar 1969, die nach der Auflösung der Band gestohlen wurden und seither spurlos verschwunden waren. Lediglich Bootleg-Versionen, also unautorisierte Raubkopien dieser Song-Reihe kursierten in Händlerkreisen.

Die nun aufgetauchten Originale sollen nicht nur bekannte Beatles-Werke wie „Maggie Mea“, „Two Of Us“ oder „The Long And Winding Road“ enthalten. Auch später verworfene Projekte, unfertige Songfragmente und Gespräche zwischen den Fab Four, die sich gegen Ende ihrer gemeinsamen Karriere immer seltener im Studio trafen, sollen sich auf den Bändern befinden. Darunter ein heftiger Streit zwischen Paul McCartney und George Harrison, den die Einmischung seines Kollegen oft tief gekränkt hat.

Es sind solche Funde aus der Verfallsmasse der Beatles, die die Band im Nachhinein wie ein versunkenes Imperium erscheinen lässt. Obwohl ihr Schaffen wie kaum ein anderes dokumentiert, durchleuchtet und interpreteiert wurde, spült die Geschichte immer wieder Bruchstücke ihres Gesamtwerks ans Tageslicht. Dabei kommt den „Get Back Sessions“ dieselbe sagenumwobene Aura zu, wie Bob Dylans „Basement Tapes“ von 1967 oder dem nie vollendeten „Smile“–Album der Beach Boys.

Die „Get Back Sessions“ werfen ein bezeichnendes Licht auf das Schlusskapitel der Beatles-Karriere. Als sich McCartney, Lennon, Harrison und Starr Anfang 1969 für eine Woche ins Studio begaben, gingen schon tiefe Risse durch die Band, ohne dass sich die Mitglieder die Tragweite ihrer Entfremdung eingestehen konnten.

Dass sich die vier Superstars, die längst eigene Solo-Projekte verfolgten, überhaupt in der Abbey Road einfanden, war auf McCartneys Initiative geschehen. Er wollte dem erlahmenden Unternehmen neuen Schwung geben. Da die Band seit 1966 kein Konzert mehr gegeben hatte, versuchte er sie noch einmal zu einem exklusiven öffentlichen Auftritt zu überreden. Auch die Proben dafür sollten festgehalten werden. Lennon bestand darauf, dass die Songs nicht mehr, wie zuletzt üblich, aufwendig abgemischt würden, sondern so einfach und authentisch wie möglich seien. Es war eine Rückkehr zu den Ursprüngen des Beatles-Ruhms – und sie tauften sie „Get Back“.

Ziemlich bald stellte sich heraus, dass es in England keinen Ort geben würde, an dem man ein Open-Air-Konzert mitschneiden könnte, jedenfalls nicht im Februar. So wurde die Proben-Session in einen Dokumentarfilm umgemünzt, der eine eigene Dynamik entfaltete: „Was tatsächlich passierte, war, dass der Film das Auseinanderbrechen der Gruppe zeigte“, gestand McCartney, „wir bekamen gar nicht mit, dass es mit den Beatles zu Ende ging.“ Lennon nannte die einwöchige Aufnahmen im Rückblick die „jämmerlichsten der Welt“, für Harrison waren sie der „absolute Tiefpunkt“ und Produzent George Martin meinte: „Das ist das Ende. Ich will da nicht mehr mitmachen.“

Schließlich wurde die „Get Back“-Platte von den Beatles verworfen. Dabei waren bereits Probepressungen hergestellt worden, auf denen Songs wie „The One After 909“, „Let It Be“, „For Your Blue“, „Don’t Let Me Down“ in einer rohen, ungeschönten Direktheit zu hören waren, die man den Engländern gar nicht mehr zugetraut hätte. Lennon triumphierte: „Wir wollten es in diesem wirklich beschissenen Zustand veröffentlichen, weil sich damit der Mythos der Beatles zerstören ließ.“

Doch es kam nicht dazu. Erst, als die Beatles sich bereits aufgelöst hatten, baten Lennon und Harrison den legendären Produzenten Phil Spector, das Material zu überarbeiten. So entstand aus „Get Back“ das Beatles-Requiem „Let it be“. Auf ihm ist wenig von den herben Spannungen zu hören, die die Session geprägt haben. Deren Bänder offenbarten, schrieb Beatles-Biograf Mark Hertsgaard, „dass dieselbe Band, die die Welt mit ,All You Need Is Love’ und ,Hey Jude’ gefesselt hatte, auch absolut fürchterlich klingen konnte, wenn den Musikern gleichgültig war, wie sie spielten.“ Das Quartett brachte es dann doch nicht über’s Herz, seinen Ruhm selbst einzustampfen.

Und so wirkt es wie ein Treppenwitz der Geschichte, dass just die Polizei den Beatles- Fans jene Aufnahmen zuspielt, die deren Schöpfer am liebsten vergessen hätten. Die Rechte an den Bändern beansprucht die EMI für sich, bei denen die Beatles unter Vertrag waren. Der Konzern verkündete denn auch sofort, dass an eine Veröffentlichung des Materials gedacht sei – sofern die verbliebenen Ex-Beatles, McCartney und Starr, sowie die Lennon- und Harrison-Erben einem Deal zustimmen. Wenn die CD das Bild von den Beatles auch nicht um unbekannte Dimensionen erweitert. So dürfte sie doch deren musikalische Sonderklasse sogar im Zustand größter Erschöpfung zeigen.

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