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Panorama: Kubanische Symphonie: Eine Anthologie junger Autoren von Castros Insel

Kein Scherz: Auf Kuba ist ein Buch ebenso unerschwinglich wie Klopapier. Papier, egal in welcher Form, ist Mangelware im Tropensozialismus.

Kein Scherz: Auf Kuba ist ein Buch ebenso unerschwinglich wie Klopapier. Papier, egal in welcher Form, ist Mangelware im Tropensozialismus.

Seit 1991, dem Beginn der autarkischen "Sonderperiode", gibt es dort weder nennenswerte Zeitungen noch eine Verlagspolitik, die dem relativ hohen Bildungsniveau der zu neunundneunzig Prozent alphabetisierten Kubaner entspricht. Zum Alltag gehören eher zerfledderte Dostojewski-Romane, die auf Toiletten als Hygieneartikel bereitliegen. Sie erinnern an eine Zeit, als die Buchproduktion jährlich 4000 Titel umfasste und Kuba als eines der publikationsfreudigsten Länder Lateinamerikas galt.

Obwohl die Zahl der Neuerscheinungen in den letzten Jahren wieder etwas gestiegen ist, bleiben Bücher für die Kubaner Luxuswartikel: die Auflagen sind niedrig, der Seitenumfang ist bescheiden, zudem werden die meisten Druckwerke nur gegen harte Devisen verkauft.

Anekdoten statt Romane

Auch für die Autoren ist diese Lage misslich. Die Zeit der langen, großen Romane, die auf der Insel geschrieben wurden, scheint vorbei. Dass zum Beispiel Pedro Juan Gutiérrez, der in Deutschland noch unbekannte kubanische Henry Miller, über Jahre hinweg nur kurze, anekdotische Texte verfasst hat, war nicht nur der Laune des Schriftstellers geschuldet: Sein Romandebüt konnte erst bei einem spanischen Verlag erscheinen. Auf Kuba dagegen hat die Papierknappheit eine ihr angemessene literarische Ausdrucksform zum Aufschwung gebracht: die Kurzgeschichte.

Nun hat Michi Strausfeld, die als Lektorin bei Suhrkamp für lateinamerikanische Literatur zuständig ist, erstmals eine ins Deutsche übersetzte Anthologie des Genres herausgegeben, die zugleich einen Überblick über die zeitgenössische kubanische Literatur bietet - ein großes Verdienst. Alle darin versammelten Autoren wurden nach der Revolution geboren; die meisten von ihnen hatten eine akademische Ausbildung genossen und dann eine glänzende Karriere im Kulturapparat begonnen. Doch nur die wenigsten konnten sich darin behaupten. Nicht nur die Wirtschaftskrise, sondern auch politischer Dissens mit den Behörden haben das schriftstellerische Fortkommen gebremst.

Stimmen der Diaspora

Daraus ergaben sich für einige der jungen Talente Berufsverbot oder sogar Exil. Dass Strausfeld in ihrem Band auch die kubanische Diaspora zu Wort kommen lässt, ist nur folgerichtig: etwa 15 Prozent der Intellektuellen leben in den USA oder Europa. Andererseits sind die kritischen Stimmen in der daheimgebliebenen Literatur keineswegs verstummt. Denn auf der Insel muss sich jeder mit der schmerzhaften Wirklichkeit infolge des Zusammenbruchs der sozialistischen Staatengemeinschaft auseinandersetzen. Zudem hat die jüngere Generation nicht nur zu konfliktiven Themen wie Homosexualität oder Prostitution gefunden, sie verfolgt auch eine radikal neue Ästhetik. Ein prominentes Beispiel hierfür ist Zoé Valdés, die auf eine schnoddrige Sprechsprache setzt.

Mit diesem Argot, aber auch mit der gleißenden Sprachlyrik anderer Autoren, haben die deutschen, noch nicht allzu erfahrenen Übersetzer ihre Mühe und Not. Dafür erhält der Leser einen tiefen Einblick in die Verarbeitung kubanischer Realitäten jenseits des touristischen Idylls. "In gewisser Hinsicht", schreibt José Miguel Sánchez an eine imaginäre, politisch korrekte Touristin, "bin ich ein Priester, der die Beichte deiner Sünde abgenommen hat, aus der industrialisierten Welt zu kommen, keinen Hunger zu leiden, kultiviert zu sein, reisen zu können, keine Latina zu sein, deine Träume und deinen Idealismus für die materielle Sorglosigkeit zu opfern." Dieser Sarkasmus verweist umgekehrt auf den meist vergeblichen Wunsch der Kubaner, selber andere Länder kennen zu lernen.

"Der Tag, an dem ich nicht nach New York reiste", lautet der beinahe programmatische Titel einer Kurzgeschichte von Mylene Fernández Pintado. Die Autorin stellt sich Havanna als eine Art Manhattan vor: ein liebenswürdiger Vergleich, der in seiner Naivität maßlos anmutet, weil aus ihm nicht Erfahrung, sondern der sogenannte "Inselkoller" spricht. Das Bedürfnis, die engen, nicht nur geografischen Grenzen zu sprengen, ist riesengroß. So schreibt Eduardo del Llano: "Anstatt so dahinzuleben, von dem, was gerade anfällt, muss man an große Dinge denken, meine Herren, oder die Welt wird einem zu klein."

Revolte der Öko-Typen

Dass damit nicht die hehre Revolution gemeint ist, verrät schon der Titel - "Greenpeace", wie der Name der international aktiven Umweltschutzorganisation. Dennoch beschreibt der Autor seine kubanischen Öko-Pioniere in Anlehnung an die Revolutionsmythen: "drei bärtige Typen mit langem Haar in olivgrünen, neu angepassten Uniformen". Dass die phantastischen Umweltschützer in einem Staat, wo ökologische Politik praktisch nicht existiert, ein Kommando bilden müssen und durch Sabotageakte ökologisches Bewusstsein herbeibomben wollen, gerät hier zu einer beißenden Ironie der Geschichte. Parabel, Farce, sprachliche Hyperbeln - all das kennzeichnet die neuere kubanische Literatur. Sie auf der Insel entdeckt zu haben, ist das Verdienst ausländischer Literaturagenten.

Doch nur wenn man die Texte kubanischer Autoren auch in deren Heimat veröffentlicht, erreichen sie die erwünschte Leserschaft. So gesehen verhält es sich mit der Literatur wie mit den kubanischen Zigarren. Die schmecken am besten, wenn sie nicht aus dem Humidor europäischer Händler kommen, sondern vor Ort in der feuchten Tropenwärme genossen werden.

Roman Rhode

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