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Lagerfeld-Buch: Von Peinlichkeit und Perfektion

Ein Mitarbeiter von Karl Lagerfeld hat nach seiner Kündigung ein Buch geschrieben. Es liefert indiskrete Einblicke in die Arbeit des deutschen Modemachers, strotzt aber auch vor Bewunderung.

Im Februar 1998 war das Maß sozusagen voll. "Herr Lagerfeld ist noch dicker geworden", staunte sein Mitarbeiter Arnaud Maillard, als er den deutschen Modemacher nach etlichen Wochen wiedersah. "Ich bin beeindruckt." Maillard erinnert sich genau, wieviel der Modemacher verdrücken konnte und wie gierig er bisweilen in sich hineingeschlungen habe - bis er schließlich eine radikale Diät machte und binnen weniger Monate jungenhaft schlank wurde. Maillard erinnert sich aber auch, wie unterhaltsam, großzügig und produktiv Lagerfeld stets gewesen sei. Nach über 15 Jahren im Schatten des Meisters verabschiedet sich der französische Modemacher von ihm jetzt mit einem ziemlich indiskreten Buch: "Merci Karl".

Wer Großes leiste, habe halt auch großen Hunger, so lässt sich vereinfacht zusammenfassen, wie Maillard den Appetit seines Lehrherren in all den Jahren deutete. Und Großes habe Lagerfeld geleistet. "Wir stehen am Beginn des 21. Jahrhunderts, und mir ist wieder einmal bewusst, dass Karl ein echter Wegbereiter ist", schreibt der Jüngere bewundernd über ihn. "Trends? Er folgt ihnen nicht, er gebietet sie." Genauso bestimmt, wie er sich Achtung verschaffe und seine Bedingungen durchsetze, fügt Maillard an.

"Sein Narzissmus wird peinlich"

Mit Lagerfeld zu arbeiten sei "einzigartig", stellt der Franzose fest. Der Modemacher sei viel zu höflich und anspruchsvoll, um je die Beherrschung zu verlieren. Niemals würde er sich "zu Zorn, zu Beleidigungen oder zu Hysterie hinreißen lassen", vielmehr "nach Genauigkeit, wenn nicht Vollkommenheit" streben. Allerdings könne er sich nicht daran erinnern, dass Lagerfeld in all der Zeit einmal ausgelassen gelacht habe, schreibt Maillard. Und seit der Couturier so rigoros abgenommen habe, kenne seine Eitelkeit fast keine Grenzen mehr. "Sein Narzissmus wird peinlich", stellt der Jüngere im Sommer 2001 fest. "Er redet mit uns, ohne uns anzuschauen, er antwortet, und mustert sich dabei über unsere Schulter hinweg in einem Spiegel."

Zu Lagerfelds hohen Ansprüchen an sich selbst und andere gehört wohl auch, dass er kaum jemals müde wird und auch dann noch weitermacht, wenn andere ihm nur noch unter großen Mühen folgen können, wie Maillard in seinem Buch beschreibt. "Ist das nicht komisch?", hätten eine Kollegin und er sich bei Fotoaufnahmen mit dem deutschen Topmodel Claudia Schiffer in Monaco einmal gefragt. Lagerfeld habe an jenem Tag schon seit über zehn Stunden ohne Pause gearbeitet und dabei unermüdlich Geschichten erzählt, auf Deutsch und Französisch aus Goethes "Faust" zitiert, ohne im Geringsten müde zu wirken. Er habe bis morgens um fünf Uhr weiterfotografiert, während die restliche Mannschaft kaum noch stehen konnte. Nur einmal habe er den Modemacher einschlafen sehen, erinnert sich Maillard - bei einem besonders langweiligen Interview.

Maillard arbeitete sich über die Jahre vom Praktikanten in der Pressestelle zu einem der engsten Mitarbeiter des Couturiers hoch und sammelte dabei auch Anekdoten wie jene, in der es um die Anfänge des großen Modemachers geht - und die eine Ahnung über das Verhältnis zu seiner Mutter vermitteln: Als Kind habe er zunächst Klavier gelernt, erzählte Lagerfeld demnach bei einem Gastvortrag in der Pariser Universität Sorbonne auf die Frage, wie er denn eigentlich zum Modedesign gekommen sei. Eines Tages habe ihm seine Mutter dann aber den Klavierdeckel über den Fingern zugeschlagen und gesagt, er solle lieber zeichen - "das macht weniger Lärm".

Ruppige Trennung

Er habe immer gewusst, dass er eines Tages für Lagerfeld arbeiten werde, erinnert sich Maillard - "und dass dieser Tag zu Ende gehen würde". Die Trennung verlief seinem Bericht zufolge eher ruppig. Lagerfeld habe sich durch die Kündigung verraten gefühlt und einen Ton angeschlagen, den er bis dahin nicht an ihm gekannt habe: "Was glaubst du eigentlich? Keiner wird dich mehr nehmen", habe er seinem langjährigen Mitarbeiter am Telefon gedroht. "Es ist vorbei. Ruf' mich nicht mehr an. Du wirst sehen, was passiert."

Maillard rechnet in dem Buch auf seine Art mit Lagerfeld ab. "Sie sind Karl", voll und ganz, "vollkommen, liebevoll, tragisch", schreibt er in seinem Vorwort. "Vollkommen kreativ, liebevoll großzügig, offen für die Welt, aufmerksam gegenüber anderen... Und unweigerlich allein." Er schlage jetzt eine neue Seite auf, erklärt der frühere Mitarbeiter. "Für alles, was Sie mir gegeben, übertragen oder abgeändert haben, habe ich nur ein einziges Wort: Danke!"

Kerstin Löffler[AFP]

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