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Panorama: Land will Schulanfänger nicht mehr untersuchen

Rot-rote Koalition erwägt, Gesundheitsprüfungen durch niedergelassene Mediziner vornehmen zu lassen – die wehren sich dagegen

Die rot-rote Koalition erwägt, die Schuleingangsuntersuchungen den Gesundheitsämtern wegzunehmen und an niedergelassene Kinderärzte zu übertragen. Einen entsprechenden „Prüfauftrag“ haben SPD und Linkspartei der Senatsverwaltung für Gesundheit zugeleitet. Die Mediziner lehnen dieses Ansinnen ab. „Dagegen würden wir uns entschieden wehren“, kündigt Ulrich Fegeler an, Sprecher des Verbands der Kinderärzte. Der Plan habe „nichts mit Qualität, sondern nur mit Geld zu tun“. Ähnlich lautet die Einschätzung der bezirklichen Kinder- und Jugendgesundheitsdienste (KJGD).

Das gerade erst mühsam erarbeitete Netzwerk Kinderschutz verkomme zu einem „Potemkinschen Dorf“, wenn die einzige flächendeckende staatliche Querschnittsuntersuchung wegfalle, warnt der Ärztliche Leiter des KJGD in Mitte, Matthias Brockstedt, in einem Brief an die Senatsverwaltung für Jugend, der dem Tagesspiegel vorliegt. Brockstedt droht damit, seine Mitarbeit in der Projektgruppe für die praktische Umsetzung des Netzwerks Kinderschutz aufzugeben, falls es dazu kommt, dass die Schuleingangsuntersuchungen verlagert werden.

Brockstedt verweist darauf, dass Bundesländer wie Hamburg, Bayern und Baden-Württemberg sogar entschieden hätten, die Untersuchungen wieder der staatlichen Zuständigkeit zu unterstellen, weil es zu Lücken in der Versorgung gekommen sei.

Die Senatsverwaltung für Finanzen verweist darauf, dass sie generell dafür sei, das Subsidiaritätsprinzip anzuwenden und alle Aufgaben – soweit möglich – auszulagern, um die Zahl der öffentlich Bediensteten zu reduzieren. Es stehe auch nicht im neuen Gesundheitsdienstereformgesetz geschrieben, dass die Schuleingangsuntersuchungen durch den öffentlichen Dienst vorgenommen werden müssten, betont Sprecher Matthias Kolbeck. Die Senatsverwaltungen für Gesundheit und Jugend wollten keine Stellung nehmen, solange die interne Prüfung nicht abgeschlossen ist.

Bei den Schuleingangsuntersuchungen werden jährlich alle rund 26 000 Erstklässler erfasst. Es geht darum, mögliche sprachliche und körperliche Defizite festzustellen, um schon im Vorfeld der Einschulung – etwa durch Therapien – die Schulfähigkeit der Kinder verbessern zu können. Die Erfahrung zeigt, dass bisher manche Fehlentwicklungen nicht früh genug entdeckt werden, weil die Eltern ihre Kinder nicht zu den freiwilligen Vorsorgeuntersuchungen schicken oder weil die Kinderärzte andere Kriterien anlegen. Mitunter sind sie auch damit überfordert, festgestellten Defiziten entsprechend nachzugehen. Denn das würde bedeuten, dass sie nach Praxisschluss noch den Jugendämtern hinterhertelefonieren müssen, wenn die Kinder beispielsweise verwahrlost wirken oder Spuren von Misshandlung aufweisen. „Die nachgehende Arbeit ist das Entscheidende“, sagt deshalb auch Dietrich Delekat, Brockstedts Kollege in Friedrichshain-Kreuzberg. Dazu könne gehören, dass Familienhelfer organisiert werden oder auch ein Kitaplatz. Mitunter fehlten sogar die dafür nötigen Papiere. Mit all dem seien niedergelassene Kinderärzte überfordert.

Dies sieht auch Ulrich Fegeler vom Verband der Kinderärzte so. Schon jetzt müssten Kinderärzte oftmals die Aufgaben von Sozialarbeitern übernehmen. Ihnen auch noch die 26 000 Schuluntersuchungen zu übertragen, sprenge den Rahmen. Er und seine Kollegen arbeiteten ohnehin einen Großteil der Zeit kostenlos, weil die Budgets nicht mehr hergäben, gibt Fegeler zu bedenken.

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