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Panorama: „Lasst euch nicht verführen“

Während in den USA ein schmutziger Wahlkampf tobt, liest Laura Bush Kindern aus Büchern vor

Sie hat ein Händchen für Kinder. Seit einer Stunde müssen die 50 Kleinen nun schon im Untergeschoss der Bücherei von Palm Springs stillhalten – so viel Vorlauf verlangt die Sicherheit der First Lady. Manche zappeln oder krabbeln unruhig über den blauen Teppichboden. Aber als Laura Bush im grauen Hosenanzug in den Raum schwebt, erringt die gelernte Grundschullehrerin und studierte Bibliothekarin schnell deren Aufmerksamkeit. Dienstag ist Halloween, seit Wochen bewegen diese Fragen Amerikas Kinderherzen: Als was wollen sie sich dieses Jahr verkleiden? Und was für Süßigkeiten werden die Nachbarn herausrücken auf die Drohung „trick or treat!“ – verhext zu werden oder sich durch eine Gabe freizukaufen?

Halloweengemäß hat Laura Bush das Kinderbuch „The spyder and the fly“ mitgebracht, halb gruselig, halb pädagogisch. Immer wenn sie ein paar Zeilen vorgelesen hat, dreht sie das Buch zu den Kindern, damit die die Bebilderung betrachten können, und verwickelt sie in einen Dialog. Wird die Fliege auf die hinterhältige Einladung der Spinne in deren Heim eingehen? Die Illustration zeigt Insekten, die sich im Spinnennetz verfangen haben, in der Spinnenküche ist die Kochbuchseite aufgeschlagen „Über die Freude, Käfer zu kochen“. „No, no, no!“, ertönen 50 helle Stimmen.

Öffentliche Bibliotheken und das Lesen fördern, Internetzugang für alle, auch auf dem Land, „no child left behind“, kein Kind zurücklassen: Das ist das politische Projekt der First Lady, die am 4. November 60 Jahre alt wird. „Lesen macht schlau“, ist ihre Botschaft an die Kinder der Fernsehgesellschaft. Daneben gilt Laura als guter und mäßigender Einfluss auf ihren Mann. Sie hat ihn vom Alkohol weggebracht, angeblich mit der ultimativen Drohung „It’s Johnnie Walker or me!“. Manche sagen, dass sie dahintersteckt, wenn der Ölmann George W. Bush neuerdings alternative Energie, Umwelt- und Klimaschutz propagiert.

Die Dame mit den mandelförmigen Augen ist ein politischer Trumpf. Sie ist eine der besten „Fundraiserinnen“, viele Millionen Spenden hat sie in diesem Jahr der Kongresswahl für die Republikaner eingetrieben. Gleich nach dem Büchereitermin steht ein Empfang für den republikanischen Abgeordneten Clay Shaw auf ihrem Programm; wer dort Zugang haben will, muss einige tausend Dollar spenden. Die Lokalzeitung macht ein Wortspiel daraus: Ein „Fun-Raiser“ (fun = Spaß) sei Laura in der Bibliothek. Shaw und seine Frau Emilie – sie trägt ein rotes Kleid, die Farbe der Republikaner – sitzen rechts und links von ihr. Er darf hier zwar kein Wort sagen, aber die Bilder in TV und Zeitungen sind Gold wert.

„Lasst euch nicht von charmanten Worten fremder Leute einwickeln“, zieht die First Lady die Lehre aus dem Kinderbuch. Dann werden ihr zwei Babys auf den Schoß gesetzt für ein Gruppenfoto. Auf dem Weg zum Ausgang bleibt sie kurz vor der kleinen Journalistengruppe stehen – wie der Zufall es will, direkt vor dem Tagesspiegel-Reporter. Sie schaut ihm tief in die Augen: „Bitte sagen Sie das Ihren Lesern. An Halloween geht es nicht nur um Süßigkeiten. Alle Eltern sollten ihren Kindern etwas vorlesen!“

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