zum Hauptinhalt

Panorama: „Lesbisch – allein das Gerücht kann tödlich sein“ Strickende Grüne und 24-Stunden-Mamas sind Alice Schwarzer ein Graus.

Und was stört sie an sich selbst? Dass sie früher nicht mehr auf ihr Äußeres geachtet hat.

Alice Schwarzer, 62, engagierte sich in der Pariser Frauenbewegung. In Deutschland wurde sie in den 70er Jahren bekannt durch ihre Aktionen für das Recht auf Abtreibung. Seit 1977 ist sie Chefredakteurin und Herausgeberin von „Emma“. Sie schrieb unter anderem Bücher über Romy Schneider und Simone de Beauvoir.

Interview: Stefanie Flamm und Moritz Schuller Frau Schwarzer, es heißt, Sie seien ein glühender MarilynMonroe-Fan.

In diesem Punkt bin ich ja nun wirklich voll rehabilitiert. Seit den 70er Jahren gibt es eine ganze Serie von feministischen Publikationen in den USA, die sich sehr ernsthaft mit Marilyn beschäftigen.

Clark Gable hat einmal gesagt, das Tolle an der Monroe sei gewesen, dass sie einem Mann das Gefühl gab, ein Mann zu sein.

Mag sein. Das kann ich nicht beurteilen, ich bin kein Mann. Vor allem hatte Marilyn Humor, Intelligenz und Begabung, plus eine Leidenschaft für ihren Beruf sowie einen anrührenden Bildungshunger. Noch als Star ist sie auf die New Yorker Strasberg-Schauspielschule gegangen.

Sie würden also bestreiten, dass die Monroe das Sexsymbol schlechthin ist?

Keineswegs. Aber was steht dahinter? Teil ihres Sexappeals war immer auch ihre Verletzlichkeit. Marilyn ist kein Weltstar geworden, nur weil sie Kurven hatte. Sie hatte einfach diese ungeheure Ausstrahlung, die sich auch in Hollywood nicht künstlich herstellen lässt. 20 Jahre später hätte Marilyn Monroe eine geniale Komikerin werden können – was sie bei Billy Wilder ja auch war – oder eine große Tragödin. Wäre sie später geboren, hätte sie vielleicht nicht so früh sterben müssen.

Das sagen Sie heute. Wissen Sie noch, was Sie damals an ihr so fasziniert hat?

Ich bin selbst überrascht, meine Schulfreundin Barbara Maia schreibt in unserem Briefwechsel...

…der gerade bei Kiepenheuer&Witsch als Buch erschienen ist...

...ich hätte in den 50er Jahren glühende Reden auf Marilyn gehalten: Wie intelligent sie sei und dass man sie ernst nehmen müsse. Ich habe das anscheinend früh gespürt. Aber sicherlich nicht nur ich.

Mit 40 galten Sie dann als eine der gefürchtetsten Frauen der Bundesrepublik. Turboemanze, Männerhasserin hat man Sie genannt.

Wer hat mich so genannt? Vor allem die Medien und die Stammtische. Die Menschen haben das immer schon differenzierter gesehen. An mir sollte einfach ein Exempel statuiert werden. Auf mich sind alle üblichen antifeministischen Klischees niedergekracht: verbissen, humorlos, männerfeindlich, ideologisch. Klischees scheinen stärker zu sein als die Realität. Ich gebe Ihnen ein Beispiel aus dem Löwenbräu in München. 1975 war das, mein Buch „Der kleine Unterschied“ war gerade erschienen, und die Erregung war groß. Im Saal saßen ungefähr 800 Menschen. Ich habe geredet, wir haben diskutiert, ich war ernst, aber auch lustig, und es wurde sehr viel gelacht. Was stand am nächsten Tag in der „Abendzeitung“? „Verbissene Schwarzer predigt Männerhass.“ Doch Klischees sind ja kein Missverständnis, sondern Absicht: die der Disqualifikation des politischen Gegners.

Im „Kleinen Unterschied“ schrieben Sie, dass fast jede Frau ihren Orgasmus nur vortäuscht.

Das ist gut, dass Sie das sagen. Gerade ist eine Untersuchung der Charité herausgekommen, die besagt, dass 90 Prozent aller Frauen auch heute noch den Orgasmus vortäuschen.

Das heißt, im Bett hat die Emanzipation noch nicht so viel gebracht.

Doch. Ich glaube, es hat sich in den letzten 30 Jahren sehr viel geändert im Bett, aber nicht alles. Ein neues Problem scheint zu sein, dass die Männer sich schwer tun mit dem gestiegenen Selbstbewusstsein der Frauen. Sie sind verunsichert und entziehen sich – oder werden durch vorgetäuschte Orgasmen beruhigt.

Sie scheinen seit Neuestem vor allem auf Charme zu setzen. 18-Jährige, die sie aus dem Fernsehen kennen, können gar nicht nachvollziehen, was diese nette Frau Schwarzer früher so unheimlich gemacht hat. Sie spielen eine ganz andere Rolle.

Ich spiele nie eine Rolle. Ich bin immer ich. Ich zeige heute allerdings meine humorvolle Seite öffentlich stärker. Man wird halt älter und gelassener. Wenn ich mich früher aufgeregt habe, habe ich mich über alles immer 150-prozentig aufgeregt. Heute überlege ich, worauf es ankommt. Mit dem Alter lernt man, Akzente zu setzen.

Auch das Fernsehen nehmen Sie heute sehr ernst. Sie sind ständig auf irgendeinem Kanal präsent.

Ich habe das Fernsehen immer schon ernst genommen. Aber meine Zeit verbringe ich zu 90 Prozent mit dem Machen der Zeitschrift „Emma“. Ins Fernsehen gehe ich nicht öfter als vier, fünf Mal im Jahr. Die Sendungen werden bloß ständig wiederholt. Warum? Weil ich mich nicht so angepasst, sondern oft überraschend verhalte und Sätze nicht vom Teleprompter ablese, sondern echt spreche.

Aber das klappt nicht immer. Dennoch ist Ihr Auftritt zusammen mit Verona Feldbusch bei Kerner legendär.

Zu Recht. Denn an dieser Sendung ist für sehr viele Menschen vieles klar geworden – ganz wie 26 Jahre vorher bei meinem Streitgespräch mit Esther Vilar. Beide Sendungen fand ich persönlich eher anstrengend. Vor allem die mit Feldbusch. Ich hatte noch nie erlebt, dass ein Mensch, der mir eine Stunde gegenübersitzt, mir nicht einmal in die Augen schaut und nicht eines meiner Worte aufnimmt. Eingewilligt habe ich in die Sendung nur, weil ich es unannehmbar fand, dass Werbung und Medien uns das Produkt Feldbusch als Verkörperung der modernen Frau verkaufen wollten.

Sie sind doch mit Ihren Argumenten einfach an der offensiven Naivität der Feldbusch abgeprallt.

Naivität? Ich bitte Sie! Jetzt sind Sie aber naiv. Frau Feldbusch war wochenlang gecoacht worden. Sie agierte wie eine Marionette. Genau das aber haben die Zuschauerinnen und Zuschauer begriffen. Es ging in dieser Sendung ja nicht um die besseren Argumente, sondern um zwei Lebenskonzepte: Mensch oder Ware.

Schmeichelt es Ihnen denn nicht, wenn die Leute Sie auf der Straße erkennen?

Es kommt darauf an. Wenn es dabei um Inhalte geht, freut mich das. Wenn mich jemand am Ärmel zupft und sagt: „,Der kleine Unterschied’ hat mein ganzes Leben umgekrempelt.“ Oder: „Ich lese die ,Emma’, und das ist ganz wichtig für mich.“ Wenn es nur das TV-Gesicht ist, ist es lästig. Aber ich habe mein Leben deswegen nicht verändert. Wenn ich zum Beispiel in Köln den Bus nehme, kann es mir zwar passieren, wie jüngst, dass ein Penner quer durch den Bus ruft: „Alice, hast du kein Geld fürs Taxi?“ – Aber wenn ich dann antworte: „Klar, aber ich habe doch auch das Recht, mit dem Bus zu fahren, oder?“, dann ist Ruhe, und ich bin ganz schnell ein Fahrgast wie alle anderen.

Bereiten Sie sich auf Ihre öffentlichen Auftritte vor?

Selbstverständlich. Ich lese immer zusätzlich über die Inhalte und Menschen, um die es geht. Und natürlich überlege ich mir auch, was ich anziehe. Das war früher anders. Ich habe jüngst eine Dokumentation über mich gesehen mit Aufnahmen aus den 70er Jahren. Da habe ich schon gedacht: Alice, die Haare hättest du dir ja noch mal waschen können. Aber wahrscheinlich hatte ich einfach keine Zeit dazu und habe auch keine dafür verschwenden wollen. Heute ist das Äußerliche ja viel wichtiger.

Nach 30 Jahren Feminismus sei das Ideal der deutschen Frau ein süßes Mädchen, hat Jana Hensel kürzlich geschrieben.

Da hat sie Recht! Zumindest das Ideal, das man uns einzureden versucht. Zum Beispiel in der Mode. Da hängen ja nur noch Mädchenklamotten auf der Stange: Größe 34 bis 38. Frauen scheint es nicht zu geben in den Köpfen der Modemacher. Wir Frauen sollen keinen Raum einnehmen, nicht älter, erfahrener, stärker werden – sondern dünne, glatte, unbedarfte Mädchen bleiben. Das ist natürlich ein Teil des Backlashs. Doch die Realität sieht zum Glück anders aus: Nie war das Rollenspektrum für Frauen so breit wie heute.

Und wie steht es speziell um die deutschen Frauen?

Die tragen noch schwer am Erbe des Biedermeiers und der Nationalsozialisten. Nirgendwo in der westlichen Welt ist die Frauenbewegung so spät und so zäh in die Gänge gekommen wie in der Bundesrepublik. Nirgendwo wurde so viel gestrickt wie in deutschen Frauenzentren. Und nirgendwo schlägt der Mütterwahn – die 24-Stunden-Mutter ist die beste – so hysterische Wellen wie hier. Das heißt: in Westdeutschland. In der Ex-DDR sieht das zum Glück anders aus. Dennoch hat in ganz Deutschland in Sachen Geschlechterrollen eine wahre Kulturrevolution stattgefunden.

Zum Beispiel?

Es ist heute normal, dass eine Frau ihren Beruf nicht aufgeben will, wenn sie Kinder kriegt; und dass sie von dem Mann, der sie liebt, erwartet, dass er sich den Haushalt mit ihr teilt. Früher wurden wir für solche Forderungen ausgelacht.

Doch wenn die Kinder dann erst einmal da sind, hört sich das oft schon ganz anders an.

Das ist das größte Problem. Vor allem in einem Land, in dem es kaum Kindergärten und Ganztagsschulen gibt, auch die haben übrigens die Nazis abgeschafft. Und in dem die Väter sich drücken und 98 Prozent der Elternzeit von den Müttern genommen wird – die dann nach drei Jahren nicht mehr in den Beruf zurückfinden. Ich denke schon mit Horror daran, was aus diesen überbeschützten Kindern wird. Da wächst eine völlig verblödete Generation heran. Letztes Jahr hatten wir zu diesen „Supermüttern“ eine Satire in „Emma“, über diese Frauen, die 24 Stunden am Tag hauptberuflich Mutter sind. Es hat Pro- und Contra-Leserinnenbriefe gehagelt wie noch nie.

Feminismus galt lange als linkes Projekt. Wo steht er heute, parteipolitisch gesehen?

Die Etiketten „links“ und „rechts“ wollen heutzutage ja nicht mehr so viel besagen – und vielleicht war das ja schon früher so. Sie finden den Feminismus aber auf jeden Fall immer auf der Seite derjenigen, denen es um die Bestärkung von Menschenrechten, Gerechtigkeit und Freiheit geht. Aber Sie müssen sich ja nur die tonangebenden Männer in der Politik angucken, um zu sehen, wo der Feminismus nicht steht. Ehrlich gesagt wundert es mich kein bisschen, dass ausgerechnet ein grüner Minister zur Förderung des Menschenhandels beigetragen hat. Es waren ja immer schon vor allem die Grünen, die die Auffassung vertreten, dass Prostitution kein Verstoß gegen die Menschenwürde, noch nicht einmal ein Kavaliersdelikt ist, sondern cool und „ein Beruf wie jeder andere“. Von da bis zur Verharmlosung von Zwangsprostitution und Menschenhandel ist es nicht so weit. Auch fällt in dieser Debatte auf, dass für viele Grüne das Wunschdenken die Realität überschattet.

Die Grünen waren die erste Partei, die feministische Positionen in ihr Programm aufgenommen hat.

Das stimmt. Aber gleichzeitig haben wir mit der „Emma“ nicht zufällig die Entwicklung dieser Partei von Anfang an begleitet, kritisch. Bei den Grünen gab es schon immer Gutes, aber auch Fragwürdiges: diese Blut-und-Boden-Fraktion und ihre Strickmütter, die mit dem, wofür „Emma“ steht – nämlich totale Chancengleichheit, gleiche Rechte, gleiche Pflichten – noch nie etwas anfangen konnten. Und dann der Kulturrelativismus und diese Anything-goes-Moral.

Die Grünen hatten aber immer eine Frauenquote.

Richtig. Und die ist in der Politik leider auch eine scheinbar unumgängliche Krücke. Aber wo Frau draufsteht, ist nicht automatisch auch Frau drin. Das Schweigen der grünen Frauen – oder gar Rechtfertigen! – zu den fatalen Praktiken und Folgen der Visapolitik ist schon bedrückend.

In der „Emma“ gab es kürzlich mehrere Beiträge zu dem Gerücht, die baden-württembergische Kultusministerin Annette Schavan (CDU) sei lesbisch.

Wir haben das Entstehen dieses Gerüchtes analysiert und gefragt: Qui en profite? Und es hat sich herausgestellt, dass dahinter auch christliche und islamische Fundamentalisten steckten.

Fundamentalisten?

Ja. Der Verbreiter des diskriminierenden Flugblattes war der vatikantreue Wiesnwirt Weitmann. Der Text aber war in unbeholfenem Deutsch und eindeutig von Ausländern geschrieben. Unter anderem wurde darin Schavans kritische Haltung zum islamischen Fundamentalismus beklagt. Das klingt nicht nach schwäbischen Stammtischen.

Man spricht über weibliche Homosexualität noch immer anders als über männliche. Klaus Wowereit und Ole von Beust hat ihr Coming-out ja überhaupt nicht geschadet.

Ganz sicher. Männliche Homosexualität ist ja in einer Welt der Männerbünde keineswegs so störend – ja vielleicht sogar willkommen – wie weibliche Homosexualität. Denn die wird meist nicht als Bejahung von Frauen, sondern als Ablehnung von Männern begriffen. Wir reden bei Schavan übrigens nicht über Homosexualität, das hat sie ja selbst eindeutig dementiert, sondern über eine weibliche Intellektuelle, die den aufrechten Gang geht und nicht bei jedem klugen Satz entschuldigend lächelt. Und schon das scheint zu genügen, eine Frau unter Verdacht zu sein...

Glauben Sie nicht, dass das Coming-out einer prominenten Lesbe in der Politik für viele homosexuelle Frauen sehr hilfreich wäre?

Ganz sicher! Und um das möglicher zu machen, muss man dem Männlichkeitswahn in der Politik stärker Paroli bieten – und unabhängige Frauen fördern. Egal, wen sie lieben.

Kürzlich wurde ein Text von Ihnen in der „Emma“ als Outing von Angela Merkel gelesen.

Ja, absurd. Da ging es um die Definition von Homosexualität: nämlich als mögliche Lebensform für jede und jeden und auch phasenweise. Dass Homosexualität eben kein Faktor ist, der den Menschen definiert. Am Ende habe ich den ironischen Schlenker gemacht darüber, dass Männer als Junge zur Homosexualität neigen, Frauen eher im Alter. Und geschrieben: „Also Ende offen für Herrn Westerwelle (41) und Frau Merkel (50).“

Reine Ironie?

Das war ultraklar! Ich kam dann aus dem Urlaub zurück und meine Sekretärin sagte: Hier ist die Hölle los. Kolleginnen und Chefredakteure riefen an: Alice, mir kannst du es doch sagen… Ich habe dann Frau Merkel angerufen und gesagt, ich bedauere es, wenn ich zu irgendwelchen Missverständnissen beigetragen haben sollte.

Worum ging es dann bei dieser Phantomdebatte?

Es ging darum, Merkel was anzuhängen. Und da scheint das Gerücht, sie sei lesbisch, ja tödlich zu sein. Dass sich ernst zu nehmende Medien an meiner ironischen Bemerkung festgebissen haben, zeigt zweierlei: Zum einen, dass man Merkel wirklich hart auf den Fersen ist – zum anderen, dass sie keine Leichen im Keller zu haben scheint.

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false