zum Hauptinhalt

Letzter Tag im Amt: Die Bilanz von Benedikt XVI.

Er ist der bisher am längsten amtierende deutsche Papst der Geschichte, er schuf ein bedeutendes theologisches Werk, aber es gelang ihm nicht, die Vatikanbank aus den Schlagzeilen zu bekommen: Joseph Ratzinger wurde verehrt und kritisiert. Ein Überblick über sein Wirken in den vergangenen acht Jahren.

Rekorde
Joseph Aloisius Ratzinger, geboren als Sohn eines Polizeibeamten am 16. April 1927 im oberbayerischen Marktl am Inn, war zuletzt der älteste Papst der letzten hundert Jahre Kirchengeschichte. Sein Vorgänger, Johannes Paul II. starb mit knapp 85 Jahren. Ältester Papst der gesamten zweitausend Jahre Kirchengeschichte war Leo XIII. Er wurde 93 Jahre alt und starb im Juli 1903 nach gut 25jährigem Pontifikat.

Benedikt XVI. wird zudem als der am längsten amtierende „deutsche“ Papst in die Geschichte eingehen – jedenfalls im Konzert der anderen sieben, die zu ihrer Zeit, im Mittelalter, als „von deutscher Nation“ galten: Franken, Elsässer, Kärtner, Südtiroler, Lothringer. Der Durchschnitt ihrer Amtszeiten liegt bei weniger als zwei Jahren.

Reisen
Man hat gesagt, Benedikt XVI. sei weniger gereist als sein Vorgänger, der „Eilige Vater“. So groß aber ist der Unterschied gar nicht. Johannes Paul II. hat 104 Auslandsreisen unternommen, vier Reisen pro Amtsjahr; Benedikt XVI. hält bei 24 Reisen, drei pro Jahr. Das ist auch wegen des gravierenden Altersunterschieds beachtlich: Karol Wojtyla, der „Athlet Gottes“, wurde mit 58 Jahren Papst, Joseph Ratzinger mit 78.

Witziger- oder geplanterweise: Benedikt XVI. bewegte sich bis in die Wahl seiner Urlaubsorte immer auffällig exakt auf den eingefahrenen Gleisen seines Vorgängers – haben beide Päpste im Alter von 78 bis 85 Jahren praktisch die gleiche Zahl von Auslandsreisen unternommen.

Mode
Am Abend des 19. April 2005, als nach dem „Habemus Papam“ der frischgewählte „Benedictus Decimus Sextus“, auf der Loggia des Petersdoms die Arme hochriss, da stöhnten modebewusste Italiener(innen) auf: Unter den weißen Gewändern waren die Ärmel eines schwarzen Pullis zu sehen. Danach aber sorgte gerade dieser Papst für eine fröhliche Überraschung nach der anderen. Er holte längst vergessene päpstliche Kleidungsstücke aus dem Fundus: die hermelinbesetzte Mütze „Camauro“ und die „Mozzetta“ gegen die Kälte, den breitkremprigen „Saturno“ gegen die Sonnenglut, alles im Rot mittelalterlicher Königsgarderobe; er ließ sich rote Schuhe machen, wenn auch nicht von Prada, wie zuerst vermutet wurde.

Insgesamt achteten Benedikt und seine Zeremonienmeister mehr auf Form und Eleganz – im modischen Retrolook. Und den dünnen Goldreif, den Johannes Paul II. am Finger trug, ersetzte Benedikt XVI. durch seinen dicken, massiven „Fischerring“. Ob der jetzt, wie päpstliche Siegelringe nach dem Tod ihrer Amtsinhaber bisher, zerbrochen wird oder als beachtliches Exemplar der Goldschmiedekunst im Museum landet, ist offenbar noch nicht entschieden.

Publikum
Nach der Statistik des Vatikans sind im vergangenen Jahr 2,35 Millionen Menschen zu Benedikts öffentlichen Auftritten – Messen, Generalaudienzen, Angelusgebete – geströmt; zwischen April 2005 und Ende 2012 summieren sie sich auf 20,5 Millionen; wegen der verschiedenen, über zwei Wochen gestreckten „letzten“ Zeremonien wird die Schlussbilanz wohl 21 Millionen betragen.

Hinzu kommt das virtuelle Publikum: Benedikts 1,7 Millionen „follower“ auf dem im Dezember 2012 eingerichteten „Twitter“-Kanal (der mit Pontifikats-Ende eingestellt wird) und die Leser seiner weltweit mit großem Erfolg verkauften Bücher.

Bedeutendes theologisches Lebenswerk geschaffen

Werke
Mit seinem dreibändigen Werk „Jesus von Nazaret“, zu dem er „lange unterwegs war“, hat Joseph Ratzinger sein privates theologisches Lebenswerk noch während seines Pontifikats gekrönt. Die mögliche Vermischung privater Forschungs- und Denkergebnisse mit autoritativen, zu Gehorsam verpflichtenden Lehräußerungen eines Papstes hat für nicht wenig Unruhe unter den Theologen gesorgt, zumal die Bände unter der doppelten Autorenschaft „Joseph Ratzinger/Benedikt XVI.“ erscheinen.

Er selbst misst seinen Büchern keine Amtsautorität zu: „Es steht jedem frei, mir zu widersprechen.“ Rein amtliche Lehrschreiben stellen Benedikts XVI. drei Enzykliken dar: „Deus caritas est“ („Gott ist Liebe“, 2006), über die persönliche zwischenmenschliche Liebe und die christliche Nächstenliebe; „Spe salvi“ („Auf Hoffnung hin gerettet“, 2007) über menschliche Zukunft ohne oder mit Gott. Hinzu kommt „Caritas in Veritate“ („Wahrheit in Liebe“, 2009), der Versuch, die katholische Soziallehre aktuell fortzuschreiben, mit dem Vorschlag – mitten in der Weltfinanzkrise – einer Art globalen politischen Autorität für das Wohlergehen der Menschen.

Die vierte Enzyklika, in der es um den christlichen Glauben gehen sollte und die dieses Frühjahr hätte erscheinen sollen, hat Benedikt XVI. nur in Teilen vollendet; sie bleibt unveröffentlicht.

Finanzen
Trotz persönlichen Einsatzes – über ein Gesetz von Ende 2010 – ist es Benedikt XVI. nicht gelungen, die Vatikanbank IOR („Institut für Religiöse Werke“) aus den Schlagzeilen zu bringen. Filz, Inkompetenz, interessengeleitete Personalentscheidungen verhinderten bisher eine Aufnahme des Vatikans in die „weiße Liste“ der OECD – also in den Katalog jener Staaten, die einen vertrauenswürdigen Schutz gegen Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung aufgebaut haben.
Trotz eines Großreinemachens und einer gewissen Entzerrung zwischen Bank und Finanzaufsicht, also zwischen Kontrollierten und Kontrolleuren, ist noch immer nicht hinreichend klar, ob tatsächlich nur – wie vorgeschrieben – Kleriker oder Ordensgemeinschaften Inhaber der 33.400 IOR-Konten sind. Es besteht in vielen Fällen immer noch der Verdacht, Kirchenleute könnten von kriminellen Geldwäschern als Strohmänner vorgeschoben worden sein.
Zwar hat sich das IOR im deutschen Finanzfachmann Ernst von Freyberg soeben einen neuen Präsidenten gegeben, Benedikt XVI. hat in seinen letzten Tagen aber den klerikalen Aufsichtsrat im Amt bestätigt, und das ausdrücklich auch noch auf fünf Jahre. Damit regieren – unter Führung des umstrittenen Kardinalstaatssekretärs Tarcisio Bertone – dieselben Männer weiter wie in den bisherigen, nicht so ganz sauberen Zeiten.

Pädophilie-Skandale
Unübersehbar war der Wille Benedikts XVI., innerhalb er eigenen Kirche endlich mit den Pädophilie-Skandalen aufräumen – nachdem diese unter Johannes Paul II. systematisch unter der Decke gehalten und allenfalls kleingeredet worden waren. Benedikt konnte auch gar nicht mehr anders: Ende 2009 brach die Sturmflut aus Irland, Deutschland, den USA und vielen anderen Ländern in voller Wucht über die Kirche herein. Erstmals gestand ein Papst, dass da „verabscheuungswürdige Verbrechen“ geschehen seien, dass die kirchliche Hierarchie – also nicht verirrte Einzelgestalten – „furchtbar versagt“ habe, und dass die „Feinde im Inneren“ für die Kirche mitunter schlimmer seien als jene von außen.
Benedikt XVI. traf sich auf Reisen mit Missbrauchsopfern und hörte ihnen zu.
Dennochholt ihn das Verbrechen am Ende wieder ein: Am Konklave demnächst wird auch der US-Kardinal Roger Mahony teilnehmen, der in den achtziger Jahren mehr als 120 straffällig gewordene Kleriker deckte und dem sein Nachfolger in der Diözese Los Angeles erst vor wenigen Tagen die Ausübung aller öffentlichen Tätigkeiten untersagt hat. Das Recht zur Papstwahl indes will sich Mahony, allen Protesten zum Trotz, nicht nehmen lassen.

Das Dossier "Piusbrüder" gibt er an seinen Nachfolger weiter

Piusbrüder
Auf vage Versprechungen künftigen Gehorsams hin befreite Benedikt Anfang 2009 vier Bischöfe der ultrakonservativen Piusbruderschaft aus der Exkommuniksation. Während Ratzinger als Chef der Glaubenskongregation etlichen linken, in Ungnade gefallenen Befreiungstheologen zumindest ein Jahr „Bußschweigen“ zu verordnen pflegte, blieben die Piusbrüder von Auflagen frei – und auf dringenden persönlichen Wunsch Benedikts ließ sich der Vatikan sogar zu Verhandlungen mit den Traditionalisten herbei. Es ging um deren Wiedereingliederung in die Kirche, wobei Rom lange nicht kapierte, dass dabei die Piusbrüder die Bedingungen diktieren wollten. Doch auch wenn Benedikt XVI. als Zeichen guten Willens schon 2007 den 440 Jahre alten, alten, „tridentinischen“ Messritus wieder erlaubt hatte – irgendwann war auch seine Geduld erschöpft. Zu weichen Kompromissen wollte er sich nicht hergeben. Das „Dossier Piusbrüder“ reicht er jetzt, ganz offiziell, an seinen Nachfolger weiter.

Ökumene
Während Benedikts Pontifikat haben sich die konfessionellen Galaxien eher voneinander entfernt, als dass sie einander näher gekommen wären. Schuld daran ist – wie das unrühmliche Schicksal einer gemeinsamen deutschen Bibelübersetzung beispielhaft zeigt – nicht nur die katholische Seite. Benedikt XVI. hatte sich von seiner ersten Predigt als Papst zur Einigung der Kirchen bekannt, aber nicht alle glaubten es ihm, denn in der Erklärung „Dominus Iesus“ aus dem Jahr 2000 hatte die von Ratzinger geleitete Glaubenskongregation den anderen christlichen Konfessionen das Kirchesein abgesprochen. Als Altlast wirkte das nach. Immerhin, so heißt es, hätten Vatikan und Lutherischer Weltbund in den zurückliegenden Monaten gemeinsam, still und friedlich eine gemeinsame Erklärung zum Reformationsgedenkjahr 2017 erarbeitet. Sie soll bald veröffentlicht werden.

Letzte Amtshandlungen
Den Rückzug Benedikts nutzen italienische Medien noch einmal zu großer Auflistung und fantasievoller Anreicherung dessen, was unter Benedikt XVI. an schlüpfrigen Sex- und Finanzgeschichten öffentlich geworden ist. Genaueres als die Medien werden die zum Konklave versammelten Kardinäle erfahren, denen der scheidende Papst jenen dicken Ermittlungsbericht überlässt, den drei honorige Altkardinäle für ihn persönlich erstellt haben, und auf dessen Veröffentlichung der Vatikan aus guten Gründen verzichtet.

In der Zwischenzeit hat Benedikt XVI. seinen Hof bestellt: An die Spitze der Glaubenskongregation steht seit ein paar Monaten der Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller, der als Theologieprofessor auch Chef-Herausgeber von Ratzingers Bücherwerk ist; da ist der Fortbestand der Lehre automatisch gesichert. Den intern wie extern erheblich kritisierten Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone hat der Papst auch noch mit der Aufgabe des „Camerlengo“ betraut. Das heißt: Bertone, auch wenn er von der Kardinalsversammlung überstimmt werden kann, organisiert die papstlose Zwischenzeit und das Konklave. Außerdem bleibt der 78jährige noch fünf Jahre Aufsichtsratspräsident bei der Vatikanbank. Und schließlich hat Benedikt XVI. seinem ebenso getreuen wie konkurrenzlos fähigen Privatsekretär Georg Gänswein mit der Weihe zum Erzbischof einen kirchenhierarchischen Rang verschafft, der unabhängig von jedem Papstwechsel seine Gültigkeit und sein Renommee behält. Gänswein führt als „Präfekt des Päpstlichen Hauses“ darüber hinaus den Neuen in sein Amt ein.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false