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Die meisten versammelten sich rund ums Brandenburger Tor - insgesamt schätzte die Polizei jedoch nur 700 bis 1000 Teilnehmer bei der Lichterkette in Berlin.

© Jörg Carstensen/dpa

Update

Lichterkette von Berlin nach München: Tausende Kerzen für den Frieden - aber weniger als erhofft

Eine Lichterkette sollte am Sonnabend als Zeichen gegen Gewalt und Terror Berlin mit München verbinden. Statt angekündigten 200.000 nahmen nur jedoch nur einige tausend Menschen daran teil.

Ende Juli 2009 gab es in Berlin, Hauptstadt der Demonstrationen, eine Premiere: Die Polizei verbot bei zwei Lichterketten den Gebrauch von Kerzen. Es ging gegen den Iran, das spielte für die Versammlungsbehörde keine Rolle. Rutschige Wachsrückstände, so ihre Sorge, gefährdeten die öffentliche Sicherheit.

Das Beispiel hat weder hier noch anderswo Schule gemacht. Auch am Samstagabend entwickelte sich aus der Art der entzündeten Lichter kein Problem, gab es hierzu keine polizeilichen Vorgaben. Schon angesichts der Distanz, die es mit der neuen Lichterkette gegen Krieg, Terrorismus und Gewalt zu zu überbrücken galt, wäre Kontrolle nicht möglich gewesen: zwischen Berlin und München, auf einer Strecke von rund 600 Kilometern.

Ein offenkundig allzu anspruchsvolles Unterfangen – so jedenfalls schon der Eindruck am Brandenburger Tor, dem einen Endpunkt der erhofften Menschenschlange. Um 19 Uhr, Beginn der Aktion, hatten sich, wohlwollend geschätzt, nur wenige hundert Teilnehmer auf dem Pariser Platz versammelt. Ein Tisch mit Kerzen war aufgebaut worden, an dem man sich bedienen konnte.

Doch noch eine halbe Stunde später waren jede Menge Lichter zu haben, zog sich die zuletzt sehr lückenhafte Menschenkette gerade mal an der US-Botschaft und dem Holocaust-Mahnmal vorbei. Wer weiter zum Potsdamer Platz lief, traf nur noch vereinzelt Kerzenträger. Auf zwischen 700 und 1000 Menschen schätzte Berlins Polizei die Zahl der Teilnehmer im Stadtgebiet. In München, dem anderen Endpunkt, sah es besser aus: Rund 4000 Menschen kamen zusammen, gegenüber Potsdam (etwa 35) oder Leipzig (150 bis 200) eine stolze Zahl.

Der Pianist Davide Martello läutete die Aktion in München mit John Lennons "Imagine" ein.
Der Pianist Davide Martello läutete die Aktion in München mit John Lennons "Imagine" ein. Er hat auch schon vor dem Bataclan in Paris gespielt, auf dem Taksim-Platz in Istanbul und für Flüchtlinge auf dem Oranienplatz in Berlin.

© Matthias Balk/dpa

Wie berichtet, hatte der aus Bad Waldsee in Oberschwaben (Baden-Württemberg) stammende Horst Fallenbeck die Aktion ins Leben gerufen. Entstanden war die Idee bei einer Diskussion auf Facebook: Eine Nutzerin hatte die Lichterkette ins Gespräch gebracht, und über Facebook wurde denn auch zu der Lichterkette aufgerufen. Rund 650.000 Teilnehmer, so hat der 43-Jährige errechnet, seien für die vom Münchner Marienplatz über Nürnberg, Hof, Gera, Leipzig und Potsdam bis zum Brandenburger Tor geplante Menschenkette notwendig. Bis Freitag hatten nach seinen Angaben 200.000 Anmeldungen aus Bayern, Thüringen, Sachsen, Brandenburg und Berlin vor gelegen. Die Zahl war bei Behörden allerdings auf Skepsis gestoßen .

Der Schulterschluss der Friedensfreunde, so quantitativ bescheiden er sich auch ausnahm, reiht sich ein in eine ebenso ehrenwerte wie beeindruckende Tradition, als deren Geburtsstätte hierzulande ohne weiteres München genannt werden kann. Es mag auch frühere Lichterketten gegeben haben, als eine Form des Protests, der meist – und auch diesmal wieder in Berlin – ohne viel Worte und Transparente abläuft, der eine stille Geste ist, kein lautstarkes Einfordern von diesem oder jenem.

Rostock-Lichtenhagen und Mölln waren 1992 die Auslöser

Aber zum Ausdrucksmittel einer Massenbewegung wurde er am 6. Dezember 1992 auf den Straßen der Münchner Innenstadt. Wenige Monate zuvor hatte es die ausländerfeindlichen Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen gegeben, und bei dem Brandanschlag in Mölln am 23. November 1992 waren drei Türkinnen, darunter zwei Kinder, ums Leben gekommen.

München leuchtete. Am 6. Dezember 1992 versammelten sich die Bürger (hier mit der Schauspielerin Senta Berger) in der bayerischen Landeshauptstadt, um erstmals mit einer Lichterkette gegen Ausländerhass und Rassismus zu demonstrieren.
München leuchtete. Am 6. Dezember 1992 versammelten sich die Bürger (hier mit der Schauspielerin Senta Berger) in der bayerischen Landeshauptstadt, um erstmals mit einer Lichterkette gegen Ausländerhass und Rassismus zu demonstrieren.

© picture-alliance / dpa

In München gründete sich daraufhin der Verein „München – eine Stadt sagt Nein“, mit Giovanni die Lorenzo, heute „Zeit“-Chefredakteur und Tagesspiegel-Herausgeber, als einem der vier Initiatoren.

Ihr Anliegen, das Eintreten gegen den grassierenden Ausländerhass, fand offensichtlich bei vielen Menschen Widerhall: Rund 400.000 Menschen schlossen sich am Nikolaustag 1992 in München auf ihren Aufruf hin zur Lichterkette zusammen – Initialzündung für viele ähnliche Aktionen mit vergleichbaren, aber auch weit kleineren Teilnehmerzahlen.

Erst vor zwei Monaten hatte es in Berlin eine Lichterkette quer durch die Stadt gegeben, und es war nicht die erste. Diesmal ging es um die Flüchtlinge. Die Angaben zu den Teilnehmerzahlen schwankten zwischen 8000 und 25.000 Menschen, wie üblich bei solch räumlich ausgedehnten Aktionen. Teilweise waren auch Kriege Anlass des stillem Protests, so wiederum in Berlin im März 2003, als über 100.000 Menschen auf einer 35 Kilometer langen Strecke mit Kerzen und Taschenlampen in den Händen gegen den drohenden Krieg im Irak protestierten.

Deutschlands Lichterketten hatten nicht nur altruistische Motive, richteten sich schon gegen Fluglärm wie 2011 in Offenbach oder den Bau einer Moschee wie 2006 in Berlin-Pankow. Und es ist keine rein deutsche Form des Protests: So rief die Organisation „SOS Mitmensch“ Anfang 1993 in Wien zum Protest gegen das rechtsnationale „Österreich zuerst“-Volksbegehren auf. Zwischen 200.000 und 300.000 Menschen zogen durch die Innenstadt. Die Lichterkette war zum Lichtermeer geworden. (mit dpa)

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