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In diesem Stadtteil wurde der Unschuldige zusammengeschlagen.

© Carmen Jaspersen/dpa

Lynchjustiz-Angriff nach TV-Bericht: Anklage gegen zwei Fernsehmacher

Anklage gegen zwei Mitarbeiter eines RTL-Teams, die journalistische Grundsätze missachtet haben sollen.

Ein RTL-Beitrag, der einen Lynchjustiz-Angriff auf einen vermeintlichen Pädosexuellen auslöste, hat jetzt auch strafrechtliche Folgen für die Fernsehmacher: Ein Reporter und eine freie Mitarbeiterin des Privatsenders sind nach Informationen des Tagesspiegel angeklagt worden, weil sie durch mangelnde Anonymisierung den Übergriff ermöglicht haben sollen. Damit sollen sie fahrlässige Körperverletzung begangen haben.

Wie damals berichtet, hatte RTL 2018 einen Beitrag über eine „neue Masche von Pädophilen“ ausgestrahlt. Darin zeigten die beiden Journalisten einen heimlich gefilmten scheinbar Verdächtigen aus Bremen, dessen obere Körperhälfte sie unkenntlich gemacht hatten, sowie ein Gebäude, in dem seine Wohnung vermutet wurde. Einzelne RTL-Zuschauer glaubten, den angeblich Pädophilen und vor allem den Wohnblock erkannt zu haben. Sie telefonierten weitere Personen herbei. Nach und nach versammelten sich rund 20 Menschen vor dem Haus. „Da muss man doch was tun“, hieß es in der Gruppe, wie Zeugen später aussagten. Schließlich stürmten fünf bis zehn Männer in das Gebäude, traten die Wohnungstür des vermeintlich Verdächtigen ein und schlugen ihn krankenhausreif. Laut Staatsanwaltschaft schwebte er anfangs in Lebensgefahr.

Wie sich nachträglich herausstellte, war der schwer Verletzte aber gar nicht der im Fernsehen verpixelt gezeigte Mann – und auch dieser hat sich nach Polizeiangaben als unschuldig erwiesen. Nach unbestätigten Gerüchten wohnte er wohl in demselben Haus wie der Verprügelte.

Ein Schläger verurteilt

Einer der Schläger stellte sich der Polizei. Das Landgericht Bremen verurteilte ihn inzwischen rechtskräftig zu einer einjährigen Bewährungsstrafe wegen gefährlicher Körperverletzung. Als strafmildernd wirkten sein frühes Geständnis und die freiwillige Zahlung eines Schmerzensgelds an das Opfer. Seine Mittäter sind bis heute unbekannt.

Als nächstes möchte die Staatsanwaltschaft auch die beiden RTL-Mitarbeiter vor Gericht bringen. Ein Behördensprecher wollte sich auf Anfrage zwar derzeit nicht zu dem Verfahren äußern, aber nach Tagesspiegel-Informationen liegt die Anklage wegen fahrlässiger Körperverletzung inzwischen dem Amtsgericht vor.

Demnach sollen die beiden Angeklagten „anerkannte journalistische Grundsätze“ missachtet haben, deren Einhaltung vom Rundfunkstaatsvertrag der Bundesländer gefordert wird. Die Anklageschrift erwähnt dabei auch den Pressekodex des Deutschen Presserats, der den Persönlichkeitsschutz von Tatverdächtigen regelt. Vor allem die Erkennbarkeit des Wohnblocks wird dem RTL-Team zum Vorwurf gemacht.

Unklar ist allerdings noch, ob das Amtsgericht diese bundesweit vermutlich beispiellose Anklage tatsächlich zur Verhandlung zulässt.

Bereits 2018 hatte die „Kommission für Zulassung und Aufsicht“ der deutschen Landesmedienanstalten den RTL-Beitrag förmlich beanstandet, weil er gegen journalistische Grundsätze verstoßen habe.

Nach Ansicht der Medienaufsicht bestand zwar ein „Berichterstattungsinteresse“, aber das entbinde nicht von der Pflicht, „gerade bei diesem sensiblen Thema die Persönlichkeitsrechte von gezeigten Personen zu wahren“. Da der Sender allerdings nicht vorsätzlich gehandelt habe, musste er an die Medienaufsicht kein Bußgeld, sondern nur eine Verwaltungsgebühr zahlen. RTL verzichtete damals auf Rechtsmittel gegen diese Beanstandung.

Der Sender hatte nach dem Überfall jede Schuld zurückgewiesen. Er nahm den Beitrag von der Homepage und erklärte: „RTL verurteilt den brutalen Akt der Lynchjustiz in Bremen auf das Schärfste.“

Zur aktuellen Anklage teilte ein Sprecher mit: „RTL wird sich in dem Verfahren entschieden verteidigen und seine Rechtsauffassung weiterhin vertreten, dass der unvorhersehbare Angriff auf eine gar nicht gezeigte Person nicht strafbar sein kann.“

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