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Am Jaffator der Heiligen Stadt. Eine Marathon-Teilnehmerin läuft durch die Altstadt von Jerusalem.

© dpa

Marathon in Jerusalem: Schöner laufen

Hier rennt keiner Weltrekord. Der Marathon in Jerusalem ist einer der anstrengendsten – vor allem aber ein besonderer. Die Läufer rennen durch die Gassen der Altstadt. Und immer geht es rauf und runter.

Als die ersten Läufer das berühmte Jaffator am Eingang der Altstadt erreichen, haben sie bereits die Hälfte der Strecke geschafft. Das Feld ist ausgedünnt, die Schnelleren haben sich längst abgesetzt, und das ist in diesem Fall auch dringend nötig: Anders würden sie es gar nicht durch die historischen Gassen schaffen – viel zu eng und verwinkelt sind die.

Dass dies kein gewöhnliches Sportereignis ist, erkennt man auch an den vielen Polizisten entlang der Strecke. 2000 sind heute abgestellt, um den Marathonlauf quer durch Jerusalem abzusichern. Dazu wachen Soldaten mit Maschinenpistolen.

In Jerusalem wird der Marathon zum Politikikum. Viele wollen nicht, dass ein Eindruck von Normalität herrscht

In der Stadt, die Israelis wie Palästinenser für sich beanspruchen, wird sogar ein harmloser Langstreckenlauf zum Politikum. Weil der auch durch Gebiete führt, die mehrheitlich von Arabern bewohnt werden, hat ein Zusammenschluss palästinensischer Nichtregierungsorganisationen im Vorfeld zu Protesten aufgerufen und einen Boykott der Sponsoren gefordert. Die Gruppen deuten den Lauf als Versuch, israelische Normalität in arabisch dominierten Vierteln zu etablieren. Jerusalems Bürgermeister Nir Barkat will davon nichts wissen: „Dies ist ein Lauf für die ganze Stadt”, sagt er. Und weiter: „Es geht hier doch um Sport.“

Der tapfere Bürgermeister Nir Barkat

Dass der Lauf überhaupt stattfindet, liegt im Wesentlichen an ihm. Der Unternehmer, der in den 1990er Jahren mit der Entwicklung von Antiviren-Software zu Geld kam und später in die Politik wechselte, sieht das Event als Stadtmarketing-Instrument: Er hofft auf Fernsehbilder von Athleten vor beeindruckender Kulisse, die anschließend Touristen anlocken. Schon jetzt gilt der Lauf als wichtigste Sportveranstaltung des Landes, diesmal haben sich 26 000 Teilnehmer für unterschiedliche Distanzen angemeldet. Manche tragen Kippa, einige Frauen treten im schwarzem Rock an, die meisten aber in der üblichen grellen Sportlerkleidung. Ein Mann hat sich einen riesigen Bart angeklebt, er läuft als Moses. Seine Steintafeln unterm Arm sind selbstgebastelt und bloß aus Pappe.

Um der Mittagssonne zu entgehen, sind die Marathonläufer an diesem Freitag schon frühmorgens um sieben Uhr gestartet. Was auch daran liegt, dass am späten Nachmittag der jüdische Ruhetag Schabbat beginnt. Bis dahin sollen alle Siegerehrungen und Feiern beendet sein.

Der Bürgermeister läuft selber Marathon, nur diesmal läuft er nur die Hälfte

Bürgermeister Nir Barkat, ein säkularer Jude, der sich bei seiner Wiederwahl 2013 gegen einen konservativen Rabbiner durchgesetzt hat, ist selbst langjähriger Marathonstarter, kennt den weltweiten Lauf-Tourismus. Unter anderem war er bereits in New York und Paris dabei. Als Vorbild für den Jerusalem-Marathon sieht Barkat aber vor allem den Berliner Wettbewerb. Dort ist er 2005 angetreten und nach viereinhalb Stunden ins Ziel getrudelt. Die Berliner verstünden es wie sonst niemand, ihre Route entlang von Sehenswürdigkeiten zu legen, sagt er.

Exakt so wollte Nir Barkat es auch haben. Deshalb übernahm er persönlich die Planung des Streckenverlaufs und stellte sicher, dass möglichst keine Attraktion ausgelassen wird: Der Startpunkt liegt direkt unterhalb der Knesset, von dort aus laufen die Massen an Parks, dem Uni-Campus, mehreren Museen und Shopping-Malls vorbei, dann entlang der Altstadtmauern aus dem 16. Jahrhundert. Zwischendurch bieten sich immer wieder Panorama-Blicke über die Stadt. Nur an Klagemauer und Erlöserkirche kommen die Teilnehmer nicht vorbei, die Zufahrtsstraßen sind schlicht zu eng.

Als vor vier Jahren der erste Marathon stattfand, gab es einen tragischen Zwischenfall: Zwei Tage vor dem Lauf explodierte vor dem zentralen Busbahnhof ein Sprengsatz, eine Britin wurde getötet, fast 40 Menschen verletzt. Der Anschlag wurde mit dem Marathon in Verbindung gebracht, der Bürgermeister erklärte damals binnen Stunden, dass dieser Lauf dennoch stattfinden werde, man sich schließlich nicht von den Terroristen ängstigen lassen wolle. An diesem Freitag sieht man entlang der Strecke vereinzelt Plakate mit Friedensbotschaften. Einige gedenken eines ganz anderen Attentats: Ín vier Wochen jährt sich erstmals der Anschlag auf den Boston-Marathon.

Weltrekorde werden in Jerusalem keine gelaufen. Dafür ist das Gelände zu bergig, andauernd geht es steil auf- oder abwärts. Der schnellste Teilnehmer, der Kenianer Ronald Kimeli, erreicht das Ziel nach 2:16:09 Stunden, das ist fast 13 Minuten langsamer als der aktuelle Weltrekord, der im Herbst in Berlin aufgestellt wurde.

Auch 180 Deutsche befinden sich an diesem Tag unter den Startern. Christian Seybold, der wegen seiner israelischen Freundin von Stuttgart nach Israel ausgewandert ist, hat „Mentalitätsunterschiede beim Laufen“ ausgemacht. Das Verhalten auf der Strecke ähnele im Grundsatz dem, was er in seiner neuen Heimat auch im Straßenverkehr erlebe: „im Zweifel offensiver als in Deutschland, gelegentlich auch mit Ellenbogeneinsatz“. Aber egal, man gewöhne sich dran.

Bürgermeister Nir Barkat möchte den Lauf in den kommenden Jahren ausbauen, ihn zu einem der Marathons machen, die jeder ambitionierte Sportler wenigstens einmal in seinem Leben gewagt haben muss. Er selbst hat sich diesmal nur den Halbmarathon zugetraut. Immerhin gratulierte er Ronald Kimeli, dem Sieger auf der langen Strecke, hinter der Ziellinie per Handschlag – und wirkte selbst deutlich verschwitzter als der Kenianer.

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