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Kay Gundlack baut in seiner Schuhmanufaktur in Parchim (Mecklenburg-Vorpommern) in Handarbeit individuelle Maßschuhe.

© Foto: Jens Büttner/pa-dpa

Maßschuhe aus Parchim: Handarbeit für prominente Füße

In Parchim entwirft und baut der Schuhmacher Kay Gundlack Maßschuhe, die überall in der Welt getragen werden.

Zeigt her Eure Füße – für Kay Gundlack, den Schuhmacher aus Parchim, ist das ein ganz normaler Job. Mit großem Lederkoffer – der auch eine Hebamme zum Dienst begleiten könnte – ist er gerade aus Saint Tropez zurückgekehrt. „Eine komplett andere Welt“, gesteht der 43-Jährige, allerdings ohne sich zu sehr vom Glanz und Glamour beeindruckt zu zeigen. „Ich weiß sehr genau, wo ich her komme und was mir wichtig ist. Schön, jetzt wieder zu Hause zu sein.“

Bodenständig geblieben, erzählt der Vater von zwei Söhnen, wie das Schuhmacher-Dasein am beschaulichen Marktplatz von Parchim immer wieder mal unterbrochen wird von Ausflügen in eine ganz andere Welt. Ohne vorher zu wissen, wer eigentlich Schuhe von ihm haben möchte, ist er in die französische Hafenstadt Saint Tropez geordert worden. Ein Anruf vom Management eines weltbekannten Models und die Frage „Kannst du morgen kurz Maß nehmen im Ausland?“ ist vorangegangen. „Das passiert auch mir nicht jeden Tag“, gesteht Gundlack. Flug und Abholdienst mit Chauffeur, Übernachtung im feinsten Hotel am Platz – eine Geschichte wie im Märchen.

„Diskretion erbeten“ – für Kay Gundlack ist das Ehrensache, zumal schon mit Buchung der Anreise darauf hingewiesen wurde, dass es sich um eine geheime Mission handele. Ausgerüstet mit Maßband und Maßkasten (in dem vom Fuß der prominenten Kundin eine Art Blaupause gemacht wurde), hat sich der Orthopädieschuhmacher-Meister auf den Weg gemacht. Auch Modellvorschläge, verschiedene Lederproben, Zeichenblock und Absatzgrößen hatte er mit im Gepäck.

Mit Interviews, Musik und Fantasie fühlt er sich in die prominenten Kunden ein

Ob Hausbesuch oder Termin in der kleinen Schuhmanufaktur mit Blick auf die Marienkirche: Sein Kunde ist König. Etwa 500 begeisterte Abnehmer weltweit hat sich Gundlack in zwölf Jahren Selbstständigkeit erarbeitet. Der Showroom mit Blick in die angrenzende Werkstatt ist mit Fotos und Autogrammkarten seiner dankbaren Schuhträger tapeziert. Nicht schlecht, wer sich so alles in „KG“-Tretern tummelt: David Garrett beispielsweise, der langmähnige Geiger, der stets mit ungeschnürten, derben Boots über die Bühnen der Welt fetzt. Oder Joachim Lambi, strenger Juror aus der Fernsehsendung „Let’s dance“. Sängerin Sabrina Setlur strahlt glücklich in Stiefeln aus Parchim und Katja Flint ging zur Bambi-Verleihung in KG-Pumps. Ebenfalls an der Wand verewigt, mit Autogramm und großem Bild: Thomas Gottschalk, bekannt für seine eigenwilligen Outfits. Er hat halbhohe Dandy-Schuhe in Braun-Weiß und Schwarz aus Mecklenburg.

100 Stunden pro Woche verbringt Kay Gundlack zwischen Leder, Leisten und Entwürfen: „Mein Arbeitstag endet meist erst gegen 22 Uhr“, gibt er an der Nähmaschine sitzend zu. „In meiner Werkstatt kann ich noch am ehesten abschalten. Ansonsten gelingt mir das keine Sekunde“, erklärt er. „Wenn ich die Materialien rieche und fühle und die Gerätschaften griffbereit sind, kann ich wunderbar alles vorantreiben und in meinem Tempo arbeiten.“ Zu Hause hingegen könnte er ja nichts ausrichten, wenn ihm eine tolle Idee in den Kopf schießt. Eine Laser- Gravur im Leder etwa oder eine abgefahrene Niete, die er noch unbedingt besorgen und in der Lasche eines Schuhs befestigen möchte. Andere zählen Schäfchen, um besser einschlafen können – Gundlack sieht Schuhe aller Art vorübergehen …

Aus der ostdeutschen Kleinstadt in die Welt: nicht ganz einfach

Vorprogrammiert war der Erfolg der kleinen Schuhmanufaktur so ganz und gar nicht. „Es liegen harte und sehr ernüchternde Zeiten hinter mir“, erzählt der gelernte Orthopädieschuhmacher. Mit 32 Jahren und nach mehr als zehn Jahren in diesem Beruf wollte er endlich mal schöne Schuhe bauen. „Aber Geld von der Bank für den Aufbau eines eigenen Geschäfts gab’s damals nicht. Denn meine Idee, in einer ostdeutschen Kleinstadt einen exklusiven Laden zu eröffnen, erschien allen anderen allzu wahnsinnig.“

Mutig war es wirklich. Denn ohne festen Kundenstamm, ohne Netzwerk in der Welt der finanzstarken Interessenten und zu Lieferanten hatte er viele Hausaufgaben zu erledigen. Seine ersten Maßschuhe hat er in der Garage neben seinem Haus zusammengebaut. Irgendwoher musste ja erst mal Geld kommen. Bis heute kann der Designer sein Ladenkonzept kaum mal einfach wohlwollend und glücklich betrachten. Nie ist er mit sich zufrieden, immer gibt es noch etwas zu verbessern, hätte etwas anders gelöst werden können. Jede Auslieferung neuer Schuhe ist eine Zitterpartie. Mitarbeiter Sven Möller kennt die Aufregung seines Chefs inzwischen gut – auch seine beruhigenden Worte zu den nunmehr in Seidenpapier gewickelten Schuhen im edlen schwarzen Karton zeigen wenig Wirkung. Erst wenn der Kunde selbst ins Schwärmen gerät, ist Gundlack beruhigt.

In zweihundert Schritten zum Schuh

200 Arbeitsschritte sind notwendig, um einen Maßschuh zu bauen. Zwischen 35 und 40 Stunden sitzt Gundlack dafür in der Werkstatt. Herzstück der Schuhe, die dem Fuß angepasst sind wie eine zweite Haut: Der Leisten aus Buchenholz, für den Hacken-, Spann-, Vorspann-, Ballen- und Zehenmaß genommen werden – er passt dann für alle Nachbestellungen. Darauf werden Fußbett und Brandsohlen-Aufbau, Vorder- und Hinterkappe konstruiert. Das Leder wird der Fußform angepasst, der Rahmen zugeschnitten und nass genäht. Sechs Monate müssen Gundlacks Kunden auf ein Paar handgefertigte Schuhe für 1000 bis 4000 Euro warten.

Gundlack nimmt sich viel Zeit für ein Kennenlerngespräch. Wie der Kunde tickt, welchen Beruf er ausübt, was er mag und was nicht: „Ich muss den Menschen richtig ergründen. Nur so kann dann auch ein Entwurf für den passenden, ultimativen Schuh entstehen.“ Anhand einer Zeichnung kann der Kunde die Form des Unikats schon mal sehen – dabei lässt Gundlack dem Kunden immer auch Spielraum für seine Ideen für den Schuh seiner Träume. David Garrett hatte beim ersten Date keine 15 Minuten Zeit für den Meister aus Parchim. Einzige Bedingung: Schwarz sollten sie sein. „Da bin ich nach Hause gefahren und dachte, du hast jetzt nur einen Schuss frei – und der sollte unbedingt ins Schwarze gehen.“ Er hörte und sah wochenlang CDs und Filme von Garrett. Als der seine ersten Boots aus dem Seidenpapier wickelte, war sein knappes Urteil: „Geile Schuhe.“ Eine feste Umarmung besiegelte den nächsten Auftrag.

Britta Surholt

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