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An vielen Stätten ihrer versunkenen Kultur, wie hier nördlich von Guatemala-City gedachten die Angehörigen der Maya-Völker der historischen Zeitenwende.

© AFP

Maya-Kalender: Jetzt kommt die neue Zeit

Wie die Maya das Ende ihres alten Kalenders erwarteten – ein Besuch in alten Kultstätten in Mexiko und Guatemala.

Doña Laura blickt nervös zum Vulkan hinüber, der sich am Horizont abzeichnet. „Ob das mit dem Weltuntergang stimmt?“ Die mobile Straßenverkäuferin ist unschlüssig, was sie glauben soll. Während sie tamales und atole – gefüllte Maisklöße und süßen Maisbrei– an ihre Kundinnen verteilt, versucht sie deren Meinungen zu erhaschen. So mancher Bewohner von Tapachula, der Grenzstadt im südlichsten Zipfel Mexikos, hat die letzten Tage Hamsterkäufe getätigt. Bevor die rückwärts gehende Neonuhr auf dem Hauptplatz um Mitternacht auf null stehen bleibt. Doña Laura seufzt und schiebt ihr dreirädriges Lastenfahrrad durch den lärmenden Straßenverkehr und die letzten Sonnenstrahlen des Tages. Vielleicht sollte sie doch noch Reis und Bohnen einkaufen. „Für alle Fälle“, sagt sie. Immerhin gab es in letzter Zeit mehr Erdbeben als sonst schon in der Vulkanregion üblich. „Wer weiß, ob das nicht Vorzeichen waren.“

Lange vor Morgengrauen macht sich Juan Rodolfo Huerta am 21. Dezember auf den Weg hinaus nach Izapa, der antiken Hochstätte der aufblühenden Maya-Kultur, an der die Grundlagen des besagten Kalenders erarbeitet wurden. Keine 20 Autominuten sind es von Tapachula aus zu den Pyramiden. Eine spärlich beleuchtete Überlandstraße führt parallel zum Pazifik ins angrenzende Guatemala – mitten durch das einige Quadratkilometer große Ruinenareal hindurch.

Wie oft hat sich der ehemalige Tourismusbeauftragte der Lokalregierung in den letzten Jahren darüber aufgeregt. „Unser historisches Erbe findet wenig Beachtung“, beschwert sich Huerta, während er durch die Nacht fährt. Selbst die weltbedeutende Zeremonie im Herzen des Maya-Imperiums findet auf private Initiative hin statt.

Als Huerta den Pick-up auf einem grasbewachsenen Gelände abseits der Ruinen zum Stehen bringt, sind in der Dunkelheit schon zahlreiche Schemen auszumachen. Ganz in Weiß sind manche Menschen gekleidet, die um 5 Uhr 15 die aufgehende Sonne erwarten, die genau über dieser zerfallenen Pyramidenanlage nach der längsten Nacht des Jahres in einer Linie mit den Planeten stehen wird.

Aus Neugier sei er angereist, sagt Christian Leyba, ein hochgewachsener Mann mit Sommersprossen auf dunkler Haut, der auf einer karierten Decke sitzt. An den Weltuntergang glaube er nicht. „Schon allein aus Berufsgründen“, beteuert der Statistiker aus dem Bundesstaat Guerrero und zieht lachend seine Freundin an sich.

Der Strom der Touristen wird an diesem Tag wohl kein Ende nehmen

Um ein Feuer sitzen die Maya, während sie auf den Sonnenaufgang warten.
Um ein Feuer sitzen die Maya, während sie auf den Sonnenaufgang warten.

© AFP

„Wir haben eine großartige Geschichte, und ich fühle mich mit ihr verbunden“, erklärt Mirna Estrella, eine Oberstufenlehrerin aus Mexiko-Stadt ihre Anwesenheit vor den überwucherten Steinen der Pyramiden. Sie steigt aus ihren Sandalen und stellt die nackten Füße ehrfürchtig auf die rotbraune Erde: „Maya-Land“, murmelt sie.

In der Mitte der Versammlung entzünden nun aus dem nahen Guatemala angereiste Maya-Priester ein Feuer. Denn in Mittelamerika hat die alte Kultur auch ein aktuelles Gesicht. Über sechs Millionen Menschen bezeichnen sich auch heute noch als Angehörige der indigenen Maya: den Menschen, die die Götter einst aus Mais schufen, so heißt es im heiligen Buch, dem Popol Vuh. Die an der alten Kultstätte anwesenden Schamanen legen jetzt wohlriechende Holzscheite in die knisternden Flammen. Das durchdringende Zirpen der Grillen wird nun vom Geschrei einiger aufgeschreckter Papageien unterbrochen. In den wenigen verbleibenden Urwaldriesen zwischen Anpflanzungen von Mango- und Kakaobäumen rund um die Ruinen hatten sie ihr Nachtquartier bezogen.

Als die Sonne als roter Feuerball langsam über die Vulkankette zwischen Mexiko und Guatemala kriecht, verwandeln sich in Izapa die grauen Schatten rund um die Lichtung in eine üppige grüne Vegetation. Auf diesen Moment fieberte José Luis Zuñiga, heute Wissenschaftler am Planetarium von Tapachula, schon während seines Astronomiestudiums hin. „Die Maya maßen die Zeit mit äußerster Präzision. Sie beobachteten dabei die Himmelskörper mit bloßem Auge.“

Maya-Priester Agustin Garcia Lopez tanzt mit seiner Gemeinde.
Maya-Priester Agustin Garcia Lopez tanzt mit seiner Gemeinde.

© Foto James Rodriguez

Heute scharren Hühner vor einem imposanten Jaguarkopf hinter einer überwachsenen Pyramide. Eine andere dient den aktuellen Anwohnern der Pyramidenstadt ganz offensichtlich als Maisfeld. Von der Hängematte auf der Veranda ihres bescheidenen Hauses aus hat auch Graciela Calderón einen direkten Blick auf die Säulenformation A der Izapa-Ruine.

Aufmerksam beobachtet sie den Strom der Touristen, der am heutigen Tag wohl kein Ende nehmen wird. Besucher aus Europa, Japan, den USA und Mexikos Norden schießen Fotos mit Digitalkameras, während der wie ein weißes Schiff auf dem Morgenhimmel liegende Mond zusehends verblasst.

Ortswechsel ins angrenzende Guatemala. 50 Prozent der Bevölkerung bezeichnen sich als Angehörige der verschiedenen Maya-Völker. Kein Ende der Welt, sondern die Vollendung des 13. Baktún, der „langen Zählung“ des Maya-Kalenders, wird erwartet – zu vergleichen vielleicht mit den Feierlichkeiten zur Jahrtausendwende des Gregorianischen Kalenders.

Doch handelt sich es um eine weit größere Jahreszahl, die heute zyklisch beschlossen wird. „Ich danke der Sonne für die vergangenen 5200 Jahre und heiße die folgenden 5200 Jahre willkommen“, spricht Agustín García López, spiritueller Führer der Maya-Gemeinschaft aus Huehuetenango in den Cuchumatanes-Bergen. Die Vorfahren haben ihn schon jung auserwählt, um für das Wohl seines Volkes zu beten.

Auf der Hochebene von Zaculeu brennen heute stellvertretend für die große Jahreszahl über fünftausend Kerzen in allen Farben des Regenbogens. Ebenso ein riesiges Feuer zwischen den Pyramiden; imposante, gut erhaltene Gebäude aus hellgrauem Stein. Über gelbem Steppengras ragen sie in einen hohen klaren Himmel hinauf.

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