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Panorama: Mehr Täter mit Ranzen und Zahnspange

Kinderhilfswerk: "Kriminalität auf Rekordniveau" / Experten kritisieren Studie / Bundesweiter AnstiegVON ANNETTE KÖGEL BERLIN.Sie stehlen Süßigkeiten, rauben Mitschülern die Jacke, verprügeln Freundinnen und sprayen ihren Namenszug ans Wartehäuschen: Kriminelle Kinder, im Polizeideutsch strafunmündige Tatverdächtige unter 14 Jahren.

Kinderhilfswerk: "Kriminalität auf Rekordniveau" / Experten kritisieren Studie / Bundesweiter AnstiegVON ANNETTE KÖGEL BERLIN.Sie stehlen Süßigkeiten, rauben Mitschülern die Jacke, verprügeln Freundinnen und sprayen ihren Namenszug ans Wartehäuschen: Kriminelle Kinder, im Polizeideutsch strafunmündige Tatverdächtige unter 14 Jahren.Das Deutsche Kinderhilfswerk hat jetzt eine bundesweite Statistik vorgelegt, nach der "die Zahl der tatverdächtigen Kinder mit 143 399 im vergangenen Jahr ein Rekordniveau erreicht hat".Dabei legte das Hilfswerk Zahlen zugrunde, die sich nach Einschätzung von Experten nicht vergleichen lassen.Der Trend ist indes nicht von der Hand zu weisen: 1993 waren bundesweit 4,3 aller Tatverdächtigen Kinder, 1996 belief sich die Zahl auf 5,9 Prozent.Das Landeskriminalamt Brandenburg berichtete dem Tagesspiegel auf Nachfrage von einer Zunahme, und Berlins Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) spricht von einer "besorgniserregenden Entwicklung".In seiner Mitteilung erklärt das Hilfswerk, in Brandenburg habe es eine Zunahme von 2039 tatverdächtigen Kindern 1992 auf 7074 Kinder 1997 gegeben - dies entspricht einem Anstieg um 247 Prozent.In Berlin betrage die Steigerungsrate 51 Prozent.Hintergrund sei die Zunahme der Sozialhilfeempfänger-Familien, fehlende Freizeitangebote, aber auch "die Kommerzialisierung von Kindheit".Unterdessen kritisierte Christian Pfeiffer, Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachen gegenüber dem Tagespiegel, die Erhebung sei unseriös.Im Jahr 1992 haben sich die neuen Länder sowohl bei der Statistik als auch bei der Strafverfolgung noch nicht auf West-Niveau befunden, man könne die Zahlen nicht direkt vergleichen.Zudem zeigten Opfer die Kinder nur selten an, auch daher verschiebe sich das Bild.In seiner Studie, die Pfeiffer gerade für den Bund erstellt, verweist er auf die niedrige Gesamtzahl der Tatverdächtigen.Den Ansteig bei Aussiedler- und Ausländerkindern erklärte Pfeiffer damit, daß man "bei ihnen schneller die Polizei ruft".Die Zahl der Täter, die die Grundschule besuchen und von der Justiz noch nicht verfolgt werden, steigt auch in Berlin: Wurden der Polizei 1995 noch 9831 Fälle bekannt, so waren es 1996 bereits 10 602.Die überwiegende Zahl der Straftaten sind Ladendiebstähle, dann folgen Fahrraddiebstähle und Sachbeschädigungen.Einen ähnlichen Trend verzeichnet Brandenburg: 1993 registrierte die Polizei 3228 tatverdächtige Kinder(Quote: 3,7 Prozent), 1997 waren es 7074 (6,5), bilanzierte Roger Höppner, Leiter des Direktionsbüros im Landeskriminalamtes auf Anfrage Auch zweifelt die Kinderhilfswerk-Zahlen an: Eine bundeskompatible Statistik führten die neuen Länder erst seit 1993.Höppner verwies darauf, daß Straftaten von Kindern wie Ladendiebstähle zu einem bestimmten Alter "als Mutprobe" gehörten.Viele würden nur ein einziges Mal auffällig.Unterdessen sagte der Medienreferent des Deutschen Kinderhilfswerks, Michael Kruse, zur Statistik-Erhebung, in den Vorjahren haben die Ämter stets hinzugefügt, daß die Zahlen nicht zum Vergleich geeignet seien.Da dies jetzt nicht der Fall war, habe er davon ausgehen können, daß er sie vergleichen könne.Aus Bayern und Sachsen-Anhalt seien die Vermerke gekommen, und dies habe er auch in der Studie vermerkt.

ANNETTE KÖGEL

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