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Panorama: Meister ohne Bürger

Die New Yorker lieben ihr Stadtoberhaupt nicht mehr – Bloomberg schließt Zoos und entlässt Feuerwehrleute

Von Matthias B. Krause,

New York

Es geschah am helllichten Tag vor knapp vier Wochen. Da saß Crystal Rivera auf den Stufen zu einer New Yorker Subway-Station und plauderte mit Freunden – bis die Polizei vorbeikam und sie zu einem Strafticket von 50 Dollar verdonnerte, weil sie die U-Bahnpassagiere behindert habe. Das klingt schon skurril genug. Weil aber Miss Rivera zudem noch schwanger ist, hatten die Medien eine tolle Story. Nun stehen die Telefone im Rathaus nicht mehr still, die Leserbriefredaktionen werden mit Schreiben überschwemmt. Die Boulevard-Zeitung „Newsday" sprach fortan von einem „Ticket Blitz". Das klingt nach „Blitzkrieg" und diese Assoziation ist gewollt. Schreiber und Bewohner der Metropole sind sich einig, wer der heimliche Kommandeur des Feldzuges ist, der da gegen sie geführt wird.

Michael Bloomberg.

Der New Yorker Bürgermeister steuert kurz vor den Haushaltsverhandlungen der hoch verschuldeten Stadt auf ein neues Popularitätstief zu. Nur noch 32 Prozent seiner Wähler glauben, dass er einen guten Job macht. So schlecht schnitt nur David Dinkins ab, der Vorgänger des legendären Rudolph Giuliani. Damals steckte die Stadt bis zum Hals in Chaos und Kriminalität und galt als unregierbar. Giuliani räumte mit eisener Hand auf, und Bloomberg, so dachten die New Yorker , würde die Arbeit seines Vorgängers und Freundes fortsetzen. Stattdessen sehen sich die Stadtbewohner einer Spar welle ungeahnten Ausmaßes gegenüber. Selbst nach einer Finanzspritze des Bundesstaates und weiteren Hilfen aus Washington klafft im Etat noch eine Lücke von 3,8 Milliarden Dollar.

Seine Beliebtheit ist ihm egal

Bis zum 1. Juli muss Bloomberg sie geschlossen haben, um den gesetzlichen Bestimmungen gerecht zu werden. Der 61-Jährige, seit eineinhalb Jahren in seinem ersten politischen Amt, geht die Sache an, wie er das aus seinem vorigen Leben als erfolgreicher Chef eines Medienunternehmens kannte: Ausgaben schrumpfen, Einnahmen steigern.

Feuerwehrhäuser und Zoos werden geschlossen, städtische Angestellte entlassen und Löhne eingefroren. Die Grundsteuer hob der Republikaner Bloomberg auf das Rekordniveau von 18,5 Prozent, die Sozialmieten um fünf Prozent, die Wassergebühren werden teurer, die Müllabfuhr, die U-Bahntickets, die Brücken- und Tunnelzölle und demnächst steigt auch die Mehrwertsteuer weiter, die schon jetzt die höchste im Land ist. Es war jedoch die angebliche Anweisung aus dem Rathaus an die Polizisten, künftig auch für kleinste Vergehen Straftickets zu verteilen, die das Fass zum Überlaufen brachte. Der Aufschrei der Empörung schwappte sogar bis an die Westküste. Die „Los Angeles Times" titelte auf der ersten Seite „Big Apple Ticket Blitz Takes a Bite Out of New Yorkers" – frei übersetzt etwa: „Bußgeld-Blitzkrieg in Big Apple raubt den New Yorkern den Nerv“.

Sogar am Wetter soll er schuld sein

Bislang behielt Bloomberg noch angesichts jedes PR-Gaus stoisch die Ruhe. Stets auf seine für einen Politiker ungewöhnliche Unabhängigkeit von sämtlichen Interessengruppen stolz, wendet sich dieser vermeintliche Vorteil inzwischen gegen ihn. In Zeiten der Krise gibt es niemanden, der Bloomberg öffentlich den Rücken stärkt. Die verbalen Prügel für den im Schatten des charismatischen Giuliani wie ein blasser Beamter wirkenden Mann nahmen derart groteske Züge an, dass die „New York Times" sogar Mitleid bekam. Ihr Kolumnist Clyde Haberman konstatierte mitfühlend: „Die New Yorker sind so weit, ihn für jedes Unglück verantwortlich zu machen, das kleiner ist als die Ermordung Kennedys." Sogar für das schlechte Wetter.

Dabei könnte Bloomberg eine wesentlich bessere Figur machen, würde er sich nur halb so sehr um sein öffentliches Image scheren wie einst der narzistische Giuliani. Allerdings muss er die Suppe auslöffeln, die ihm sein Vorgänger einbrockte. Statt in den Boomzeiten der 90er Jahre die Haushaltsüberschüsse zu nutzen, um Schulden abzubauen, steckte Giuliani das Geld in Prestige-Projekte, um sein Ansehen weiter zu mehren. Polizei und Feuerwehr las er praktisch jeden Wunsch von den Lippen ab, ohne auf die Kosten zu achten. An Bloomberg bleibt nun die heikle Aufgabe hängen, die Zahl der als Helden vom 11. September 2001 gefeierten städtischen Angestellten zu schrumpfen.

Zumindest gegen das Gerücht vom „Ticket-Blitz" startete er eine Gegenoffensive. Die Bußgelder für Verstöße wie das Belegen mehrerer U-Bahnsitze (50 Dollar), das falsche Bündeln von Altpapier (25 Dollar), das Füttern von Tauben (50 Dollar) oder das Durchwühlen von Mülltonnen (100 Dollar) – sämtlich zu Zeiten von Giulianis Null-Toleranz-Politik erfunden – brächten der Verwaltung nichts als Arbeit, rechnete er vor. Die einzigen, die wirklich helfen, die desolaten Stadtfinanzen aufzubessern, sind die Falschparker. Wer falsch parkt, zahlt 105 Dollar.

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