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Tochter und Vater - Pola und Klaus Kinski

© dpa

Missbrauchsvorwürfe der Tochter: Klaus Kinski - die Geschichte vom Widerlichen

Pola Kinski, Tochter des Schauspielers Klaus Kinski, wirft ihrem verstorbenen Vater jahrelangen sexuellen Missbrauch vor. Warum es wichtig ist, dass Prominente bei diesem Thema die Stimme erheben.

Von Caroline Fetscher

Er sei ein Würstchen gewesen, sagt Pola Kinski, ein spießiger Tyrann. Ihr Vater, so schätzt die 60-Jährige ihn ein, sei ein Mann gewesen, der sich vor erwachsenen Frauen fürchtete und sich junge Frauen suchte – darunter die eigene Tochter. In einem Interview des „Stern“ macht Pola Kinski erstmals öffentlich, worüber sie geschwiegen hatte, bis sie 19 war, und ihrer Mutter anvertraute, dass der glamouröse Vater von ihr sexuelle Dienste verlangte, in Hotels auf Reisen oder in seiner Münchner Villa. Jetzt hat Pola Kinski die Ereignisse ihrer Kindheit aufgeschrieben, am Samstag erscheint ihr Buch bei Suhrkamp.

Schon im Alter von fünf, erinnert sich die Tochter, küsste der Vater sie mit geöffnetem Mund und umarmte das Kind „immer so“. „Das war mir widerlich“, sagt sie im Interview. Doch das nähebedürftige, von der geschiedenen Mutter abgeschobene Mädchen machte bald alles mit, was der Exzentriker begehrte.

Klaus Kinski, der 1991 starb, galt als dämonisch, genial und bizarr, im heutigen Jargon wäre er vermutlich „ein Ausnahmeschauspieler“. Seiner Tochter glaubt man, wenn sie erklärt, er habe nie gespielt. „Wenn ich ihn in Filmen gesehen habe, fand ich immer, dass er genau so ist wie zu Hause.“ Kaum eine Filmrolle ist stärker in Erinnerung als die des „Fitzcarraldo“ von 1982. In Herzogs Film spielt Kinski einen obsessiven, britischen Opernliebhaber, der sich in den Kopf gesetzt hat, ein Opernhaus im Amazonasgebiet zu errichten. Wie es in der Kolonialepoche durchaus vorkam, transportierte der Tropentrupp des Fitzcarraldo ein zerlegtes Dampfboot durch den Dschungel. Emblematisch wurden die Szenen, in denen Kinski, Wut und Verbissenheit in Person, in wilde Wut verfiel, wenn die Arbeit stockte. Sein pervers anmutendes koloniales Projekt schien der Schauspieler selber auf Teufel komm raus durchsetzen zu wollen.

Sinnbildlich wirkt diese Szene nun noch einmal aus anderer Sicht. Pola Kinski, der bereits vorgeworfen wird, sie dränge mit ihrer Geschichte aus Geldgier ans Licht, beschreibt den Vater als einen, der jeden um sich herum unterwerfen, kolonisieren wollte. Er wollte die Kleidung bestimmen, die andere trugen, er kaufte Frau und Tochter Reizwäsche, er warf Gäste aus dem Haus, die ihm nicht passten, beschwerte sich brüllend über „die Kretins“, die alle anderen seien. Nicht allein das Kind Pola befand sich in der Privatdiktatur eines Vaters, den die Erwachsene als spießig, kleinlich, egozentrisch und zwanghaft schildert. Die Tochter, vor der er seine sexuellen Handlungen als „ganz normal“ darstellte, hatte er zugleich zum Schweigen vergattert. Spräche sie, lande er im Gefängnis.

All das klingt glaubhaft. Und es ist gut und wichtig, dass jemand wie Pola Kinski der Gesellschaft ihre Geschichte berichtet. Nicht weil Klaus Kinski, „das Genie“, so ungewöhnlich wäre und weil die Geschichte dieses Kindes so aus dem Rahmen fällt. Im Gegenteil. Der Vater Kinski, als zutiefst unsicherer, narzisstischer Haustyrann, der die Gewalt über Schwächere genießt, entspricht einem der typischen Täterprofile, die es für sexuellen Missbrauch gibt. Narzisstische Störungsformen gehören fast immer dazu. Sexueller Missbrauch erfordert, wie die „nur“ physische und seelische Misshandlung, das Ausblenden oder aktive Umdeuten der Empfindungen des Kindes, das dem Täter Mittel zum Zweck wird. Im Kern geht es beim sexuellen Ausbeuten von Kindern um Macht. Der Erwachsene, geplagt von Gefühlen der Minderwertigkeit, getrieben von aggressiven, rivalisierenden Impulsen. Vom Wunsch, mächtig zu sein, Kontrolle auszuüben, sich abzureagieren, findet er kein besseres und billigeres Objekt als ein Kind, ein „eigenes“ zumal, oder doch ein im Umfeld leicht zur Verfügung stehendes Kind. Wer, wenn nicht eine Prominente, wie Pola Kinski, würde in der Öffentlichkeit so viel Gehör finden? Ihr erklärtes Ziel ist es, mit dem Buch anderen erwachsenen Opfern Mut zu machen, das Schweigen zu beenden.

Die Schweigemasse ist groß. Kriminologen gehen von 300 000 Missbrauchsfällen pro Jahr aus – eine konservative Schätzung. Erwiesen ist, dass die Mehrzahl der Täter, rund 75 Prozent, aus den Familien und dem Nahfeld der Opfer kommt, und seit kurzem wird hier erkannt, dass es auch weibliche Täter, etwa übergriffige Mütter gibt. Sie verantworten 10 bis 15 Prozent der Taten. Georg Ehrmann, Jurist und Geschäftsführer der Deutschen Kinderhilfe kritisiert: „Sexueller Missbrauch von Kindern ist in Deutschland – im Gegensatz zu Raub oder Drogenhandel – nur ein Vergehen, kein Verbrechen.“ Fatal seien auch die Verjährungsfristen. „Das sind Täterschutzfristen, die die Opfer verhöhnen!“ Auch andere fordern die Abschaffung der Verjährung. Eben erst haben Mitstreiter vom „Netzwerk Betroffener von sexualisierter Gewalt e. V.“, für diese Ziele einen Hungerstreik angekündigt, um die Regierung zum Umdenken zu bringen. Sie demonstrieren damit auch gegen ein Klima, in dem eine couragierte Frau wie Pola Kinski denunziert werden kann, weil sie spricht.

Pola Kinski: Kindermund. Suhrkamp Verlag, 267 Seiten, 19, 95 Euro

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