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Mittelmeer: Mafia soll Atommüll ins Meer gekippt haben

Ein Mafia-Aussteiger packt aus und Fahnder finden ein Wrack. An der Mittelmeerküste wird Radioaktivität gemessen. Noch fehlt das Material.

Italiens Ermittler wussten es; ein Mafia-Aussteiger hatte genauestens davon erzählt. Aber alle Prozesse verliefen im Sand. Denn dafür, dass die kalabrische ’Ndrangheta über Jahre hinweg große Mengen von Gift- und Atommüll im Mittelmeer entsorgt und dafür Millionen kassiert hat, fehlte bisher das entscheidende Beweisstück: das Material selbst.

Erst jetzt, nach jahrelangen Untersuchungen, hat die kalabrische Staatsanwaltschaft das Geld und die Technik zusammen. Und siehe da: Jetzt ist sie fündig geworden. Zwanzig Meilen vor Cosenza, in gut 480 Metern Tiefe, filmte ein Tauchroboter das Wrack eines etwa 120 Meter langen Frachtschiffs. Der Bug ist wie durch eine Explosion abgerissen; aus dem Rumpf quellen Fässer.

Auch wenn sie den Namen des Schiffes nicht lesen können, so sind die Ermittler davon überzeugt, die „Cunski“ vor sich zu haben. Nie ist in dieser Gegend der Untergang eines anderen Schiffes gemeldet worden; die „Cunski“ selbst, trotz ihrer stattlichen Größe, hat offenbar nie irgendjemandem gefehlt. Die Position des Wracks aber entspricht genau den Erzählungen des früheren Mafia-Bosses Francesco Fonti. Als er vor den Staatsanwälten auspackte, sagte er, er habe für die ’Ndrangheta-Familien von San Luca – die man in Deutschland seit dem Duisburger Massaker von 2007 kennt – im Jahr 1992 kurz hintereinander gleich drei Giftschiffe mit Dynamitstangen bestückt und durch Explosion versenkt. Die ’Ndrangheta habe damit einer Reederei in Messina einen Gefallen getan und pro Schiff 75 000 Euro eingenommen. „Ich weiß, dass damals viele Giftladungen auf diese Weise beseitigt wurden, es waren mindestens dreißig Schiffe. Aber das haben andere Familien der ’Ndrangheta erledigt“, sagt Aussteiger Fonti.

Die Namen einiger in den achtziger und neunziger Jahren mysteriös versunkener und bei den Versicherungen nie auf Schadensersatz reklamierter Schiffe kennt man: Mikigan, Rigel, Marco Polo, Koralina; diese fuhr unter deutscher Flagge. Was sie alle an Bord hatten, dazu gibt es nur – schlimme – Verdachtsmomente. Die nach Behördenangaben „unnatürlich hohen“ Strahlenwerte und Krebshäufigkeiten an dem kalabrischen Küstenstreifen, wo 1990 die „Jolly Rosso“ strandete, zum Beispiel. Und es gibt die Erzählungen von Francesco Fonti. Er sagt unter anderem: Italiens staatliche Atombehörde Enea, dazu der Verteidigungsminister damals, seien in den achtziger Jahren auf die ’Ndrangheta zugekommen. Ob sie nicht Giftmüll verschwinden lassen könne? 600 Fässer mit radioaktivem Schlamm zum Beispiel? Die Mafia konnte. 500 Fässer, sagt Fonti, habe man auf einen Frachter gepackt und mit falschen Papieren nach Somalia geschickt; den Rest habe man – weil die ’Ndrangheta-Bosse das Zeug nach langer Diskussion lieber nicht in den eigenen Bergen haben wollten – in der entlegenen italienischen Basilikata verscharrt. „Und ich konnte 250 000 Euro in bar direkt an die Familien von San Luca auszahlen“, schreibt Fonti.

Das Gift sei nicht nur aus Italien gekommen, sondern auch aus anderen europäischen Ländern, darunter aus Deutschland, der Schweiz und Frankreich; auch hätten ganz verschiedene Konzerne auf diese Weise ihren Problemmüll beseitigt. So schreibt Fonti in seinem Geständnis an die Staatsanwaltschaft.

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