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Panorama: Mitten ins Herz

Der Regisseur Theo van Gogh wurde in Amsterdam ermordet – Motiv könnte ein islamkritischer Film sein

An der Ampel neben dem rot-weißen Absperrstreifen, 200 Meter vom Tatort entfernt, werden Blumen niedergelegt. Kerzen und Räucherstäbchen brennen. Jemand hat – sehr symbolisch, sehr treffend – eine silberne Filmrolle abgestellt. Daneben steckt ein Zettel, auf dem steht: „Ein Kämpfer für die Freiheit wurde ermordet. Auf Wiedersehen Theo.“ Mit „Theo“ ist Theo van Gogh gemeint, der streitbare und umstrittene Filmemacher. Er ist tot. Ermordet auf offener Strasse. Am hellichten Tag. Die Menschen sind erschüttert.

Wahrscheinlich wurden die Niederlande wieder durch einen politischen Mord getroffen. Das Opfer, ein in den Niederlanden ausgesprochen bekannter Filmemacher und Kolumnist, hatte unter anderem mit einem Film über die Misshandlung muslimischer Frauen im Namen des Islam Aufsehen erregt. Er war deshalb auch bedroht worden. Zuletzt hatte er einen Film über die Ermordung des populistischen Politikers Pim Fortuyn gedreht, der demnächst in die Kinos kommen soll. Van Gogh, der als schwieriger, polternder Querulant gilt, fiel außerdem durch eine problematische Äußerung über Juden auf. Er zeichnete sich dadurch aus, dass er in Talkshows gerne andere verbal angriff, seinerseits aber auf Kritik ganz empfindlich reagierte.

Das Attentat trifft die fragile multikulturelle Gesellschaft der Niederlande an einer empfindlichen Stelle. Königin Beatrix zeigte sich von der barbarischen Tat schockiert.

Was an diesem Dienstagmorgen in Amsterdam geschah, kann nur mühsam rekonstruiert werden. Der 47-jährige Filmemacher fuhr gegen halb neun Uhr mit seinem Fahrrad am Bezirksrathaus von Oost entlang, einem Stadtteil südöstlich des historischen Zentrums. Van Gogh überquerte die stark befahrene Linnaeusstraat und wurde dann von einem Mann angeschossen. Van Gogh flüchtete auf die andere Straßenseite, wurde erneut beschossen und brach zusammen. Dann spießte der Attentäter eine Botschaft auf ein Messer und rammte dieses van Gogh in die Brust. Was auf dem Zettel steht, ist bisher nicht bekannt.

Die Polizei setzte dem mutmaßlichen Täter nach. Dieser war in der Zwischenzeit in den nahe gelegenen Oosterpark geflohen, einem beliebten Freizeitort der Amsterdamer. Die Beamten umstellten den Park. Als der Mann fliehen wollte, kam es zu einem Schusswechsel. Dabei traf er einen der Polizisten, dem jedoch eine kugelsichere Weste das Leben rettete. Der Verdächtige wurde daraufhin von einer Polizistenkugel im Bein getroffen und schließlich festgenommen.

Der Festgenommene ist ein 26-jähriger Araber. Er ist in Amsterdam geboren und besitzt sowohl die niederländische als auch die marokkanische Staatsbürgerschaft. Eine Passantin reagiert schockiert: „Das ist sehr schlimm für dieses Land. Die Tat wird auf jeden Fall Auswirkungen auf die Beziehung zu den Muslimen haben. Ich wäre nicht überrascht, wenn es zu Anschlägen auf Moscheen kommt.“ Amsterdam-Oost ist eine multikulturelle Gegend. Am Absperrstreifen finden sich auch viele marokkanisch-stämmige Niederländer ein. Und die Worte, die man von manchen zu hören bekommt, zeigen, dass es nicht gut steht um das einst vorbildliche multikulturelle Modell der Niederlande. Einer von ihnen, 37-jährig und seit 15 Jahren in Holland, sagt: „Viele Muslime waren sehr wütend auf van Gogh.“ Unter den Passanten, die sich am Tatort einfinden, fällt immer wieder das Wort „Meinungsfreiheit“. Die Tat wird als eine politische Attacke auf van Goghs Ansichten gewertet. Auch Bürgermeister Job Cohen spricht von einem „Anschlag auf die Meinungsfreiheit“.

Hinter einer grauen Absperrplane kann man ein blaues Zelt erkennen. Unter ihm liegt auch jetzt noch, Stunden nach der Tat, der Leichnam von Theo van Gogh. Die Spurensicherung ist noch bei der Arbeit.

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