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Für den Prozess wurde der Angeklagte im Krankenbett in den Gerichtssaal geschoben.

© dpa

Mordprozess: Lebenslang für Dachauer Todesschützen

Der 55-jährige Rudolf U., der Anfang des Jahres einen Staatsanwalt im Gerichtssaal erschossen hatte, kommt lebenslang ins Gefängnis. Im Prozess entschuldigte er sich bei der Familie des Opfers. Die Angehörigen des Getöteten kritisieren die bayerische Justiz.

Das Landgericht München II hat den Todesschützen aus dem Dachauer Amtsgericht wegen Mordes und dreifachen versuchten Mordes zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Außerdem erkannte das Gericht am Donnerstag auf eine besondere Schwere der Schuld, wodurch eine Haftentlassung nach fünfzehn Jahren ausgeschlossen ist. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der 55-jährige Rudolf U. im Januar aus Rache an der Justiz einen Staatsanwalt erschossen hatte.

Der 56-jährige Rudolf U. liegt auf dem Krankenbett im Saal A 101 des Münchner Landgerichts, die Gesichtshaut ist weiß wie Papier, die Augen in tiefen dunklen Höhlen versunken. Der ehemalige Spediteur will, nachdem er laut dem Vorsitzenden Richter Martin Rieder mit „absolutem Vernichtungswillen“ den ihm unbekannten Staatsanwalt erschossen hat, nun selbst sterben. In der Untersuchungshaft hat der einst 160 Kilogramm schwere Mann 80 Kilo abgenommen. Er ernährt sich meist nurmehr von Milch, Schokolade und Chips. Während der Richter ihm vorhält, er hätte an jenem 11. Januar „unermessliches Leid über die Familie des Opfers gebracht“, scheint Rudolf U. vor sich hinzudösen. Das graue Haar steht wirr in alle Richtungen, ab und zu wischt er sich mit dem dünnen, blassen linken Arm über die Augen. Unter der Decke sind seine Beinstümpfe. In der Untersuchungshaft mussten dem Diabetiker beide Unterschenkel amputiert werden – auch weil er sich medizinisch nicht behandeln ließ und sich so einseitig ernährte. Zudem ist er nach einem Schlaganfall halbseitig gelähmt.

Seine jammervolle Erscheinung und die skrupellose und „sinnlose Tat“, wie es der Richter nennt – dieser schauerliche Gegensatz machte manchem Prozessbesucher zu schaffen. Und erst recht den Angehörigen von Tilman Turck. Seine junge US-amerikanische Ehefrau und sein Vater waren fast immer auf ihren Plätzen und verfolgten das Verfahren, seine Mutter kam ab und zu. Die Todesschüsse erklärt das Gericht mit U.s „jahrelanger Aversion gegen die Justiz“. Er habe „rechthaberisch, querulatorisch und starrsinnig gehandelt“. Es gab unzählige Prozesse, vor dem Dachauer Amtsgericht ging es um die Hinterziehung von Sozialversicherungsbeiträgen für seine einstigen Angestellten. Doch da war U. schon längst pleite. Dass dies zu zahlen sei, habe U. bis zuletzt nicht eingesehen, es ging um eine Bewährungsstrafe von einem Jahr und 1000 Euro Geldstrafe.

„Er hatte immer Recht, die anderen stets Unrecht“, so der Richter über U.s Weltsicht. An diesem Nachmittag um kurz nach 16 Uhr hätte es jeden Staatsanwalt der Staatsanwaltschaft München II treffen können. Turck war nur zur Verlesung der Anklageschrift nach Dachau gereist, er hatte mit dem Fall nichts zu tun gehabt und kannte U. nicht. Dieser habe die Tat kaltblütig geplant, holte schon im Sommer zuvor bei einer Bekannten eine Pistole ab, die diese für ihn verwahrt hatte. Die Waffe steckte in seiner linken Jackentasche, als er in das Gericht kam, geladen mit sechs Schuss Munition. In einem Seidensäckchen hatte er weitere elf Patronen mitgenommen.

Der „egozentrisch veranlagte“ Verurteilte habe, sagt Richter Rieder, auch während des Prozesses keine Reue gezeigt. Vielmehr ging es ihm offenkundig darum, sich dem Verfahren zu entziehen, indem er sich verhandlungsunfähig machen wollte. Das aber gelang ihm nur am ersten Tag, ansonsten musste er sich in den Gerichtssaal schieben lassen.

„Sie haben mir skrupellos meinen Mann genommen und mein Leben zerstört“, sagte ihm Turcks junge Witwe ins Gesicht. Das Paar hatte erst kurz zuvor geheiratet. Rudolf U. konnte sich nicht mehr abringen als die Worte, es tue ihm „menschlich leid“. 

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