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Panorama: Mordprozeß mit erschütternden Details eröffnet

OLDENBURG .Manfred Nytsch blickt starr geradeaus, als der Angeklagte in Handschellen den Gerichtssaal betritt.

OLDENBURG .Manfred Nytsch blickt starr geradeaus, als der Angeklagte in Handschellen den Gerichtssaal betritt.Von seinem Platz aus will er dem Mörder seiner Tochter direkt in die Augen sehen.Doch Ronny Rieken schaut nicht nach vorn zur Bank der Nebenkläger.Von seinem Schutzkäfig aus Panzerglas aus spricht er leise zur Richterbank hin, wendet den Blick immer wieder nach unten.Im Gefängnis hat sich Rieken einen kurzen Bart und einen adretten Mittelscheitel zugelegt.Seine Tätowierungen hält er unter einem Pulli mit hochgezogenem Reißverschluß verborgen.Das ist der Mann, den Demonstranten draußen "die Bestie" nennen.

Die Schwurgerichtskammer am Landgericht Oldenburg sitzt seit Donnerstag zu Gericht über einen, der vor neun Jahren schon einmal in eben diesem Saal von eben diesem Vorsitzenden Richter Rolf Otterbein verurteilt wurde - wegen der Vergewaltigung seiner Schwester.Nach dreieinhalb Jahren wurde Rieken aus der Haft entlassen.Er hat gestanden, die dreizehnjährige Ulrike Everts und die elfjährige Christina Nytsch vergewaltigt und ermordet zu haben, zwei anderen Mädchen habe er nach einem Mißbrauch das Leben gelassen.

Staatsanwalt Christian Schierholt verliest eine Anklageschrift, die Zuhörern den Atem stocken läßt.Erstarrt hören sie zu, wie der Maschinenschlosser demnach im Sommer vor zwei Jahren Ulrike, im März dieses Jahres Christina mehrfach vergewaltigte und oral mißbrauchte, beide nach schier endlosen Qualen schließlich erdrosselte.Angeklagt ist er außerdem, während eines Freigangs eine achtjährige Nichte und nach der Haftentlassung ein neun Jahre altes Mädchen in Neuscharrel mißbraucht zu haben.Zehn weitere Vorfälle listet der Richter noch auf, bei denen es bei Versuchen blieb.Seit Jahren schon, hat Rieken Polizisten erzählt, sei er mit dem Auto in einem Umkreis von dreißig Kilometern diesseits und jenseits des Küstenkanals unter anderem an einem Badesee auf Mädchensuche gewesen.Einmal verfolgte er zwei Mädchen bis in ein Maisfeld hinein.

Den ersten Satz, den Rieken vor Gericht sagt, nuschelt er: "Das ist mir egal." Es geht um die Frage, ob die Öffentlichkeit bei Fragen zu seiner sexuellen Entwicklung augeschlossen werden soll.Er hat auch nichts dagegen, daß die Vergewaltigungen, die er beging, in Einzelheiten geschildert werden.Scham zeigt der Angeklagte, als er von sexuellen Übergriffen durch seinen Vater erzählt.Minutenlang starrt Rieken vor sich hin; einmal muß Richter Otterbein die Verhandlung unterbrechen, damit der Befragte sich fassen kann.All die Jahre hätten er und seine beiden Schwestern geschwiegen, sagt Rieken.Jetzt, nach den beiden Morden, spreche er darüber, weil "es wohl doch was damit zu tun hat." Riekens Vater, ein Maurer, war Alkoholiker und stand einmal wegen des Mißbrauchs einer Zehnjährigen vor Gericht.Ronnys Eltern trennten sich, als der Junge sechs Jahre alt war.

Bis dahin, so schildert es der jetzt angeklagte Sohn, wurden er und seine beiden Schwestern immer wieder sexuell mißbraucht.Prügel auch von ihr seien an der Tagesordnung gewesen.Er selbst sei der Prügelknabe in der Familie gewesen, erinnert sich Rieken."Ich hatte darunter zu leiden, daß ich in der Familie der einzige Junge war." Die beiden Schwestern hätten sich häufig gegen ihn verschworen.

Während Rieken erzählt, versucht Sylvia Nytsch den Angeklagten in ihren Blick zu bekommen.Ein weißer Balken zwischen den Panzerglasscheiben behindert ihren Blick.Genau wie ihr Mann wirkt Christinas Mutter ruhig, manchmal fast unbeteiligt."Beruhigungsmittel brauchen wir nicht", sagt sie in einer Pause."Wir kennen die Akten doch lange genug." Ulrikes Eltern dagegen haben das Gericht in der vergangenen Wochen wissen lassen, daß sie sich vom Prozeß fern halten wollen.Der Vater, heißt es, sei nach der Todesnachricht im August noch weiter abgemagert.Mehr als zwei Jahre lang hatte er mit aller ihm verbliebenen Kraft versucht, über Suchplakate seine vermißte Tochter zu finden.Riekens Geständnis nahm Everts die letzte Hoffnung.

Draußen vor dem Gericht haben Mitglieder verschiedener Bürgerinitiativen gegen Sexualstraftäter und von Kinderschutzgruppen aus Grablichtern den Namen "Ulrike" gestellt und "Nelly", den Spitznamen von Christina Nytsch.Auf Transparenten verlangen sie "Opferschutz statt Täterschutz".An jedem der Prozeßtage, deren Zahl noch nicht abzuschätzen ist, wollen sie an die Opfer erinnern.

GABRIELE SCHULTE

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