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Panorama: Mordsangst

Die Niederlande: Frontstaat im Kampf der Kulturen?

Die Niederlande stehen unter Schock. Zwei Jahre nach dem Mord an Pim Fortuyn mussten ausgerechnet die Niederländer erleben, dass einer, der den Islam kritisierte, wahrscheinlich deswegen ermordet wurde.

Ein Araber hatte, wie berichtet, am Dienstag den Filmemacher und Publizisten Theo van Gogh auf offener Straße erschossen und ein Messer in die Brust gerammt, um auf diese Weise eine Papierbotschaft an seinen Körper zu heften. Das Opfer, ein manchmal polteriger Querdenker, der gerne Kritik an vielen und vielem übte, hatte unter anderem einen beachteten Film über die Misshandlung von Frauen im Namen des Islam gedreht.

In der Verurteilung der Tat sind sich die Regierung, die politischen Parteien, das Parlament und alle maßgeblichen Moslemorganisationen einig. Aber nach dem Mord kommt die Angst. Es stellt sich die bange Frage, welche Folgen dieser Mord auf das Zusammenleben von Niederländern und Einwanderern haben wird. „Wenn dies die Folge seiner Auslassungen über den Islam ist, dann kann man in diesem Land nicht mehr vernünftig miteinander leben“, zitiert „de Volkskrant“ Justizminister Donner (CDA).

René Cuperus von der sozialdemokratischen Wiardi-Beckman-Stiftung sagte, dass die Niederlande nun ein „Frontstaat in der Konfrontation der Kulturen“ seien. Die Muslime müssten sich bewusst werden, in welch freizügiger Gesellschaft sie lebten. Der Vorsitzende der Sozialdemokraten, Wouter Bos, sagte: „Dies ist ein Gefecht zwischen dem freien Wort und religiösen Fanatikern. Das kann in der Gesellschaft viel in Bewegung bringen.“

Bewegt hatten sich am Dienstagabend die Amsterdamer aller Konfessionen und Hautfarben, die dem Aufruf von Bürgermeister Job Cohen zu einer Gedenkveranstaltung für den Ermordeten auf den Dam gekommen sind. Innerhalb weniger Stunden waren über 20 000 Bürger mobilisiert, darunter auch viele Niederländer marokkanischer Herkunft. Khalid Kassem von der Stiftung „Hast du Angst vor mir?“, sagte der „Volkskrant“: „Da der Verdächtige ein marokkanischer Niederländer ist, kommt es uns so nahe, dass wir deutlich machen müssen, dass wir Gewalt ablehnen.“

Vertreter der umstrittenen radikalen Al-Tawheed-Moschee, die unter der Beobachtung des Inlandsgeheimdienstes AIVD steht, distanzierte sich in der Öffentlichkeit: „Es ist abscheulich, dass Idioten so etwas tun.“ Abgesandte der Moschee hatten sich an der Demonstration auf dem Dam beteiligt. „Wir müssen auf viele Weisen zeigen, dass auch Muslime die Freiheit der Meinungsäußerung als großes Gut schätzen und Gewalt verwerfen“, sagte Mohamed Sioni von der Stiftung „Islam und Bürgerschaft“. Die Verunsicherung in der marokkanischen Gemeinde ist groß. Auch auf den vielen arabischen Websites gingen erste Bedrohungen erboster Niederländer ein. Am Dienstag wurden 35 rechtsextreme Demonstranten in den Haag festgenommen, die meisten sind wieder auf freiem Fuß. Wie „de Volkskrant“ meldet, hat der Amsterdamer Bürgermeister Job Cohen direkt nach dem Mordanschlag den Aktionsplan „Drehbuch Frieden“ verkündet. Danach müssen die Bezirksbürgermeister und Polizeiposten jedes Anzeichen von Unruhe dem Krisenteam des Bürgermeisters melden. In allen Vierteln mit überwiegend ausländischer Bevölkerung patroulliert die Polizei zu Pferd. Auch in bestimmten Vierteln Rotterdams und Den Haags wurde die Polizeipräsenz verschärft.

Über den Täter ist immer noch wenig bekannt. Wie niederländische Medien melden, soll er dem Inlandsgeheimdienst bereits mehrfach aufgefallen sein, allerdings habe er nicht auf der Liste der 150 radikalen Islamisten gestanden, die Tag und Nacht überwacht werden. Nach Angaben des Soziologen Herman Vuisje sind fünf Prozent der niederländischen Muslime als radikal einzustufen, allerdings seien das doch etwa 50 000 Personen. „Was können wir noch tolerieren?“ ist die Frage, die nun gestellt wird.

Die rechtsliberale Abgeordnete Ayaan Hirsi Ali, die das Drehbuch zu Theo van Goghs islamkritischem Film „Submission“ geschrieben hatte, hat sich nach Medienberichten zurückgezogen. Auch sie hatte wiederholt Morddrohungen bekommen.

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