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Auf den Straßen des Travestere-Viertels in Rom quellen die Müllcontainer über.

© dpa/massimo Percossi

Müllkrise in Rom: Warum sich in Italiens Hauptstadt die Abfallberge türmen

In Rom quellen die Müllcontainer über – und die Nachbarregion will nicht länger den Unrat entsorgen. Der Millionenmetropole droht ein stinkender Sommer.

Wenn es nicht zum Weinen wäre, dann wäre es zum Lachen: In einigen Quartieren der Römer Peripherie sind in den letzten Wochen mehrere Tempo-30-Zonen geschaffen worden – nicht etwa vor Kindergärten und Schulen, sondern in der Nähe von Müllcontainern. Der Grund: Die überquellenden Abfallbehälter locken neben Möwen und Heerscharen von Ratten inzwischen auch zahlreiche Wildschweine an, welche den nicht abgeholten Abfall nach Essbarem durchsuchen. Wenn die schweren Tiere in Rudeln die Strassen überqueren, dann stellen sie eine Gefahr für Auto- und Zweiradfahrer dar. Bei einem Zusammenstoß mit einem Wildschwein ist bereits ein Vespa-Fahrer ums Leben gekommen.

Die Ewige Stadt befindet sich permanent am Rande des Müllkollapses: Im touristischen „Centro Storico“, dem historischen Zentrum, gelingt es den Behörden in der Regel, die Situation unter Kontrolle zu halten, aber spätestens außerhalb der Aurelianischen Stadtmauer funktioniert die Müllabfuhr nur mehr schlecht als recht und gelegentlich auch überhaupt nicht mehr. Der Ausfall einer mechanischen Abfallsortieranlage oder die Schließung einer Notdeponie reicht aus, dass sich die Müllsäcke in den Quartieren gleich wieder meterhoch zu türmen beginnen. 

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Genau ein solches Szenario – eine neue, akute Müllkrise wie zuletzt im Winter 2018/2019 – blüht den Römerinnen und Römern nun auch wieder diese Woche, und wohl für den Rest des Sommers. In Panik versetzt hat die Stadtbehörden auf dem Kapitolshügel der Entscheid der Region Emilia-Romagna: Diese hat die Behörden der Hauptstadt schon vor längerem wissen lassen, dass sie ab Dienstag nicht mehr bereit sei, wie bisher täglich 200 Tonnen Römer Müll zu übernehmen und diesen zu verbrennen. 

Und damit ist man auch gleich beim Kern des Problems angelangt: Die Drei-Millionen-Einwohner-Metropole Rom, deren Bewohnerinnen und Bewohner täglich rund 4700 Tonnen Müll produzieren, verfügt über keine einzige Müllverbrennungsanlage. Außerdem liegt der Anteil des getrennt eingesammelten Mülls bei nur 45 Prozent. Mit anderen Worten: Mehr als die Hälfte des Abfalls muss irgendwie anderweitig entsorgt werden. 

Eine Milliarde Euro für fünf Jahre Müllentsorgung

Ein großer Teil davon wird einfach in den Rest des Landes exportiert: Täglich verlassen 180 große Lkw die Stadt, um den Abfall Roms meist über Hunderte von Kilometern in die Entsorgungsanlagen und Verbrennungsöfen anderer Regionen zu karren. Das ist nicht nur ein ökologischer Irrsinn, sondern auch teuer: In den vergangenen fünf Jahren hat der Müllexport die Stadt eine Milliarde Euro gekostet. Mit dieser Summe hätte Rom problemlos zwei bis drei moderne, eigene Verbrennungsanlagen bauen können. 

Ein Angestellter der römischen Müllabfuhr steigt in ein Abfallsammelfahrzeug.
Ein Angestellter der römischen Müllabfuhr steigt in ein Abfallsammelfahrzeug.

© AFP/Alberto Pizzoli

Doch davon will Bürgermeisterin Virginia Raggi nichts wissen: Für sie und ihre Fünf-Sterne-Bewegung sind diese Öfen wegen der Abgase Teufelszeug. Raggis Rezept lautet: Müllvermeidung, Mülltrennung und Wiederverwertung zu 100 Prozent. Nur: In den fünf Jahren seit ihrer Wahl ins Kapitol ist der Anteil des getrennt eingesammelten Mülls in Rom konstant tief geblieben.

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Damit nicht genug: In ihrer gesamten Amtszeit, die im Herbst diesen Jahres zu Ende gehen wird, hat die heute 42-jährige Raggi nicht einmal ansatzweise ein Konzept entwickelt, wie die Müllkrise gelöst werden könnte. Und der Hausmüll ist keineswegs das einzige „Entsorgungsproblem“, bei dem die Bürgermeisterin versagt. 

Nur politischer Außenseiter fordert Müllverbrennungsanlage

Im Mai hat die Ewige Stadt weltweit Schlagzeilen gemacht, weil es ihren Behörden nicht mehr gelang, ihre Toten beizusetzen: Mehr als 2000 Verstorbene warteten teilweise wochenlang in den Kühlhäusern der Römer Friedhöfe, und zum Teil auch außerhalb der Kühlhäuser, bis sie endlich kremiert und bestattet werden konnten. Zuständig für Kremationen und verantwortlich für das Bestattungsdebakel ist die gleiche städtische Abteilung, die auch für die Müllentsorgung zuständig wäre. 

Müllkrise, Bestattungsdesaster, Millionen von Schlaglöchern in den Straßen: Diese Leistungsbilanz hält die Bürgermeisterin nicht davon ab, im kommenden Herbst für eine weitere fünfjährige Amtszeit zu kandidieren. Raggis Chancen auf eine Wiederwahl sind nicht sehr groß – aber ob ein anderer Kandidat die Müllkrise in den Griff bekäme, ist ungewiss: Ideologische Bedenken gegen Verbrennungsanlagen sind auch in den meisten anderen Parteien verbreitet. 

Der einzige Kandidat, der sich bisher ohne Wenn und Aber für den Bau von neuen Entsorgungs- und Verbrennungsanlagen ausgesprochen hat, ist Carlo Calenda, ehemaliger Minister für wirtschaftliche Entwicklung der Regierung von Paolo Gentiloni. In einer Demokratie regieren nicht immer die Gescheitesten, sondern diejenigen, die am meisten Stimmen gewinnen – und das wird kaum Calenda sein: Der Ex-Minister gilt als krasser Außenseiter.

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